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Rock The Church mit: Dying In Silence, White Noize, Somehow Different    7.11.1997   Leipzig, Heilig-Kreuz-Kirche
von rls

Daß der Name dieses Festivals von dem ähnlich benannten Song auf Covens Klassikerscheibe "Blessed is the black" herrührt, darf getrost bezweifelt werden. Die Idee hinter der Aktion besitzt jedenfalls auch Klassikerambitionen. Im Gehirn von Michael Gatnijewski (Jugendklub Wurzner Straße) war der Einfall entstanden, säkularen Bands die Möglichkeit eines intrakirchlichen Auftritts zu verschaffen und Jugendlichen, die sonst kilometerweite Bögen um eine Kirche machen, gleichzeitig das Ambiente eines Gotteshauses zu demonstrieren. Das Rockbüro Leipzig und die als progressiv bekannte Heilig-Kreuz-Gemeinde im Stadtteil Neuschönefeld stellten sich hinter die Idee, und nach Ausräumung zahlloser kleiner und einer Handvoll größerer Schwierigkeiten konnte pünktlich zum 80. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution die Rock The Church-Debütveranstaltung stattfinden. Ca. 250 Leute bevölkerten die Kirche ganz ordentlich und schafften es sogar, das Alkohol- und Nikotinverbot im Gotteshaus zu respektieren.
Jede Band hatte eine Dreiviertelstunde zur Verfügung. Als Opener betraten Somehow Different die Bühne bzw. den Altarraum. Die vier Damen hatten allerdings lediglich an kompositorischer Substanz recht armen Poprock im Programm. Sicherlich, richtig schlecht war´s nicht, aber vom Hocker reißen konnten einen die Stücke auch nicht. Da ich mich in dieser Szene kaum auskenne, kann ich auch keine Vergleiche anbringen. Jedenfalls beherrschte das Quartett die Instrumente ordentlich, was undank der Soundprobleme aber etwas unterging (Drums zu laut, Gitarren zu leise). An dieser Stelle sei aber gleich darauf hingewiesen, daß die Soundverhältnisse an verschiedenen Stellen der Kirche extrem divergierten - ich kann also lediglich von meinen Plätzen rechts vorn bzw. im Fotograben aus urteilen. Doch zurück zur Band: Sehr positiv hervorzuheben war die schöne Stimme von Sängerin Susanne, die es sich trotz leichter Erkältung nicht nehmen ließ, am Ende des Sets noch ein Stück von Alanis Morrissette a capella vorzutragen, und diese Aufgabe mit Bravour bewältigte - Hut ab! Es verbleibt aber doch ein nur durchschnittliches Gesamtbild, und wenn Somehow Different, wie von der Leipziger Volkszeitung postuliert, einer der Hoffnungsträger der Leipziger Szene sein sollen, dann gute Nacht ...
White Noize stellten mich hernach vor arge Schubladisierungsprobleme. Der zehnminütige instrumentale Opener kommt wahlweise 25 Jahre zu spät (Spacerock-Truppen wie Hawkwind hatten Anfang/Mitte der 70er ihre Blütezeit) oder 380 Jahre zu früh (das Freischwebe-Open Air um die Raumstation Mir 2 mit Marsrocker Siggi Stardust als Headliner findet laut dem Musikfachblatt Rock Fart am 6. April 2376 statt). Der zweite Song war astreiner Hannoversound der Früh-/Mittelsiebziger (Truppen wie Eloy und - man lese und staune - auch die Scorpions in ihrer Embryonalphase - wer kennt "Lonesome Crow" noch? - spielten diese damals Psychedelic Rock geheißene Musik). Song drei klang wieder ganz anders: Verstärkt um einen farbigen Sänger/Gitarristen, einen Saxophonisten und eine Trompeterin, zelebrierten White Noize puren Reggae. Der Rest des Sets bestand dann aus einer wilden Mixtur der genannten drei Stile, allerdings mit deutlicher Reggae-Schlagseite. Insgesamt also äußerst mutig, da eigenständig, aber mir persönlich war´s dann doch eine Spur zu verdreht. Vielleicht waren auch meine bewußtseinserweiternden Mittelchen (Haribo "Frohe Weihnachten") einfach nicht stark genug ...
Dying In Silence hatten mich auf dem Kirchentag voll überzeugen können, was ihnen diesmal nur zu 98% gelang. Dies lag definitiv NICHT an der neuen Rhythmusgruppe, denn diese harmonierte bestens mit dem alteingesessenen Rest der Band. Das Problem war vielmehr wiederum der Sound, denn der Herr mit den wunderschönen emotional-klaren Gesangslinien war streckenweise kaum zu hören, wodurch das gewisse Gänsehautfeeling nicht aufkommen konnte. Der zweite Sänger hat seine Klampfe mittlerweile an den Nagel gehängt (was erstaunlicherweise nicht zu Soundlöchern führte) und konzentriert sich nunmehr nur noch auf die seiner Kehle entspringenden elchartigen Geräusche. Der einzig verbliebene Gitarrist riffte solide vor sich hin, und der Keyboarder griff diesmal sogar bei zwei Songs zum Saxophon, was meines Wissens nach noch keine Band aus dem Düstermetal-Areal gemacht hat. Tja, und daß das Songmaterial einfach klasse ist, habe ich beim letzten Mal schon erwähnt. Dying In Silence ernteten somit verdientermaßen auch die besten Publikumsresonanzen (eine ganze Reihe der Besucher war wohl hauptsächlich wegen ihnen gekommen), und der feierliche Gothic Metal paßte eigentlich ideal zur Aura des Gotteshauses. Was Somehow Different nur mit einer gewaltigen Steigerung noch werden können - nämlich Hoffnungsträger der Leipziger Szene -, das sind Dying in Silence schon lange. Nur haben es viele wohl noch nicht gemerkt ...
Insgesamt also ein recht guter Abend, der Appetit auf weitere Veranstaltungen unter diesem Gusto machte. Shine on!



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