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Die Headliner auf der Kirchentags-Open Air-Bühne   19./20.6.1997    Leipzig, Nordplatz
von rls

Beim Kirchentag zu Leipzig wurde Musik ja wieder mal ganz groß geschrieben. Wem es nicht nach Posaunenchören, Orgelkonzerten oder Wagner-Opern gelüstete, der konnte sich auf der auf dem Nordplatz aufgebauten Open Air-Bühne diverse "jugendgemäßere" Acts reinziehen. Im Folgenden ein kurzer Überblick über die Cremé dessen, was Thomas F. und das Rockbüro Leipzig auf die Bretter gelotst hatten.
Nachdem mir am späten Donnerstagnachmittag ´ne Hiphop-Truppe gnadenlos auf den Geist gegangen war und ich auch bei dem Betroffenheitsliedermachergedudel, das in der Michaeliskirche zu hören war, das Weite gesucht hatte, retteten Dead Days um 19.30 Uhr fürs erste den Abend. Zwar ist mir auch Britpop nach Oasis- oder Blur-Bauart ziemlich suspekt, aber die Leipziger verknüpften diesen Sound gekonnt mit Californiapunk-Einflüssen zu einem automatisch gute Laune erzeugenden Gebräu. Sie hatten allerdings unter mangelnder Koordination der Veranstaltungen auf der Bühne und in der Kirche zu leiden - zeitgleich begann im Gotteshaus das Löbauer Gymnasiumskabarett Jugendstyl sein Programm "NeuDEUTschLICHes"... Der Leistung der Band tat dies jedoch keinen Abbruch, auch wenn dieser Sound wohl eher zu ´ner zünftigen Baggerloch-Party paßt.
Die Krönung des Abends waren schließlich die Headliner Dying in Silence. Düstermetal vom Aller-Allerfeinsten stand auf dem Plan, und das Leipziger Sextett gehört sicherlich zu den besten Vertretern dieser Zunft. Die Riffs waren zwar nicht alle brandneu, aber sie trafen zielsicher in die Gehörgänge, der Keyboarder sorgte für zauberhafte atmosphärische Untermalungen oder erzeugte wahrhaft feierliche Melodien, das Tempo der Songs lud zum gemütlichen Mitbangen ein - und dann waren da noch die Originalitätsfaktoren der Band: die Sänger. Während der Leadgitarrist ins Mikro brüllte wie ein paarungsbereiter Elch, sorgte sein Kollege, für den kein Instrument mehr übriggeblieben war, reihenweise für Gänsehäute unter der Zuhörerschaft, und zwar mit wahrlich traumhaften Melodylines irgendwo zwischen Tenor- und Baritonstimmlagen, für die mir nun wirklich kein Vergleich mehr einfällt. Aus der Ferne läßt allenfalls Thomas Karlsson von den schwedischen Doom-Metallern Tristitia grüßen. Auch die Texte bargen einen weiteren Originalitätsfaktor: Lateinische Lyrics sind zwar seit den Anfängen der Briten My Dying Bride 1990 in diesem Genre nichts Neues mehr, aber die Kombination Deutsch-Englisch-Latein ist dann doch neu. Die Stunde, die Dying in Silence zur Verfügung hatten, ging leider viel zu schnell vorbei, und da wegen der Anwohner pünktlich um 22 Uhr der Vorhang fallen mußte, war eine Verlängerung nach hinten auch nicht drin.
Freitagnachmittag zog ein Regengebiet heran, das die spontane Leerung der Wiese vor der Bühne nach sich zog. Leidtragende waren natürlich die Bands, die nur ein wahrhaft mächtiges Häuflein vor sich hatten - immerhin kam aus den Fluchtpunkten, meistenteils die Verpflegungsbuden ringsum, wenigstens noch ordentlicher Applaus heraus. Auch die Leipziger Anatephka Raptors mußten ihren Set noch vor etwa zehn Eisernen, die im Regen ausharrten, beenden. Hinter einem solchen Bandnamen könnte man sowohl eine indisch eingefärbte World Music-Band als auch eine wüste Grindcore-Band mit pathologischen Lyrics im besten Early-Carcass-Stil vermuten. Aber weit gefehlt: Der instrumentale Unterbau erinnerte am ehesten an eine Kreuzung aus Midtempo-Death Metal und Machine Head-styled Groove-Thrash, während der Rap-Gesang überhaupt nicht zu diesem Fundament paßte. Auf so ´ne Mucke gehört entweder ein richtiger Hardcore-Brüller oder ein Death Metal-Grunzer. Der Viersaitenquäler demonstrierte mehrmals, daß er letztgenannten Stil durchaus draufhat, aber... Trotzdem war der Auftritt keinesfalls schlecht und hätte zumindest besseres Wetter verdient gehabt.
Der Regen hörte unmittelbar nach Ende des A.R.-Sets auf, was D.R.E.I.S.T. natürlich zugute kam, da sich das Areal vor der Bühne endlich wieder bevölkerte. Und der Sechser nutzte seine Gelegenheit und fuhr einen vollen Sieg ein. Sänger Burkhard war zwar erkältet, aber dies fiel kaum ins Gewicht und wurde von den meisten Anwesenden wohl gar nicht bemerkt. Die einzige Schublade, in die man die Mucke der Herrschaften stecken könnte, wäre die der Rockmusik. Wenn ihr´s genauer wissen wollt, schaut sie euch gefälligst selber an! Das Nudelholz kannst du eigentlich jetzt weglegen, Thomas...
Headcase aus Münster headlinten am Freitag und versuchten permanent zu beweisen, daß Münster in Kalifornien liegen muß. Als Band aus dem verregneten Nordwestdeutschland kann man doch eigentlich so californiapunkige Musik gar nicht machen... Spaß beiseite: Truppen wie No FX oder Pennywise ließen zwar mehr als einmal grüßen, aber ´ne Geige hat von denen auch noch keiner eingesetzt, was Headcase wenigstens ein bißchen originell machte. Auf Originalität kam es allerdings auch weniger an, sondern mehr auf gute Laune, und die verbreiteten die Münsteraner zweifellos. Passenderweise kam zu ihrem Set dann auch noch mal die Abendsonne heraus...
Insgesamt also viel gute Mugge. Was will man mehr?
 






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