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Patrick Gläser   19.08.2016   Hartha, Stadtkirche
von rls

Die ersten drei "Orgel rockt"-Tourprogramme kennt der Rezensent allesamt ausschließlich anhand der zugehörigen Tonkonserven - nun ergibt sich endlich eine Gelegenheit, das Projekt auch mal livehaftig zu begutachten und damit die Ausgangslage umzudrehen, denn das vierte Tourprogramm hat bisher noch nicht den Weg auf Tonträger gefunden, was eines Tages dann aber planmäßig wie schon bei den drei Vorgängern der Fall sein wird. Das in den Mittelsächsischen Kultursommer eingebettete Konzert sorgt für einen Füllstand der Harthaer Kirche, der fast dem zu Weihnachten entspricht, bemerkt Pfarrerin Maria Beyer in ihrer Anmoderation mit einem kleinen Schuß Sarkasmus in der überwiegenden Freude. Und die Anwesenden bekommen knapp zwei Stunden hochinteressante Orgeladaptionen von Rock-, Pop- und Filmmusikstücken geboten. Van Halens "Jump" gibt mit seinem markanten Thema einen perfekten Opener ab und wird zwar später baßseitig ein wenig undurchsichtig, überzeugt aber mit seinen flächigen Wirkungen und läßt schon mal ahnen, was aus der Harthaer Orgel, einem 1907 erbauten spätromantischen Instrument der Bautzener Werkstatt Hermann Eule, an Klangbombast herauszuholen ist. "Viva La Vida" von Coldplay bringt überwiegend gedeckte Klangfarben zum Einsatz, der Refrain gerät recht hymnisch und das Outro geradezu zauberhaft im Piano. "Fantasy" von Earth Wind & Fire wirkt anfangs ein wenig ungeordnet, holt aber interessante Klangfarben vor allem aus den Baßregistern und verrät in seiner im Exzelsiorprinzip registrierten Finalsteigerung die Kunst des Organisten, aus dem jeweils zur Verfügung stehenden Instrument das zum jeweiligen Stück Passendste herauszuholen.
Kurze Erläuterungen zu den Stücken flicht Gläser jeweils blockweise ein, so vor Udo Lindenbergs "Horizont", das vor allem anfangs Gänsehautkompatibilität aufweist, allerdings mit etwas gesenktem Tempo wohl noch ergreifender ausgefallen wäre. Ein leises Raunen geht durch die Reihen, als das nächste, nicht angesagte Stück beginnt und das Publikum Karussells "Als ich fortging" erkennt, eine der stärksten DDR-Rockballaden, die Gläser, obwohl er als Bewohner Baden-Württembergs keine historisch-emotionale Beziehung zu ihr hat, doch kongenial auf die Orgel bringt - und die Variationen in der Registrierung der Leadmelodie verraten wieder den Könner. Der ist auch in der Filmmusik zu "Game Of Thrones" gefragt, aber auch arrangementseitig, denn vor allem die Fülle der tiefen Stimmen wandelt ständig auf dem Grat der gegenseitigen Behinderung, ohne freilich von jenem ins Tal des Klangmulms zu stürzen. Der Schlußbombast setzt hier wieder mal den Punkt aufs i. "Du hast dir deinen Weg selbst gewählt" ist das erste von mehreren Stücken, in denen Gläser auch singt, und nachdem Übergänge von leisen zu lauten Gesangspassagen die Technik hier noch überfordert haben, klappt das später in "Mary Did You Know" deutlich besser (beeindruckend hier auch die säuselnde Vox Humana, die für eine entrückte Stimmung sorgt), während in der Weg-Nummer (die aus einem nie vollendeten Gläser-Musical stammt) neben den geschickten Tonartwechseln vor allem der abermals zauberhafte leise Schluß punktet. Karats "Über sieben Brücken" braucht etwas Anlaufzeit - der Refrain wirkt beim ersten Mal zu überhastet und beim zweiten Mal zu pastos, erst danach stimmt die Balance und bildet mit den einleitend stimmungsdienlich gewählten Gedackt-Registern einen schönen Rahmen um das Stück der Band, die witzigerweise am gleichen Abend auf der Landesgartenschau in Öhringen spielt, dem Heimatort Gläsers. Auch "Schattenseiten" ist ein von Gläser selbst geschriebenes Musical, und dessen Titeltrack weiß in der Orgelfassung besonders in rhythmischer Hinsicht zu überzeugen. Bryan Adams' "Summer Of '69" ist arrangementseitig sehr dicht geraten, aber alle wichtigen Linien kann man trotzdem wahrnehmen. Über das vielschichtige, aber eher unauffällige "Flash mich" von Mark Forster erreichen wir den pädagogischen Block des Abends: Gläser erklärt im Schnelldurchlauf, wie eine klassische Kirchenorgel aufgebaut ist und funktioniert, und flicht dort noch die "epidemische", von Bach oder auch nicht von Bach stammende Toccata BWV 565 ein. Danach gibt es die Fußballnummer "Auf uns" von Andreas Bourani, die einen Tick langsamer und hymnischer vielleicht noch stärkere Wirkung entfaltet hätte. Europes "The Final Countdown" macht dann die Grenzen des Harthaer Instruments deutlich: Diese Orgel stammt aus einer Zeit, in der man die strahlenden Prinzipalregister der Barockzeit nicht schätzte - aber genau ein solches hätte die markante Keyboardfanfare noch glänzender gemacht und eine starke Umsetzung zu einer sehr starken werden lassen. "Spirits", eine weitere Gläser-Eigenkomposition, beendet traditionell den regulären Konzertteil mit fast schrägen Klanggirlanden und einem großen bombastischen Refrain - aber ohne Zugaben läßt das begeisterte Harthaer Publikum den Organisten natürlich nicht gehen. Die erste ist ein Wunsch des Organisators vom Mittelsächsischen Kultursommer: "Bohemian Rhapsody" gerät zum vielschichtigen Klangerlebnis, das durch das folgende, ein noch geringfügig breiteres Spektrum ausreizende "Nothing Else Matters" aber noch getoppt wird. Dann fragt Gläser (was er nach eigenem Bekunden bisher noch nie getan hat) in die Runde, was sie noch hören wolle - jemand wünscht sich "Sound Of Silence", und Gläser spielt das ungeprobt und in einer meisterlichen, wieder durch eher zurückhaltende Registrierung geprägten Umsetzung. Nach knapp zwei Stunden darf man konstatieren, daß die CD zu Tour 4 das hohe Niveau ihrer Vorgänger problemlos halten können sollte. Falls der Abend übrigens mitgeschnitten worden ist und auf der Scheibe noch Platz für eine weitere Fassung von "Nothing Else Matters" (das schon auf früheren Touren konserviert wurde) sein sollte - die Hartha-Fassung wäre ein heißer Kandidat ... www.orgel-rockt.de verrät die weiteren Tourtermine und dereinst sicher auch das VÖ-Datum der CD.



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