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Bremer Musical Company   16.07.2016   Nöbdenitz, Pfarrhof
von rls

Eine Woche zuvor hatte die Bremer Musical Company in Sotschi bei den World Choir Games den Sieg davongetragen, war anschließend im Bundeskanzleramt und vom Berliner Bürgermeister empfangen worden - das Privileg, das erste Konzert der frischgebackenen Weltmeister zu erleben, aber hat die Gemeinde Nöbdenitz im südlichen Altenburger Land, und zwar open air im idyllischen Pfarrhof. Eine erkleckliche Anzahl von Besuchern will sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen, und so sind die Bänke gut gefüllt.
Die Company pflegt in wechselnden Besetzungen zu agieren, wie es das konkrete Programm eben erfordert - es gibt Thomas Bläschke als zentrale Figur sowie aus einem größeren "Pool" herangezogene, mal mehr, mal weniger Stammcharakter aufweisende Sänger und Instrumentalisten. An diesem Abend gibt es eine Quintettformation: drei Sängerinnen, ein Sänger, dazu Bläschke selbst am Piano. Die Sänger agieren in allen nur denkbaren Konstellationen: vierstimmig chorisch, solistisch mit oder auch ohne Chorbegleitung oder auch ganz solistisch zu Bläschkes Klavierklängen. Auch vom Programm her hat man ein buntes Potpourri zusammengestellt, das sich zum überwiegenden Teil aus deutschen Fassungen verschiedener Musicalhits zusammensetzt, aber auch anderes Liedgut vom Uraltschlager bis zur zeitgenössischen Popmusik einwirft. Was jetzt von der Beschreibung her wie ein Sammelsurium der Beliebigkeit anmutet, bekommt live einen roten Faden, ohne daß außer Bläschkes Moderation dafür ein rationaler Grund angebbar wäre: Irgendwie ist das Ganze trotz verschiedenartigster Herkünfte doch stimmig, dazu natürlich erstklassig arrangiert und technisch überwiegend exzellent dargeboten. Einzig Alexander Hohler wird ein bißchen zum sängerischen Problemfall: Zum einen ist sein Mikrofon (alle singen über Kopfmikros) relativ leise eingestellt, was sich nach der Pause zwar bessert, aber er bleibt der leiseste der vier Vokalisten und geht in den Ensemblepassagen daher klanglich etwas unter, was diese Passagen noch höhenlastiger macht, als sie von der Grundanlage her schon sind, womit wir beim zweiten Problem wären: Alexander ist Tenor - das heißt, den Chorteilen fehlt ein Baßfundament. Hat man sich daran einmal gewöhnt, stört das aber gar nicht so sehr, zumal die allgemeine sängerische Qualität natürlich außerordentlich hoch liegt, wie auch Alexander in "Dunkles Schweigen an den Tischen" (aus "Les Miserables") unter Beweis stellen kann: Zwar bleibt die Düsternis mäßig, aber die Dramatik stimmt definitiv. Nina Arena ist in "Die Kleptomanin" (aus "Spuk in der Villa Stern") und "Egon" fürs witzige Fach zuständig, das auch Nadine Bieber in "Am Schießeisen beißt keiner an" (aus "Annie Get Your Gun") beherrscht, aber in ihren anderen Solonummern eine große Wandlungsfähigkeit an den Tag legt. Als Haupttrumpf der Company entpuppt sich allerdings Sara Dähn, die in ihrer ersten Nummer "Erinnerung" (aus "Cats") nur ein paar Sekunden braucht, um dem Hörer die erste von etlichen Gänsehäuten zu bescheren - weitere kommen u.a. in "Wein nicht um mich, Argentinien" aus "Evita" oder in "Kleiner Stern" aus "Anastasia". Letzteres ist eine von zweieinhalb Eigenkompositionen im Set - das Musical über die letzte Romanow-Tochter wird ab dem 9.2.2017 im Musical Theater Bremen zu sehen sein, und der kurze Vorgeschmack, der anstatt der Pianobegleitung ein Konservenorchester beschäftigt, wirkt durchaus vielversprechend und macht neugierig, auch wenn man anhand einer Nummer natürlich noch nicht aufs Gesamtwerk schließen kann. Aber mit "Träume" hat die Company vor anderthalb Jahrzehnten schon mal ein abendfüllendes Werk in starker Qualität auf die Bretter gebracht, und auch davon steht mit "Leben" eine von Sara gesungene Nummer im Set (der Rezensent hatte die CD knapp anderthalb Jahrzehnte nicht mehr im Player gehabt - aber an den markanten Oktavsprung konnte er sich immer noch erinnern). Aber so vielseitig die "Primadonna" auch agiert - "Ich will keine Schokolade" ist nichts für sie. Zum einen assoziiert man diese Nummer so stark mit Trude Herr, daß jede "Ersatzkraft" es enorm schwer hat, und zum anderen wirkt die Darbietung aus ebenjenem Grund zu "geschauspielert", auch zu glatt. Wie man scheinbar persönliche Statements mit den Nummern verbindet und die Geschehnisse damit quasi mit sich selbst assoziiert, dafür liefert die witzige (wenn auch partiell ausufernde) Moderation Bläschkes, die teilweise ebenfalls von Sara übernommen wird, etliche Beispiele ("Die Kleptomanin", "Mamma Mia"). Daß die Company aber auch ausschließlich mit ihrem Gesang überzeugen kann, demonstriert etwa der Dreierblock aus einem eigenkomponierten "Gloria"-"Kyrie"-Doppel (interessant, da abseits jeglicher kirchenmusikalischer Schemata, aber auch völlig ungospelig - das würde man gerne mal in der vollen siebenstimmigen Besetzung hören) und Leonard Cohens "Hallelujah". Das Publikum ist bester Laune, und so erklatscht man sich nach dem Abschlußstück, Queens "Bohemian Rhapsody" (in das an der passenden textlichen Stelle "Mamma Mia" eingeflochten wird - ein interessanter Coup, der sicher auch die Jury in Sotschi begeistert hat), noch die Zugabe "Die Rose" von Amanda McBroom, das trotz der einen oder anderen zu bemüht wirkenden Verzögerung abermals zu überzeugen weiß und ein letztes Mal für Gänsehaut sorgt. Dann ist nach etwa zwei Stunden Nettospielzeit Schluß, und die Company verspricht wiederzukommen - sehr gerne! www.bremer-musical-company.de und www.anastasia-musical.de geben weitere Auskunft.

Setlist:
I Will Follow Him (aus "Sister Act")
Erinnerung (aus "Cats")
Stadt
Die Kleptomanin (aus "Spuk in der Villa Stern")
Leben (aus "Träume")
Am Schießeisen beißt keiner an (aus "Annie Get Your Gun")
Draußen (aus "Der Glöckner von Notre Dame")
Ich will keine Schokolade
Nur für mich (aus "Les Miserables")
Wir gehen zusammen (aus "Grease")
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Requiem/Wein nicht um mich, Argentinien (aus "Evita")
Dunkles Schweigen an den Tischen (aus "Les Miserables")
Gott, deine Kinder (aus "Der Glöckner von Notre Dame")
Egon
Gloria/Kyrie/Hallelujah
Mamma Mia (aus "Mamma Mia")
Kleiner Stern (aus "Anastasia")
Bohemian Rhapsody
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Die Rose



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