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Alessandro Stradella: San Giovanni Battista   24.06.2016   Leipzig, Musikinstrumentenmuseum der Universität
von rls

Kulturförderung anno 1675: Die Johannesbruderschaft der Florentiner beauftragt gleich 14 Komponisten mit der Erschaffung neuer Oratorien, darunter Alessandro Stradella. Dessen Werk über Johannes den Täufer ist das einzige der 14, dessen Text- und Notenmaterial erhalten geblieben sind; es liegen (mindestens) zwei CD-Einspielungen vor, und das Barockopernprojekt der Leipziger Hochschule für Musik und Theater widmet sich in diesem Jahr ebenjenem Werk, das wie üblich nach seiner Frühjahrsaufführung in der Hochschule noch ein zweites Mal auf die Bühne kommt, nämlich auf die des Zimeliensaals im Musikinstrumentenmuseum als Auftakt des Alte-Musik-Festes der HMT.
Nun handelt es sich, wie der aufmerksame Leser bemerkt hat, nicht um eine Oper, sondern um ein Oratorium - die Leipziger Aufführung allerdings ist trotzdem keine rein musikalische, sondern eine szenische: Zwar gibt es kein Bühnenbild o.ä., aber die Protagonisten sind in historische Kostüme gehüllt und partiell auch noch mit Perücken ausgestattet bzw. gestraft (der Rezensent, der schon passiv im hochtemperierten Saal transpiriert, möchte nicht wissen, wie warm es unter den Perücken war); diverse der Herren hätten ohne Umkleidung auch sofort bei Rhapsody Of Fire einsteigen können. Musikalisch interessant ist der Umstand, daß Stradella das Orchester in ein Concertino und ein Concerto grosso geteilt hat, wofür dieses Oratorium ein musikgeschichtlich sehr frühes Beispiel darstellt (Arcangelo Corelli hat das später in diversen bekannteren Werken auch praktiziert, und interessanterweise war er an der 1675er Aufführung des Oratoriums in Rom als Geiger beteiligt). Die beiden Gruppen stehen an diesem Abend auch räumlich getrennt links respektive rechts vor der Bühne, und Stradella nutzt die sich ergebenden Möglichkeiten konsequent, vom Unisonoklang aller 13 Musiker über mannigfaltigste Wechselstrukturen bis hin zu richtigen "Duellen", wobei das Concerto grosso die Ouvertüre übernimmt und auch ansonsten in den markanteren Instrumentalpassagen die bedeutendere Rolle spielt, während das Concertino zumindest anfangs eher eine Begleitfunktion für die Sänger ausübt, wobei im Verlaufe des in der Fassung dieses Abends knapp anderthalbstündigen Stückes mehr und mehr eine Verzahnung dieser beiden Rollen auftritt.
Im Fokus des Interesses stehen natürlich die Sänger, deren es fünf Solisten und fünf Choristen gibt, wobei einer der letzteren, der Tenor Marc-Eric Schmidt, auch einen kurzen Soloteil zu bestreiten hat ("Uno del Choro" sagt das Libretto) und sich dieser Aufgabe durchaus gekonnt entledigt, wie überhaupt der Chor etliche richtig starke Momente hervorzaubert, etwa im polyphonen Geflecht der zehnten Nummer "Dove, Battista". In der Titelrolle Johannes des Täufers, der im von Ansaldo Ansaldi getexteten Oratorium ungefähr das zu erleiden hat, was aus der Bibel bekannt ist (wenngleich mit geringfügigen Änderungen - Herodes bekommt hier noch einen Berater zur Seite gestellt, und auch sein Verhältnis zu Salome, die hier Heroiade figlia heißt, ist etwas anderer Natur), steht Franziska Ernst, die einen angenehmen, allerdings relativ gedeckten Alt ins Feld führt, der sich gegen das Concertino noch einigermaßen durchsetzen kann, gegen das Concerto grosso oder gar beide im Verein aber kaum noch hörbar ist. Vor letzterem Problem steht auch Alice Ungerer als Herodiade madre, wenn sie in tiefere Lagen kommt, während sie in den Höhen deutlich vernehmbar ist und nach etwas angestrengtem Beginn im Verlaufe des Oratoriums deutlich an Leichtigkeit gewinnt, wobei sie allerdings nach hinten hinaus nur noch wenige Einsätze hat. Jean-Baptiste Mouret als Herodes bekommt für sein jugendliches Alter schon eine beachtliche Tiefe hin, die er in Zukunft sicherlich noch ausbauen wird. Minsub Hong als Consigliere, also Berater, schiebt die Dynamikgrenzen weit nach außen, ist in den Pianopassagen also gar nicht mehr zu hören, während er im Forte alles niederdröhnt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. So kippt auch eine Terzettnummer wie "Non fia ver che mai si sciolga" mit den beiden Herodiaden in eine ungewollte One-Man-Show, was vielleicht die Rolle des unklugen, aber vorlauten Beraters prima symbolisiert, aber musikalisch trotzdem wenig erbaulich ausfällt. So bleibt für Viola Blache als Herodiade figlia, also Salome, der eindeutige Spitzenplatz des Abends: Zwar braucht auch sie ein wenig Zeit, um sich warmzusingen, aber wie sie dann ansatzlos butterweiche Höhenlagen erklimmt, das läßt einen regelmäßig mit heruntergeklappter Kinnlade zurück. Daß ihre und Ungerers Stimme prima zusammenpassen, macht das Duett "Freni l'orgoglio" deutlich, und ihre Aufstachelung Herodes' in "Alto Signor" läßt an Verschlagenheit nichts zu wünschen übrig. Den berühmten Tanz der Salome ersetzt man an diesem Abend kurzerhand durch eine Wanderung im Mittelgang. Blache kommt im weiteren Verlauf der Handlung die zentrale dramaturgisch aufgeladene Rolle zu, und dieser entledigt sich die Sopranistin in erstklassiger Manier, egal ob sie in "Regnator glorioso" noch eine blasse Nachahmung ihrer Mutter zu geben hat oder ab Nummer 30 in verschiedenartigster Manier auf Herodes einwirkt: schroff in "Reo si fa", scheinbar Trübsal blasend im chromatisch absteigend gestalteten Wort "discolora!" - und da ist noch die brillante, aus dem Nichts kommende Einleitung des Duetts mit Herodes in "Nel seren". Der zum Tode verurteilte Täufer darf in Nr. 37b auch noch großes italienisches Pathos abliefern, und das tut Franziska Ernst in prima Manier, während Salome am Ende ihrer Arie "Sù coronatemi" förmlich das Wort im Halse steckenbleibt. Ob deshalb der Gegensatz in ihrem Finalduett mit Herodes (sie triumphiert, er wird von Zweifeln gepeinigt) nicht bis ins Letzte ausgereizt wirkt? Egal: Der Schlußton läßt den Hörer verstört zurück (das ist auch Sinn und Zweck des Ganzen), aber der Applaus bleibt nicht lange aus und wird vom recht gut gefüllten Saal verdientermaßen in reichlicher Menge gespendet.



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