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Shavnabada   25.05.2016   Leipzig, Evangelisch-reformierte Kirche
von rls

Anno 2010 war der Ankhiskhati Choir beim A-Cappella-Festival in Leipzig zu Gast gewesen und hatte der beeindruckten Zuhörerschaft in der Evangelisch-reformierten Kirche eine erstklassige Kostprobe der georgischen polyphonen Gesangstradition dargeboten, die unabhängig von der europäischen Polyphonie (und zu einem früheren Zeitpunkt) entwickelt worden war und nach wechselvoller Geschichte und einer gewissen Agonieperiode während der Sowjetzeit, als sie im wesentlichen nur noch im georgischen Volk weiterlebte und nicht mehr institutionell gefördert wurde, noch vor dem Zerfall der Sowjetunion wieder als zartes Pflänzchen zu gedeihen begann, wobei der genannte Chor der Ankhiskhati-Kirche eine gewisse Pionierrolle bei der Wiederentdeckung, Neuerforschung und Förderung dieser traditionellen georgischen Gesänge spielte. Zu seinen "Ziehsöhnen" gehört eine Formation namens Shavnabada, deren Mitglieder aus den Kinderchören Martve und Bichebi hervorgegangen sind und die an diesem Abend in einer Oktettbesetzung abermals beweisen, welch reicher und origineller Schatz hier gerade mal vier Flugstunden von Deutschland entfernt zu heben ist.
Den Opener "Zamtari" singen alle acht Mitglieder, aber in der Folge sind meist kleinere Besetzungen Trumpf. Besagtes "Zamtari" stammt aus Kachetien, der östlichsten Provinz Georgiens, wo gewisse asiatische Einflüsse etwas mehr Raum einnehmen als in den anderen Arealen des Landes, was man hier auch an der Gestaltung bestimmter Melismen hört. Etliche Stücke weisen eine jodelartige Oberstimme auf, etwa "Alipasha Adila", ein gegen die Türken gerichtetes Kriegslied aus der Region Gurien, die bis zur Angliederung Adschariens nach einem der zahlreichen russisch-türkischen Kriege die Grenzprovinz zur Türkei bildete. Überhaupt fällt auf, daß dieser jodelartige Gesangsstil hauptsächlich bei den Liedern gurischer Herkunft zu finden ist und offensichtlich einen kämpferischen Hintergrund hat, da er etwa im gurischen Friedenslied "Chven Mshvidoba" nicht auftaucht. Drei Kirchenlieder stehen im Programm, u.a. das extrem ruhige "Shen Khar Venakhi" und das aus dem berühmten Kloster Gelati, einem der bedeutendsten geistigen Zentren des Mittelalters, stammende "Shen Gigalob". Der "Rest" ist dem Volksliedschaffen zuzurechnen, wobei auch Shavnabada mit der Wahl eines abchasischen Liedes ("Sharatin") ein politisches Statement zur Abspaltung dieser Provinz abgeben. Mit "Nana" eröffnet ein Wiegenlied aus der abgelegenen Provinz Swanetien den zweiten Programmteil - in selbigem Areal war der Rezensent anno 2015 selbst unterwegs. Interessanterweise setzt sich das Programm ausschließlich aus Stücken der westlichsten Provinzen und aus Kachetien als östlichster Provinz Georgiens zusammen - das innere "Kernland" bleibt hingegen völlig außen vor. Die Erläuterungen zu den Stücken sind im ersten Programmblock nur schwer verständlich - im zweiten hat man für Giorgi Abaschidse, der die Moderation in Englisch hält, ein Mikrofon organisiert, so daß man ihm deutlich besser folgen kann (was auch wichtig ist, denn die Setlist im Programmheft stimmt mit der realen, hier am Ende zu lesenden nicht überein, und Stalins Lieblingslied "Suliko" beispielsweise, das im Programmheft angekündigt wird, kommt real nicht zum Erklingen). Das reguläre Programm endet mit dem kachetischen Tafelgesang "Chakrulo", der 1977 mit der Sonde "Pioneer 1" ins All geschickt wurde, und dem gurischen, mit ultrakomplizierter, aber vom hier wieder vollzählig aktiven Oktett erstklassig gemeisterten Arbeitslied "Shemokvedura", in dem gleich zwei Jodelstimmen mitmischen und das immer komplizierter und vertrackter wird, bevor sich alle am Ende auf einem enorm hohen Ton treffen. Rauschender Beifall belohnt das Ensemble, das die Zuschauer im ausverkauften Kirchenraum noch mit zwei Zugaben belohnt, beides Wiederholungen aus dem regulären Programm, aber deshalb nicht weniger reizvoll. So endet ein enorm starkes und interessantes Konzert, das auch nicht Dabeigewesene noch erleben können - der Deutschlandfunk hat es aufgenommen, und sobald ein Sendetermin feststelt, wird er auf www.a-cappella-festival.de bekanntgegeben. Nur der georgische Wein und die Chatschapuri, eine Art Käsebrot, die während und nach dem Konzert noch feilgeboten werden, entgehen den Radiohörern - es sei denn, man sorgt vorher für einen entsprechenden Vorrat (und speziell die adscharischen Chatschapuri, die der so auch schon gehaltvollen Grundmixtur noch ein Spiegelei hinzufügen, sind ausgesprochen lecker, wie der Rezensent zuletzt 2015 in Kobuleti wieder feststellen durfte ...).

Setlist:
1. Zamtari (Kakheti region)
2. Shen Khar Venakhi (Church Song)
3. Alipasha Adila (Guria region)
4. Shen Gigalob (Church Song)
5. Chela (Samegrelo region)
6. Harira (Samegrelo region)
7. Tsintskaro (Kakheti region)
8. Mravaljamier (Kakheti region)
9. Mamao Chveno (Church Song)
10. Khasanbegura (Guria region)
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11. Nana (Svaneti region)
12. Shemodzakhili/Turfani Skhedan (Kakheti region)
13. Urmuli (Kakheti region)
14. Sharatin (Abkhazeti region)
15. Nana (Kakheti region)
16. Chven Mshvidoba (Guria region)
17. Chakrulo (Kakheti region)
18. Shemokmedura (Guria region)
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19. Shemokmedura (Guria region) (Final Part)
20. Mravaljamier (Kakheti region)



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