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Parasol Caravan   19.03.2016   Jena, Kulturbahnhof
von rls

Der Parasolpilz ist auch als Riesenschirmpilz bekannt - ein, wenn man nicht gerade ein madenzerfressenes und/oder uraltes, zähes Exemplar erwischt, leckerer Speisepilz, wobei er im Falle des Rezensenten im Normalfall als Beigabe in einem gemischten Pilzomelett landete, aber man soll die Hüte auch wie Schnitzel panieren können. Über psychoaktive Wirkungen des Pilzes ist hingegen nichts bekannt (im Gegensatz zu diversen kleineren verwandten Schirmlingen), während eine Karawane von Parasolpilzen problemlos auch eine größere Menschenmenge sättigen können müßte. Der praktische Beweis für diese Theorie wird an einem Samstagabend in Jena erbracht, wo Parasol Caravan im Rahmen der Cosmic-Dawn-Veranstaltungsreihe auf die Bühne steigen, und zwar überraschenderweise als erste Band und nicht als Headliner. Dem Rezensenten ist dieser Tausch sehr recht, denn wegen Parasol Caravan ist er primär anwesend - und er wird mit einem starken Gig belohnt. Das Quartett eröffnet mit einem Intro aus Flugbetriebs- oder Raumfahrtstartgeräuschen, spielt dann aber keinen abgehobenen Spacerock, sondern soliden Stoner Rock mit starker Progschlagseite, die sich natürlich speziell in der Rhythmuswahl äußert. Drummer Vincent Böhm hält es nur selten lange ohne Break aus, aber er zerstört die Songbasis damit nicht - immerhin bietet ihm das Songwriting auch so mancherlei originelle Entfaltungsmöglichkeiten seines spieltechnischen Könnens, wenn etwa "Snash" einen 7/4-Takt als Basis hat. Einen Keyboarder haben Parasol Caravan nicht, sie setzen ihre Songideen ausschließlich mit der klassischen Rockbesetzung, also zwei Gitarren, Baß und Drums, um und gönnen sich nur eine Erweiterung, die allerdings Seltenheitswert hat: Richard Reikersdorfer, der eine der beiden Gitarristen, der aussieht wie eine Mixtur aus den beiden DDR-Rock-Helden Hans Knippenberg (Possenspiel) und Thomas "Monster" Schoppe (Renft) und offenbar ein gutes Stück älter als seine drei Kompagnons ist, hat auch noch ein Gesangsmikrofon vor sich, das er über eine Talkbox laufen lassen kann, so daß Vokalisen auch mal wie ein Didgeridoo klinge, ein heruntergezählter Countdown eine Computerstimme simuliert oder gar Eindrücke mongolischen Obertongesangs entstehen. Leider ist dieses Mikrofon nicht immer so laut eingepegelt, daß man alle damit erzeugten Klänge wahrnehmen kann - das einzige Manko in einem sonst erstklassigen Klanggewand. "Richtigen" Gesang gibt es aber auch zu hören - Bassist Alexander Kriechbaum fungiert zugleich als Leadvokalist und klingt deutlich älter, als er eigentlich ist: eine rauhe, nach viel Feuerwasser klingende und südstaatenrockkompatible Röhre, die bisweilen leichte Anklänge an die Herren Hetfield und Cornell aufweist, am besten vergleichbar aber mit Fee Waybill von The Tubes zu deren Mittneunziger-Zeiten ist, also etwa zur Zeit des "Genius Of America"-Albums. Zudem ist der Basser auch der bühnenaktivste Musiker und tobt fleißig umher. Die erste Ansage versucht er noch in Hochdeutsch zu halten, merkt aber schnell, daß das beim Versuch bleiben würde, und so wechselt er in sein heimisches Idiom - die Band kommt aus Linz, und so hören wir in der Folge einen sympathischen österreichischen Dialekt, den das Jenaer Publikum, das ja auch Hubert von Goisern gewöhnt ist, problemlos entschlüsseln kann. Die Stimmung im Saal ist jedenfalls prächtig, sowohl auf als auch vor der Bühne, und da das durch Gitarrist Bertram Kolar komplettierte Quartett aller Progressivität zum Trotz seine Songs mit einer gewissen Grundtanzbarkeit ausstattet, gerät so manches Tanzbein im gut gefüllten Saal in Bewegung und manches Haupthaar gleichfalls. Die stärksten Songs neben dem erwähnten Siebenvierteler haben Parasol Caravan übrigens ans Setende gestellt: "Black Monolith" könnte angesichts des markanten Hauptriffs und der nicht weniger markanten "Refrainzeile", die das Publikum beim zweiten Mal auf entsprechende Aufforderung auch gleich mitformuliert, zum Quasi-Hit der Band werden, das folgende "Time Bender" weist einen geradezu lehrbuchkompatiblen Spannungsaufbau auf (da verzeiht man sein etwas unmotiviert wirkendes Ende gern), und der Setcloser "New Stone" schließlich entwickelt sich aus einem ganz harmlos wirkenden Motiv in ein riesiges Bombastfinale, wo dann auch mal die Spielgeschwindigkeit markant nach oben gesetzt wird und allgemein große Begeisterung entsteht, die lautstarke Zugabeforderungen ergibt, obwohl gleich nach dem Verklingen des Schlußakkords die Umbaupausenmusik beginnt. Aber das Publikum läßt nicht locker, und so genehmigt die Cosmic-Dawn-Crew der Band eine außerplanmäßige Zugabe in Gestalt von "Self Mastery". Danach fällt für den Rezensenten der Hammer - er hat einen anstrengenden Tag hinter sich, ist ziemlich müde und entscheidet sich, die heimische, noch 100 Kilometer entfernte Matratze aufzusuchen und die, wie ein nachträglicher Blick auf Facebook zeigt, offenbar schon ein paar Tage vor dem Gig zum Headliner mutierten Mother Tongue aus Plauen bei anderer Gelegenheit zu begutachten.

Setlist Parasol Caravan:
Rising
Diarancor
Veneer
Snash
The Barbers Snake
Black Monolith
Time Bender
New Stone
--
Self Mastery



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