www.Crossover-agm.de
Black Tooth Scares, Take All To Heaven, This Room Is Alive, 20 Liter Yoghurt   12.09.2015   Leipzig, Halle 5
von rls

In regelmäßigen Abständen gibt das Kinder- und Jugendzentrum Halle 5, auf der Rückseite des bekannten Werk II gelegen, Newcomerbands eine Auftrittsmöglichkeit, so auch an diesem angenehm warmen Septemberabend, an dem scheinbar der ganze Stadtteil Connewitz konzerttechnisch belegt ist, wie zum Conne Island und zum UT Connewitz pilgernde Scharen unter Beweis stellen. Aber auch 20 Liter Yoghurt, die für Leather Phantom einspringen, dürfen sich über eine beachtliche Kulisse freuen, wobei sie offenbar einige Fans aus ihrer Grimmaer Homebase mitgebracht haben, die dann auch mächtig Stimmung machen und die anderen Anwesenden, denen die Band überwiegend noch unbekannt gewesen sein dürfte, mitreißen. 20 Liter Yoghurt covern trotz analog konstruiertem Bandnamen nicht die DDR-Indierocklegende Tausend Tonnen Obst, und die Rasta-Optik des Gitarristen führt genauso in die Irre wie sein Queen-Shirt: Zu hören bekommen wir einen bunten Querschnitt durch alle möglichen Genres mit dem Nachnamen -core, was vom Rage-Against-The-Machine-kompatiblen Groovesound bis zum halbminütigen Grind-Gepolter reicht. Dazwischen liegt viel klassischer Hardcore, und auch Metalcore verschiedenster Ausprägung ist dem Quartett nicht fremd, wobei der Metal möglicherweise früher noch einen breiteren Raum im Schaffen der Band eingenommen haben könnte - darauf deutet jedenfalls das schon etwas ältere "Decisions" hin, das viel Metal inkorporiert hat und zugleich den Gitarristen einen Tappingausflug aufs Griffbrett unternehmen läßt, was im Hardcore auch eher selten vorkommt. Während besagter Gitarrist allerdings ein wenig angestrengt wirkt, ist der Sänger ein pures Energiebündel, im stimmlichen Gebrüll wie im wilden Herumspringen - und er ist gerade erstmal seit zwei Wochen und ebenso vielen Proben in der Band, weil der etatmäßige Sänger gerade in Rußland weilt, um dort in einem Heim für behinderte Kinder zu helfen. 20 Liter Yoghurt gehören trotz ihres lustig wirkenden Bandnamens zu der Kategorie von Bands, für die Hardcore auch noch eine sozial engagierte Lebenseinstellung beinhaltet; drei der vier Mitglieder sind außerdem Veganer, was sich im Song "Fuck Meat" widerspiegelt, während der Mini-Hit "Kartoffelsalat" sich gegen Ausgrenzung Andersdenkender wendet und "Our World" außer durch sein Akustikintro auch noch durch seine Botschaft von der uns anvertrauten Welt auffällt (Ansage: "Wenn ich die Tagesschau sehe, könnte ich dauernd kotzen - aber davon wird die Welt ja nicht besser"). Das Publikum ist von Musik und Message jedenfalls sehr angetan (man versteht letztgenannte trotz des etwas zu leise eingestellten Mikrofons problemlos), und im Setcloser "Heart Of The Youth Age" gibt's auch noch den ersten Circle Pit des Abends.
Nach so einer intensiven Show hat's jede Band schwer, und This Room Is Alive müssen erstmal mit einer ziemlichen Leere vor der Bühne fertigwerden. Aber auch sie geben Vollgas, und siehe da, am Setende steht wieder fast die gesamte Meute des teils noch ziemlich jungen Publikums in Bühnennähe, und viele toben sich dort auch fleißig aus. Die Hallenser überraschen zunächst mit ihrer Besetzung aus einem Sänger, zwei Gitarristen und einem Drummer - der fehlende Bassist gehört allerdings nicht zum künstlerischen Konzept: Der justament eingestiegene Neuzugang Paul hat das Material schlicht und einfach noch nicht einstudieren können, und so macht er sich als "Nummernboy" nützlich, der regelmäßig vor der Bühne wandelt und einen handgeschriebenen Zettel mit dem Bandnamen ins Publikum hält, so daß dieser in den Gehirnen der Hörer eine noch intensivere Verankerung erfahren kann. Das bühnenaktive Quartett zockt derweil eine Mixtur aus Death- und klassischem Metalcore durchaus beachtlichen Komplexitätsgrades (eine etwas längere nötige Einarbeitungszeit eines neuen Bandmitgliedes verständlich machend), wobei man die Gitarren gern noch etwas transparenter gehört hätte, um die melodischen und harmonischen Einfälle besser nachvollziehen zu können. Die Hallenser haben gerade eine neue EP namens "Redemption" draußen, und deren Repertoire bildet natürlich die Grundlage des Sets, wobei der Titeltrack, der live an vorletzter Stelle erklingt, aufgrund seines überwiegend schleppenden Tempos eine Sonderstellung einnimmt. Ansonsten leiden auch This Room Is Alive etwas unter der alten Metalcorekrankheit, in jedem Song alle zur Verfügung stehenden Stilistika unterbringen zu wollen und darüber das stringente Songwriting etwas zu vernachlässigen, auch wenn sie ihre Sache spieltechnisch augenscheinlich wirklich gut machen und auch der Sänger ein angemessen intensives Brüllorgan ins Feld führen kann, während er zwischen den Songs im völligen Gegensatz zu seinem Yoghurt-Vorgänger einen eher schüchternen Eindruck hinterläßt, mit der Ansage "Der nächste Song ist auch von der EP" allerdings den Running Gag des Abends landet und es schafft, am Ende alle Anwesenden auf die Seite der Band gezogen und aus einem weitgehend leeren einen weitgehend vollen Bühnenvorraum gemacht zu haben. Respekt!
Das Stichwort "schleppendes Tempo" ist ein gutes für Take All To Heaven: Die junge Band spielt ihren allerersten Gig überhaupt, und mit Ausnahme eines kurzen schnellen Stakkatoparts am Beginn von Lied 3 sind alle fünf Kompositionen ihres Sets (vier eigene und ein Cover zum Abschluß) in langsamem bis unterem mittlerem Tempo gehalten. Das verschafft den jungen Leipzigern schon von Anfang an eine gewisse eigene Identität - und daß man auch damit ein Publikum mitreißen kann, beweist dieser Abend deutlich, denn auch wenn viel Publikum zum Bandumfeld gehört haben dürfte, so doch keineswegs alles, und Take All To Heaven dürften sich durchaus den einen oder anderen neuen Fan erspielt haben. Einer genaueren Analyse ihres Songmaterials steht der Fakt entgegen, daß man von der Leadgitarre nur sehr wenig hören kann und auch die Rhythmusgitarre weitgehend untergeht - so bleibt der Eindruck eines gewissen Crowbar-Einflusses, der aber bei Kenntnis des Konservenmaterials durchaus noch ergänzt zu werden verspricht, denn das wenige, was man von den Leads hört, weist einflußtechnisch eher in die alte deathdoomige Schule. Interessant für den Zeitgeist: Das Quintett hat seine Debüt-EP schon fertig aufgenommen, bevor es diesen seinen ersten Gig gespielt hat. Auf selbiger ist der Sänger von Arctic Island als Gast bei einer Nummer zu hören, live muß der etatmäßige Fronter das im Alleingang bewältigen (der Bassist hilft gelegentlich mit Cleanvocals und Gangshouts aus), hält sich dabei aber wacker, egal ob er brüllt oder eher kreischt. An der Publikumskommunikation darf er gern noch arbeiten, aber die Zuhörer zeigen sich trotzdem animiert und feiern die mit interessanter Shirtkombination (Sänger: Drop Dead; Leadgitarrist: weinrotes Shirt mit unklarem Motiv, aber farblich zur Gitarre passend; Rhythmusgitarrist: Suicide Silence; Bassist: Aufschrift "Stay Metal"; Drummer: symbolhafte Verkörperung des Bandnamens) antretende junge Band gebührend.
Als die Bandmitglieder von Take All To Heaven noch zur Grundschule gegangen sein dürften, hatte die ortsansässige Metalband Nitrolyt zwei Gitarristen, die ein kurioses Gesamtbild ergaben: der eine 1,56 m "groß", der andere über zwei Meter. Ein ähnliches Bild sieht man nun bei Black Tooth Scares, allerdings in etwas anderer Zusammensetzung: Der eine Gitarrist, der auch Leadsänger ist, besitzt die Form eines Kleiderschrankes, und in sein Volumen dürfte die süße Dunkelblondine an der anderen Gitarre locker zweimal hineinpassen. Musikalisch harmonieren die beiden, die sich in die Leadarbeit hineinteilen, allerdings prächtig, wobei es eine schwierige Aufgabe ist, überhaupt eine musikalische Beschreibung vorzunehmen, denn das Quartett ist zweifellos als Crossover anzusprechen, ohne damit aber Stilassoziationen zu wecken, sondern einfach den Aspekt der Vermischung verschiedener Elemente zu benennen. Da gibt es modernen Hardrock, aber auch Rock'n'Roll, Punk, Alternative, Volbeat-artige Elemente - und die Gitarrenleads stammen zu allem Überfluß auch noch aus einem traditionellen Hardrockverständnis. Dazu kommt der Gesang - allein aufgrund der Körperform hätte man etwas viel Aggressiveres erwartet, aber es erklingt ein Mix aus cleanem und leicht angerauhtem klassischem Rockgesang, und die Ansagen sind von einer angenehmen und zugleich humoristischen Schnoddrigkeit: "Es haben ja schon drei Bands gespielt, aber ich habe leider Gottes keine gesehen. Aber sie waren bestimmt alle gut." - sowas wäre in anderem Kontext als provinzrockstarmäßige Hochnäsigkeit gebrandmarkt worden, aber hier nimmt man das mit einem Schmunzeln zur Kenntnis, zumal es von sitcomartigen Situationen flankiert wird: "Jetzt kommt ein neuer Song - und los geht's!" - der Bassist, der wegen seiner Backingvocalshouts auch ein Mikrofon vor der Nase hat, fragt :"Und wie heißt der?", aber die Gitarristin fängt quasi in die Frage hinein schon an zu spielen, so daß dem Publikum der Songtitel vorenthalten werden muß. Irgendwie kommt einem beim Hören Danko Jones in den Sinn, und der erfreut sich ja durchaus großer Beliebtheit, so daß auch Black Tooth Scares noch die eine oder andere Station nach oben klettern könnten, wenn es der Sänger schafft, rechtzeitig von der Party aus der Moritzbastei wieder im Proberaum zu erscheinen. Das Publikum fühlt sich jedenfalls prima unterhalten, und einige Enthusiasten fordern auch noch eine Zugabe ein, die kurz vor Mitternacht dann auch noch gewährt wird.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver