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Infest, Panychida, Wound Spreader   11.09.2015   Leipzig, Bandhaus
von rls

Eine ungeplante großräumige Umleitung führt dazu, daß der Rezensent Beethovens 3. Klavierkonzert im Autoradio (Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann beim George-Enescu-Festival in Bukarest) noch komplett hören kann, aber dafür die erste Hälfte des Gigs von Wound Spreader verpaßt. Die zweite Hälfte zeigt das Quartett als typischen Deathcore-Vertreter, technisch sauber agierend, aber mit wenig Wiedererkennungswert, sowohl was die einzelnen Kompositionen als auch generell den Bandstil angeht. Nichtsdestotrotz eröffnet eine Einzelbetrachtung durchaus interessante Momente, etwa im aberwitzig strukturierten Intro von "Dark Matter", einem Song, der auch im weiteren Verlauf immer wieder zu überraschen weiß, beispielsweise mit plötzlichen Tappingeinwürfen des Bassisten. Das, was die beiden Saitenartisten hervorzaubern, kann man gegen Setende auch immer besser verfolgen, da der Soundmensch den vorher etwas vorlauten Drummer einen Deut herunterpegelt. Der Sänger, der einen Afro der Marke Paul Breitner mit sich herumträgt, hinterläßt zwischen den Songs einen fast schüchternen Eindruck, geht stimmlich aber voll aus sich heraus, und eine energische Bühnenshow gehört trotz nicht eben viel zur Verfügung stehenden Platzes auch dazu. Der Setcloser endet mit einem großen Doomschleifpart und fügt damit noch ein bisher zumindest im vom Rezensenten gehörten Teil des Sets noch unbekanntes Stilmittel hinzu, nach dem Wound Spreader vom Publikum wohlwollend entlassen werden.
Zum Setbeginn von Panychida beginnt es plötzlich blütenfrisch zu riechen. Das Backdrop der Band, das einen abgestorbenen Wald zeigt, kann nicht die Ursache sein, also muß es an einer der beiden reizenden Damen, die den Platz vor dem Rezensenten eingenommen haben, liegen. Eine gewisse Naturverbundenheit kann man aber auch der tschechischen Band nicht absprechen. Die spielt nämlich Pagan Metal, den man auch ohne Kenntnis der Bandherkunft im slawischen Kulturkreis verortet hätte, ohne daß die folkigen Samples zwingend in diese Richtung verwiesen hätten (Dudelsäcke, Orchesterflächen oder krummhornartige Pfeifen gibt's in anderen Regionen schließlich auch). Und das Quintett beweist, daß man diesen Stil (dem düsteren Bandnamen zum Trotz) durchaus fröhlich spielen kann, ohne Humppa-Elemente einfließen lassen zu müssen oder anderweitig vordergründige Saufmusik zu machen. Interessanterweise sind die vier Instrumentalisten alle in weiße Bandshirts gehüllt, der Sänger hat auch ein weißes Shirt an, trägt darüber aber noch eine Weste samt Kapuze und wirkt dadurch unnahbarer, als er eigentlich ist. Er artikuliert sich fast ausschließlich kreischend (und teilweise im heimischen tschechischen Idiom), während einer der Gitarristen gelegentlich Cleaneinwürfe beisteuert. Trotz des leicht verwaschenen Sounds ist der Abwechslungs- und Detailreichtum beeindruckend genug, um den Tschechen über das fleißig zuckende Tanzbein hinaus einen hohen Interessantheitsgrad zu bescheinigen, und selbst "The Great Dance Of Dionysus", das zunächst anmutet, als sei man in der Schmiede von Hephaistos, wandelt sich schrittweise noch zu einem flotten folkmetallischen Feger, der nicht nur das Tanzbein des Rezensenten, sondern auch das der besagten Damen in Aktion bringt. Daß Panychida fast wie eine Genreparodie wirken, haben sie dem Umstand zu verdanken, daß sie scheinbar bitterernste Songs mit Titeln wie "Moonforest And Falling Snow" schreiben, diese aber ebenjenen flockigen Gestus aufweisen, der nichts mit fieser Winterkälte zu tun hat - und das besagte Backdrop mutet in diesem Kontext auch hochgradig merkwürdig an. Aber diese scheinbare Diskrepanz stört hier noch niemanden. Der Setcloser "Ryhope" wird mit einem ausgedehnten Orchesteroutro abgeschlossen, und an dessen Ende ist die Band schon abgegangen, so daß niemand mehr eine Zugabe einfordert, obwohl die Stimmung prima gewesen ist.
Bei Infest kippt das Ganze dann. Die Serben spielen sehr aggressiven Thrash, aber ihnen muß irgendwann mal klar geworden sein, daß ständige Höchstgeschwindigkeit die Wirkung verfehlt, und so beginnen sie nach zwei komplett durchgeknüppelten Songs, gelegentlich einige "nur" sehr schnelle Parts einzustreuen - der einzige Song ihres Sets, der komplett "nur" treibendes Midtempo aufweist, kommt dem Rezensenten irgendwie bekannt vor und könnte eine Coverversion gewesen sein. Ob der jugendliche Drummer irgendeinen konkreten Gestaltungseinfluß auf die zügige Geschwindigkeit genommen hat, müssen Kenner der Stammbesetzung und/oder der Studioalben entscheiden - der etatmäßige Schlagzeuger hat sich jedenfalls fünf Tage vor Tourstart den Arm gebrochen, und sein jugendlicher Ersatz hat den kompletten Set in gerade mal vier Tagen einstudiert. Wäre dieser Fakt vom Sänger nicht angesagt worden, man hätte es am musikalischen Eindruck nicht bemerkt, daß da nicht die eingespielte Stammbesetzung am Werkeln ist. Apropos Sänger: Ebenjener ist der Knackpunkt der Show, und das liegt nicht an seinem rauhen Brüllgesang, sondern daran, daß er auch alle Ansagen in gleicher Weise ins Mikro röhrt, was schon mal einen übermotivierten Eindruck hinterläßt (und teilweise die Verständlichkeit ziemlich erschwert). Seine Gebrauchsdichte des Wortes "fucking" übertrifft selbst Alexi Laiho um Längen, und das permanente und penetrante Herumreiten auf der Geringschätzung religiös Andersdenkender und der Kraft der internationalen Gemeinschaft des Underground-Metals erinnert irgendwann unfreiwillig nur noch an Spinal Tap, nur mit dem Unterschied, daß das nicht so gemeint gewesen sein dürfte. Irgendwann läßt sich auch der einen sonst eher vernünftigen Eindruck machende Leadgitarrist davon anstecken. Kurioserweise erzeugt immer dann, wenn der gerade nicht spielt, irgendeiner seiner Tonabnehmer ein fieses und nervtötendes Pfeifgeräusch, und der Gesamtsound ist sowieso einen Tick zu laut. Und noch ein Kuriosum: Nach dem dritten Song fällt das Infest-Backdrop herunter, und das noch darunter befindliche von Panychida kommt wieder zum Vorschein. Von all diesen Störfaktoren, die einen rein musikalisch ganz netten, wenn auch keinerlei Bäume ausreißenden Thrash-Gig (im landesinternen Direktvergleich zieht zumindest der Rezensent Space Eater vor) beeinträchtigen, lassen sich gute Teile des Publikums allerdings nicht stören und fordern am Ende sogar noch zwei Zugaben ein, während die beiden offenbar geschmackssicheren Damen den Infest-Auftritt nicht bis zum Ende verfolgen.



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