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Petite Messe solennelle   24.06.2015   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Giuseppe Verdis Requiem wird gerne als italienische Oper in kirchenmusikalischer Verkleidung tituliert - aber es ist mit dieser "Gratwanderung" durchaus kein Einzelfall in der Musikwelt, wie Gioachino Rossinis "Petite Messe solennelle" unter Beweis stellt. Aber die beiden Aufführungen, die der Kammerchor der Leipziger Musikhochschule mit diesem Werk ansetzt, treten noch einen anderen Beweis an, nämlich denjenigen, daß der eingangs genannte Eindruck durchaus mit dem Dirigat stehen und fallen kann.
Aufgeführt wird die Urfassung des Werkes, also nicht die Orchesterfassung, sondern diejenige, in der Chor und Gesangssolisten lediglich von zwei Klavieren und einem Harmonium begleitet werden, wobei letzteres allerdings kurzerhand durch einige passende Register der sowieso an der Rückwand des Großen Saals der Hochschule befindliche Konzertorgel ersetzt wird, und zwar so stilgetreu, daß man die Orgel so wenig aus dem Gesamtklang heraushört, wie man ein bekanntermaßen oft eher wenig klangmächtiges Harmonium herausgehört hätte. Was man vom Werk zu erwarten hat, sofern man es noch nicht kennt, machen gleich die ersten beiden Komponenten des Kyrie deutlich: Das "Kyrie eleison" gerät zum flotten Pop mit lockerem Klavier, das a cappella vom Chor intonierte "Christe eleison" dagegen bietet barock anmutende Strenge. In der Folge setzt sich allerdings erstgenannte Richtung deutlich durch, und durch Frederico Baron Mussis südländisch-lockeres Dirigat erfährt die diesbezügliche Schlagseite eine abermalige Verstärkung. Das reicht so weit, daß im Gloria, wenn das "Domine Deus" mit seinem Ufftata einsetzt, allgemeine Heiterkeit im halb gefüllten Saal ausbricht. Aber Mussi kann durchaus auf den Punkt genau arbeiten, wie das sehr gut gemeisterte kleinteilige Tempomanagement im "Qui tollis" bei "nostram" unter Beweis stellt. Ansonsten regiert neben einer gewissen Ironie aber auch das große Gefühl, etwa in den tieftraurigen letzten Textpassagen des "Qui tollis" oder der großen Dramatik im Eingang des "Cum Sancto Spiritu", auch wenn letztere dann doch schnell wieder der Flockigkeit Platz macht.
Platz macht kurz darauf auch Mussi, denn nach dem Gloria übernimmt seine Kommilitonin Annette Diening das Pult. Und schon nach kurzer Zeit staunt man Bauklötze: Diening dirigiert viel strenger und sachlicher, und phasenweise hat man fast das Gefühl, einem ganz anderen Werk zu lauschen, wenn das Credo streckenweise an der Grenze zur Sprödigkeit wandelt. Aber den Grundcharakter des Werkes wirft natürlich auch Diening nicht über Bord, und so wabert im "Crucifixus" harmonisch eine süßliche Nekromantik von der Bühne, läßt der Chor im "Et resurrexit" nichts an Dramatik zu wünschen übrig und erkennt der Hörer auch, wie weit voraus Rossini in den 1860ern der Musikwelt war, wenn er die Klavierpassagen vorm "Crucifixus" so expressiv gestaltet, wie es überwiegend erst das 20. Jahrhundert kennen sollte. Mit dem Offertorium ist gar ein Klaviersolostück enthalten, bedächtig, aber vielschichtig und mit donnernden Tiefakkorden am Schluß auch in die Finalteile des Werkes hinüberweisend, wo Diening dann auch etwas von der sachlichen Linie abweicht, wenn man vom "O salutaris hostia" absieht, das mit Clara Bleton noch eine zusätzliche Sopranistin zum Einsatz bringt. Dafür meißelt die Dirigentin eine prima runde Linie in die letzten Wiederholungen des "Dona nobis pacem" - dafür, daß Rossini an den wunderbaren ironischen Klavierappendix noch einen weiteren Bombastpart anhängt und dem Schluß damit seinen Witz nimmt, kann sie ja nichts.
Der fast paritätisch besetzte 24köpfige Chor erweist sich als dem Werk problemlos gewachsen; größere Wackler gibt es nur im Sanctus, die dort aber von der Klangschönheit problemlos wettgemacht werden. Sopranistin Henrike Henoch führt eine angenehme, eher gedeckte Stimme ins Feld, während Clara Bleton etwas heller und stärker textorientiert agiert. Wie sich Altistin Claire Gascoin durchsetzen kann, zeigt sich erst im abschließenden Agnus Dei - vorher agiert sie eher unter ferner liefen. Tenor Patrick Grahl braucht eine Weile, um auch schon unter Mussi richtigen Schmelz zu entwickeln, und Bassist Philipp Goldmann fehlt ganz unten noch etwas das Volumen, was er aber durch gute Leistungen in den Höhenlagen seiner Partie wettmacht. Der Haupttrumpf dieser Aufführung aber sitzt am im Publikumsblickrichtung linken Klavier: Was Denny Hozmann aus den Tasten hervorzaubert, gehört ohne Zweifel zur Spitzenklasse und widerspiegelt den eingangs erwähnten Gratwanderungscharakter wohl am allerbesten - egal ob flockig oder unerbittlich streng, der Mann holt einfach alles aus seinem Instrument, während Akiko Sakai am anderen Klavier und Lea Vosgerau (die beim ersten Applausdurchgang übrigens ganz vergessen wird) an der Orgel etwas sachlicher agieren. Hozmann ist es denn auch, der den ganzen Abend irgendwie zusammenhält, der sonst trotz nur eines einzigen dargebotenen Werkes zwei durchaus unterschiedliche Seiten beinhaltet.



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