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Landesjugendorchester Sachsen, Cristin Claas & l'arc six   10.04.2015   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Das 47. Projekt des Landesjugendorchesters Sachsen mutet zunächst seltsam an, und das in doppelter Hinsicht. Zum einen erscheint es etwas gewagt, ein naturgemäß nicht traumwandlerisch aufeinander eingespieltes Projektorchester mit einer Jazzband zu koppeln, und zum anderen gehört zum Programm auch noch ein zweiter Punkt, nämlich "Les éléments" von Jean-Féry Rebel aus dem Jahr 1738, ein elfsätziges Orchesterwerk mit für die damalige Zeit unerhörten Kühnheiten in der Wahl der musikalischen Gestaltungsmittel, wie gleich im ersten Satz "Le Chaos" deutlich wird, dessen Einleitung eine ähnliche Wirkung auf das seinerzeitige Publikum entfaltet haben muß wie eine Freejazzkomposition auf irgendwelche Provinzbewohner des US-amerikanischen Hinterlandes - mit dem Unterschied allerdings, daß sich aus dem Chaos Rebels hier schnell Struktur entwickelt, wie das glänzend disponierte Orchester (es dirigiert Jan Michael Horstmann vom Cembalo aus, so daß er fast durchgängig nur einhändig spielt) beweist, auch wenn besonders die Flöten hier noch stark zu kämpfen haben, um den Anschluß nicht zu verlieren. Im zweiten Satz, "Loure", regiert statt dessen die Bedächtigkeit, und das Orchester biegt geschickt um winzige Tempokurven, um dann in der attacca angehängten Chaconne keine Raserei, aber doch deutlich mehr Spielfreude zu entfalten und sich der geforderten Vielschichtigkeit als problemlos gewachsen zu erweisen.
Danach betreten Cristin Claas und ihre Band l'arc six die Bühne, und es beginnt das musikalische Miteinander, das freilich nicht immer so ganz komplett im Ohr des Hörers ankommt - im Orchestertutti hat die Band bis auf die Sängerin und Drummer Thomas Rüdiger wenig akustische Chancen, und Gitarrist Stephan Bormann ist auch in den reinen Bandpassagen eher unterrepräsentiert, "rächt" sich dafür aber, wenn man ihn doch mal hört, mit intelligentem Spiel und dem lockeren Einjammen des Pippi-Langstrumpf-Themas. Claas wiederum singt nicht nur die Songs, sondern auch noch ihren Teil der Ansagen, was sich Pianist Christoph Reuter für seinen Teil verkneift. Staubtrockenen Humor offenbaren aber beide, und Meister ihres jeweiligen Hauptfachs sind sie sowieso (ach ja, und "Wenn ich ein Vöglein wär", das den Umsetzungsversuch von Onair meilenweit aus dem Feld schlägt, beweist, daß man ein Vierteljahrhundert nach Klaus Meine durchaus wieder Soli pfeifen darf). Außerdem kommt ein Instrument zum Einsatz, das wie eine Mischung aus Keytar und Triola aussieht. Das bombastische "Back In Time", ausgestattet u.a. mit einem recht anspruchsvollen Mitklatschspiel (aber man ist ja in einer Musikhochschule ...) und bereichert durch Orchestermitglied Annalena Lenk an der Marimba, beendet den ersten Bandset.
Nach der Pause kommen zunächst die anderen acht Sätze des Rebel-Werkes auf die Pulte: "Ramage" besteht nur aus Violinen und Holzbläsern, "Rossignolo" ist reine Kammermusik für Violine, Cello und Flöte und klingt so, wie man anhand des Titels schon vermutet hat (die Flöte agiert aber etwas zu schwerfällig), "Loure" ist horndominiert, und so geht es munter durch den barocken Gemüsegarten weiter, bis die abschließende Caprice nochmal verhältnismäßig großen Bombast auffährt, in dem die jungen Musiker mal kurz die Orientierung verlieren, bis Dirigent Horstmann die Zügel wieder in der Hand hat und das interessante Werk zu allseitiger Zufriedenheit zu Ende bringt.
Der zweite Bandset beginnt ungefähr so, wie der erste aufgehört hat, und Annalena Lenk fällt akustisch immer mehr ins Geschehen ein, sei es, daß sie an der großen Trommel wütet oder den Schlußgong bedient. Das lange Intro von "Why Should I" wiederum stellt Bandcellist Gerald Manske in den Vordergrund, bevor sich eine ruhige, aber vielschichtige Nummer entwickelt, die wohl als beste Symbiose aus Band plus Orchester an diesem Abend durchgeht. Mit "In einem Meer aus Tönen" ist auch der Titeltrack des Programms in diesem Block enthalten, zwischen zwei Hauptteilen alternierend und in einem bombastischen Schluß kulminierend - und diese Bombastpassagen lassen an Volumen natürlich weder hier noch dann ganz zum Setende Wünsche offen. Daß dem eine Zugabe folgen muß, ist klar, und "Wo immer du auch bist" erweist sich als stimmungsvolle Halbballade, auch wenn ausgerechnet hier das Orchester den Schluß verpatzt. Trotzdem herrscht allgemein gute Stimmung und führt zu einer zweiten Zugabe: Jazz zeichnet sich ja durch einen gewissen Hang zur Improvisation aus. Aber in einer Besetzung aus sechsköpfiger Band (neben den bisher im Text irgendwo Genannten steht noch Saxer Jörg Neumann auf der Bühne) plus Orchester (plus zusammengewürfeltes Projektorchester aus Nachwuchsspielern, wohlgemerkt) zu improvisieren, das muß man sich erstmal trauen. Unter Leitung von Christoph Reuter traut man sich - und holt ein interessantes und unterhaltsames Ergebnis heraus, in dem auch etliche Orchestermusiker als Soloimprovisatoren tätig werden und dabei etwa die Cello- und die Hornfraktion sehr gut abschneiden, auch wenn - wer hätt's gedacht - Annalena Lenk im positiven Sinne mal wieder den Vogel abschießt. Noch während des Spielens verlassen die Musiker einzeln die Bühne, ein pfeifender Klarinettist geht als letzter und hinterläßt ein staunendes wie zu Recht begeistertes Publikum. Ein außergewöhnliches Konzert - und nicht selten auch außergewöhnlich gut.



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