www.Crossover-agm.de
44 Leningrad   14.05.2014   Jena, Markt
von rls

"Es regnet nie, wenn sie spielen", lautet der immer noch aktuelle Promo-Slogan von 44 Leningrad, und er erfährt an diesem Abend eine Bestätigung: Das Regenradar zeigt neben zahlreichen anderen lokalen Regengebieten auch eins, das am späten Nachmittag von Nordnordwesten nach Südsüdosten über Jena hinweggezogen ist. Der Rezensent, in Altenburg bei strömendem Regen aufgebrochen, ab Ronneburg indes mit trockener Straße verwöhnt, fährt in Jena-Lobeda, also im Südosten der Stadt, noch durch die letzten Ausläufer des erwähnten Regengebietes, das auch die Gemüter der einheimischen Fußballfans trotz des völlig unerwarteten 5:0-Triumphs im Thüringer Pokalfinale gegen den eine Klasse höher spielenden FC Rot-Weiß Erfurt nachhaltig abgekühlt hat, aber als er knapp südlich der Innenstadt auf den Parkplatz fährt, hat der Niederschlag bereits seit einigen Minuten aufgehört, und es bleibt am restlichen Abend trocken, wenngleich die Temperaturen für ein Open-Air-Konzert im eher suboptimalen Bereich liegen. Aber erstens haben einige der Stände, die anläßlich des Frühlingsfestes auf dem Jenaer Marktplatz aufgebaut sind, vorgesorgt und bieten neben Kaltgetränken auch Glühwein an, und zweitens, so sollte man annehmen, ist ein Konzert von 44 Leningrad ideal geeignet, um durch wildes Schwingen des Tanzbeines für eine annehmbare Körpertemperatur zu sorgen.
Mit reichlich 10minütiger Verspätung (sofern man annimmt, das Konzert habe pünktlich 20 Uhr begonnen) trifft der Rezensent auf dem Marktplatz ein, kann also nicht sagen, ob der Konzertauftakt der bereits in den letzten Jahren bewährte mit diversen Bandeinspielungen und dem Geburtstagslied des Krokodils Gena als Opener ist. "Der dritte Grieche" wird gerade angesagt, als der Rezensent eintrifft und mit unerwarteter Problemlosigkeit einen Platz in relativer Bühnennähe findet. Der Grund dafür wird schnell klar: Irgendwie finden Band und Publikum nicht zueinander - und das ist in doppelter Hinsicht merkwürdig. Zum einen spielen 44 Leningrad bekanntlich äußerst tanzbeinschwingkompatible Musik, zum anderen gibt es in Jena eine nicht gerade kleine Einwohnergruppe mit russischem Migrationshintergrund, für die ein Gig dieser Band eigentlich eine willkommene Gelegenheit sein dürfte, sich völlig wertfrei auf dem Unterhaltungssektor mal wieder mit ihren kulturellen Wurzeln auseinanderzusetzen. Aber irgendwie springt der Funke lange Zeit nicht über, woran vielleicht auch der etwas drucklose Sound eine Aktie hat - andererseits macht es sich die eigentlich extrem routinierte Band auch selber schwer, indem sie zumindest ab dem Zeitpunkt des Eintreffens des Rezensenten lange Zeit ausschließlich Songs mit mittlerer bis hoher, aber eben nicht sehr hoher Schlagzahl spielt. Vielleicht hätten ein, zwei früher eingestreute der alten Reißer die Stimmung doch schon eher umschlagen lassen, denn etwa nach einer Stunde passiert Wunderliches: Der Sound wird ein wenig druckvoller, zumal auch die Elektrogitarre vermehrt in heftigerer Form zum Einsatz kommt, der neue alte Schlagzeuger (er gehört mittlerweile schon zum dritten Mal zur Besetzung) macht Dampf von hinten - und plötzlich bekommen Theodors humoristische Ansagen musikalische Rückendeckung, nimmt auch der Bühnenaktionsradius der Musiker weiter zu, und als dann zum Setende hin auch noch diverse alte Klassiker, teils in Medleyform zusammengesetzt, zum Zuge kommen, hat sich der vorher relativ spärlich besiedelte Raum vor der Bühne längst in eine wild das Tanzbein schwingende und herumhüpfende Menge verwandelt. So wird die hintere Dreiviertelstunde des Gigs zu einem der Freudenfeste, die man von den Miterfindern des russischen Speedfolk eigentlich gewöhnt ist. Auf das übliche Von-der Bühne-Gehen-vor-der-Zugabe verzichten die Potsdamer übrigens kurzerhand und lassen ihren Drummer statt dessen ein Solo spielen - auch mal eine interessante Idee. Im Zugabenmedley ist Dschinghis Khans "Moskau" diesmal zumindest instrumental wieder dabei, Theodor Dietmarjewitsch spielt seine große Baßbalalaika (die man gelegentlich sogar hört), und mit der schon zur Tradition gewordenen zweiten Zugabe in Form des Sandmännchen-Liedes verabschieden sich 44 Leningrad nach einem merkwürdigen, aber letztlich doch noch zum Erfolg gewordenen Gig.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver