www.Crossover-agm.de
Rock Meets Classic V   05.04.2014   Dresden, Messehalle 1
von rls

Das Konzept scheint sich bewährt zu haben: Zum bereits fünften Mal zieht Matthias Lasch aka Mat Sinner das Rock-Meets-Classic-Projekt durch, und er wird belohnt - mit einer, wie alle Bühnenaktiven, die irgendwann mal ein Mikrofon in die Hand bekommen, betonen, exzellent gelaufenen vierwöchigen Tour, die an diesem Abend ihren Abschluß findet, und zudem mit einer sehr gut gefüllten Messehalle. Das war in Dresden nicht immer so: Im Januar 2010 mußte sich die RMC-Tour mit einem nur zu einem Drittel gefüllten Kulturpalast zufriedengeben, was doch in einem gewissen Mißverhältnis zur gebotenen hohen Qualität stand.
Im Gegensatz zu damals hat das Konzept bei der Jubiläumstour eine kleine Modifikation erfahren. Grundpfeiler sind natürlich nach wie vor das Bohemian Symphony Orchestra Prag, diesmal geleitet von Bernhard Wünsch, und die Band, die damals RMC-Band hieß und mittlerweile kurzerhand nach ihrem Chef in Mat Sinner Band umbenannt wurde. Neben den drei Backingsängerinnen sind diesmal auch noch zwei Herren in gleicher Funktion am Start, zudem singen Mat und Gitarrist Oliver Hartmann auch noch mit. Keyboarder Jimmy Kresic war 2010 schon mit dabei, Platinblondine Amanda Somerville kennt man von damals auch noch, ansonsten hat Mat kurzerhand sein halbes Umfeld, also Leute, mit denen er auch in seinen anderen Bands musiziert, mitgenommen, etwa seinen Sinner-Gitarristen Alex Beyrodt oder von Primal Fear Drummer Randy Black und (für den Chor) Ralf Scheepers, neben dem mit dem Mannheimer Sascha Krebs noch ein weiterer Mensch, für den das nicht die erste RMC-Tour ist, agiert. Die markanteste Strukturänderung betrifft allerdings die Hauptacts: Während 2010 Dan McCafferty, Bobby Kimball und Lou Gramm als gleichberechtigte Solokünstler agierten und jeder von ihnen fünf Songs plus einen fürs gemeinsame Finale beisteuerte, gibt es diesmal eine klar definierte Rangfolge: Jeder der beiden Supportacts intoniert vier Songs, der Special Guest danach auch, nach der Pause kommen der Co-Headliner mit ebenfalls vier Songs (aber darunter einem langen Epos) und der Headliner mit fünf Songs zum Zuge, bevor alle gemeinsam einen Song des Headliners als Zugabe auf die Bühne bringen.
Soweit die Theorie - wie sieht nun die Praxis aus? Zunächst fällt auf, daß der Hauptteil der Messehalle, von den Traversen am Hallenende abgesehen, ebenerdig bestuhlt ist, während der Kulturpalast ja amphitheaterartige Sitzreihen hatte. Die geringfügig beeinträchtigten Sichtverhältnisse werden allerdings durch zwei Großbildleinwände links und rechts der Bühne kompensiert, und deren Kamerateam, das sei vorweggenommen, erledigt einen exzellenten Job. Das Orchester sitzt diesmal hinten quer, gekrönt vom Bandschlagzeuger Black in seinem Plexiglaskäfig, während sich die restliche Band vorn aufreiht.
Nach einer kurzen Begrüßung vom Band erklingt der Rhythmus von Queens "We Will Rock You", der allerdings schnell in "The Show Must Go On" übergeht - diese Nummer dient der Einführung der fünf Chorsänger, die sich in die Leadvocals reinteilen. Danach betritt der erste der Hauptsänger die Bühne, zudem der einzige, der außerdem auch noch Gitarre spielt: Midge Ure hat mit Ultravox einige Klassiker auf dem Gewissen, die man, wenn man seine musikalische Sozialisation in der entsprechenden Zeit erfahren hat, sicherlich nicht nur latent noch im Ohr hat. Das flotte "Hymn" macht deutlich, daß Achim Köhler am Mischpult noch ein wenig Anlaufzeit braucht, um den musikalischen Bombast zumindest einigermaßen transparent zu gestalten - eine Aufgabe, die er im Laufe des Sets zwar immer besser meistert, aber ein wirklich glasklares Soundgewand gibt die Kombination aus Besetzung und Location vermutlich nicht her, und so fehlt ab und an mal eine bestimmte Klangfarbe, sieht man Orchestermusiker zwar spielen, aber hört sie nicht. Wenn man über diese Problemfälle hinwegsieht (und es sind keine großen - der Rezensent hat schon viel schlechtere Ergebnisse dieser Kombination gehört), bleibt ein eindrucksvolles Klangerlebnis übrig, zumal zumindest die entsprechenden Hauptsänger meist recht gut zu vernehmen sind. Bei Ure, den der Rezensent bisher noch nicht live gesehen hat, fällt eine relativ "scharfkantige" Stimme auf, und der Mann neigt auch zu einer gewissen Expressivität, vor allem im etwas ruhigeren "Breathe", in dem Keyboarder Kresic an ein Instrument wechselt, das viele Anwesende wohl an eine Art Triola für Erwachsene erinnert haben wird. "Vienna" bleibt nach wie vor aufgrund seines markanten Drumrhythmus am ehesten im Ohr, und am meisten überzeugt im Ure-Set das von einem langen Gitarrensolo des Meisters eingeleitete "Dancing With Tears In My Eyes". Spätestens hier bemerkt der Zuschauer, daß es der letzte Tourtag ist, an dem man gemeiniglich zu diversen Späßchen aufgelegt ist, und diese Rolle fällt speziell den vier Hornisten des Orchesters zu, die, wenn sie gerade nicht spielen müssen, ihre Instrumente in verschiedenen rhythmischen Figuren schwenken oder mit blauen Lampen winken.
Joe Lynn Turner kommt im Gegensatz zum gentleman-like gekleideten Ure in klassischer Rocker-Manier (nur echt mit Sonnenbrille) auf die Bühne. Der Mann hatte das Pech, für Rainbow und Deep Purple Alben einzusingen, die nicht prinzipiell schlecht waren, jedoch nicht zu den Bandklassikern gerechnet werden. Aber gute Songs standen dort trotzdem etliche (der Rezensent erinnert sich immer noch an das Kuriosum, daß der Fahrer des Mietwagens, der ihn 2005 im Nordkaukasus von Pjatigorsk nach Prochladnij chauffierte, sich eine private Best-Of-CD von Deep Purple gebrannt hatte und dort das gesamte "Slaves And Masters"-Album enthalten war ...), und so bleibt die äußerst reizvolle Idee, Songs von Yngwie Malmsteens "Odyssey"-Album, dem wohl besten in Turners Diskographie, zu wählen, in der Schublade. Statt dessen geht's mit "I Surrender" flott los, wobei Turners Stimme hier noch zu stark in den Hintergrund gemischt ist. Was der Mann stimmlich noch kann, wird in "Stone Cold" nach der atmosphärischen Einleitung von Flötistin Nina in Tateinheit mit Keyboarder Jimmy deutlich: Er ist nach wie vor in guter Form. "Sein" genanntes Deep-Purple-Album "Slaves And Masters" wird mit dem ruhigeren "Love Conquers All", einer hübschen Ballade, berücksichtigt, und dann folgt noch "Since You've Been Gone", obwohl das vom 1979er Rainbow-Album "Down To Earth" stammt, wo noch gar nicht Turner, sondern Graham Bonnet gesungen hatte (das Phänomen kommt später nochmal beim Co-Headliner vor, aber der dortige Sänger ist mittlerweile schon über ein Vierteljahrhundert bei besagter Band). In stimmungsmäßiger Hinsicht jedenfalls ist "Since You've Been Gone" eine exzellente Wahl: Bisher sitzen die Leute auf ihren Stühlen, aber Turner fordert sie zum Aufstehen auf, und die meisten bleiben dann fast den gesamten Rest des Konzerts auch gleich stehen, singen fleißig mit und feiern den Vokalisten mit lautem Applaus. Danach ist es Zeit für ein Orchesterzwischenspiel - man wählt Beethoven, aber nicht die Neunte (da hätte man doch eigentlich gleich Blackmores Adaption von dieser, die auf dem von Turner eingesungenen Rainbow-Album "Difficult To Cure" stand, für die Besetzung Band plus Orchester umschreiben können ...), sondern den ersten Satz der Fünften, der zweierlei deutlich macht: Erstens spielt ein Orchester nicht automatisch fehlerfrei, und zweitens mag der Rezensent elektronisch verstärkte Orchesterklänge nicht sonderlich, wozu ihm die argen Soundschwankungen (extrem beispielsweise in den tiefenlastigen Passagen) an diesem Abend weitere Veranlassung liefern.
Mit Kim Wilde, die als Special Guest dabei ist, hatte sich der Rezensent früher aktiv kaum befaßt - ein paar Songs sind natürlich aber auch hier im Gedächtnis gespeichert, und im kollektiven Gedächtnis des Publikums sind alle vier gespielten offenbar mehr als präsent, weshalb der Auftritt der Blondine, die für ihr auch nicht mehr ganz jugendliches Alter immer noch unverschämt gut aussieht, zu einer Kollektivfeier gerät: "You Came" bildet den flotten Auftakt und zeigt, daß die Sängerin auch stimmlich noch in guter Form ist, das midtempolastige und bombastische "Cambodia" gewinnt durch das Liveorchester besonders stark an Wirkung, und nach "You Keep Me Hangin' On" brechen bei "Kids In America" alle Dämme - das Publikum verwandelt sich in ein Tollhaus, gedenkt vergangener Discozeiten und geht gut gelaunt in die Pause.
Hubschrauberklänge holen das Auditorium nach der Pause wieder zurück - es gibt "Another Brick In The Wall Part 2", dem der markige Aspekt leider etwas abgeht und das Gitarrist Hartmann mit einer seltsam distanziert wirkenden Stimme singt. Trotzdem gibt's viel Applaus, und der steigert sich noch, als Mick Box und Bernie Shaw auf die Bühne kommen. Ersterer spielt bekanntlich seit Bandgründung bei Uriah Heep Gitarre, und letzterer steht ebenda seit den Mittachtzigern am Mikro, was bedeutet, daß keiner der vier Songs, die nun folgen, original mit ihm eingespielt worden ist. Aber das macht nichts - erstens identifiziert man Shaw nach so langer Zeit problemlos mit diesen Tracks, zweitens kann man Original-Heep-Vokalist David Byron nicht reanimieren, und drittens wäre John Lawton auch nur der Originalsänger eines der vier Tracks gewesen, nämlich von "Free Me" an zweiter Setposition (das zugehörige "Innocent Victim"-Album gab es als Amiga-Lizenzpressung, so daß es in der DDR das am weitesten verbreitete Uriah-Heep-Album gewesen sein dürfte). Als Opener dient "Easy Livin'", freilich noch mit viel zu weit in den Hintergrund gemischtem Frontmikro, was in "Free Me" deutlich besser ausbalanciert ist. Kleiner Gag zum Tourabschluß auch hier: Black und Kresic spielen statt "Free Me" erstmal "The Final Countdown" an (wie wär's übrigens mit Joey Tempest für RMC VI, Mat?), was bei Shaw für Verwirrung, aber auch herzliches Gelächter sorgt, wie der Mann überhaupt supersympathisch rüberkommt und durch seine überwiegend deutschen Ansagen nochmal Extrapunkte sammelt. Dann folgt das bereits erwähnte Epos in Gestalt von "July Morning" - einer dieser Songs, die durch die Band-Orchester-Kombination noch einmal gewaltig an Ausdruckskraft gewinnen, wenn man da etwa kurzerhand die Flöte die "first birds singing" auch akustisch darstellen lassen kann. Shaw singt im Intro fast einen Tick zu expressionistisch, bekommt aber später die Kurve, und so entsteht ein gewaltiges Meisterwerk, das der Rezensent jederzeit dem unvermeidlichen Abschlußschunkler "Lady In Black" vorzieht. Mit dieser Meinung steht er aber relativ allein da, und das Publikum singt mit großer Inbrunst die "Aaah"-Chöre mit.
Das nächste Orchesterstück entführt die Hörer in die Karibik: Hans Zimmers "He's A Pirate" ist bestens bekannt, erfährt Unterstützung durch Bandschlagzeuger Black und sorgt für anhaltend gute Stimmung, die aber schnell nochmal getoppt wird, als Vincent Damon Furnier die Bühne betritt, besser bekannt als Alice Cooper - und auch der ist, so wird schnell klar, noch exzellent bei Stimme. "House Of Fire" gibt dem RMC-Pyrotechniker die Gelegenheit, seinen Gelüsten zu willfahren, "No More Mr. Nice Guy" und "Welcome To My Nightmare" stellen nur die nichtsdestotrotz hochkarätige Kulisse für die zwei anderen absoluten Highlights: "Only Women Bleed", auch schauspielerisch untermalt, gewinnt durch die Orchesterunterstützung nochmal enorm an Ausdruck - da macht es nichts, daß Lita Ford fehlt und eine andere blonde Gitarristin namens Orianthi als Special Guest während des Cooper-Sets mitmischt, aber nur im finalen Gongschlag, dem Megahit "Poison", im Hauptsolo wirklich mal deutlich herauszuhören ist.
Kann die exzellente Stimmung, die bei "Poison" ihren Gipfelpunkt erreichte, nochmal getoppt werden? Fast - es kommt eine Zugabe, bei der alle musikalisch Beteiligten gemeinsam auf der Bühne stehen und ein kollektiv-wüst-unterhaltsames "School's Out" in die tobende Publikumsmenge schmettern, unterstützt durch Gummibälle, Glitzerpapierschlangen und einige Crewmitglieder, die sich mit aufblasbaren Gitarren wild posend auf der Bühne hinzugesellen. Danach ist - nach netto knapp zweieinhalb Stunden - Schluß, und das Publikum zieht überwiegend hochzufrieden und sich exzellent unterhalten fühlend nach Hause. Ein Package, das Maßstäbe gesetzt hat und die Meßlatte für RMC VI recht hoch legt - aber Mat wird schon was einfallen, nicht wahr?

Setlist:
The Show Must Go On
Hymn
Breathe
Vienna
Dancing With Tears In My Eyes
I Surrender
Stone Cold
Love Conquers All
Since You Been Gone
Beethoven, Sinfonie Nr. 5, 1. Satz
You Came
Cambodia
You Keep Me Hangin' On
Kids In America
---
Another Brick In The Wall Part 2
Easy Livin'
Free Me
July Morning
Lady In Black
He's A Pirate
Hello Hooray/House Of Fire
No More Mr. Nice Guy
Only Women Bleed
Welcome To My Nightmare
Poison
---
School's Out



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver