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Pastorale   02.04.2014   Gera, Theater
von rls

"Pastor" heißt übersetzt soviel wie "Hirte", und alle drei Komponisten dieses Abends bzw. dessen Werke bauen auf jeweils individuelle Weise eine Brücke zu diesem Terminus. Da wäre zunächst Zoltán Kodály, ein Ungar, der sich wie der bekanntere Béla Bartók um das Sammeln und Bewahren der Volkslieder seiner Heimat verdient machte und nicht selten auch entsprechende Melodik in seinen Kompositionen verarbeitete. 1905 hatte er für seine Doktorarbeit eine große Zahl solcher Lieder gesammelt, ein Jahr später beendete er auch sein Kompositionsstudium, und zwar mit der Abschlußarbeit "Nyári este", übersetzt "Sommerabend". Dieses Werk eröffnet den Konzertabend, allerdings nicht in seiner Originalfassung (die verschollen ist), sondern in der vom Komponisten selbst angefertigten Zweitfassung von 1930. Kodály kam es darauf an, die Möglichkeiten der Stimmungserzeugung (und ihre Beherrschung durch den Komponisten) zu demonstrieren, und das ist ihm meisterhaft gelungen. Zwar leidet das eröffnende Englischhornsolo noch etwas unter der Unruhe im Publikum, aber schrittweise beginnt sich eine zurückgelehnte Stimmung auszubreiten. Interessanterweise bietet dieses Werk zwar zweifellos große Spätromantik, kommt aber mit einer Kammerorchesterbesetzung aus - vielleicht hatte das zur Uraufführung bestimmte Orchester keine größere Besetzung, vielleicht gab es andere Zwänge oder Vorgaben, vielleicht war diese merkwürdige Konstellation aber auch nur der ureigenste Wille des Komponisten. Die Möglichkeiten der Besetzung reizt er jedenfalls konsequent aus, läßt in den wenigen Ausbrüchen doch ordentlich Druck machen, legt aber auch gern entrückte Flächen hinter einzelne solierende Instrumente, wobei sich etwa die Flöten mit witzigen Einwürfen hervortun dürfen. Immer wenn man meint, jetzt müsse aber mal was Aufregendes passieren, gönnt uns Kodály genau das, und dann fangen etwa die Streicher (bis auf die ersten Violinen) dramatisch an zu sägen, oder ein Hornsignal leitet den eigentümlich mäandernden Schluß ein. Einen großen Spannungsbogen kann man zumindest in der Wiedergabe dieses Abends nicht feststellen, aber da am Dirigentenpult Imre Palló steht, seines Zeichens Patenkind und enger Vertrauter Kodálys, kann man davon ausgehen, daß der schon wissen sollte, wie sich der Komponist das Stück gedacht hat. Und ein Sommerabend, an dem man sich gedanklich ziellos durch die K&K-Monarchie treiben läßt, muß nicht zwingend einen großen Bogen aufweisen ...
Wo Kodály als Hirte die Volksmusik seiner Heimat betreute, weidete Richard Strauss andere Schäfchen, nämlich seine Komponistenkollegen, indem er sich für deren angemessene Entlohnung bei Aufführungen einsetzte, was letztlich zur Gründung der GEMA führte (über die Angemessenheit heute darf man freilich geteilter Meinung sein ...) und auch ihm selbst natürlich hübsche Summen ins Portemonnaie spülte. Als er 1883 als Neunzehnjähriger sein 1. Konzert für Horn und Orchester Es-Dur op. 11 schrieb, war an diese Entwicklung freilich noch nicht zu denken. Selbiges Konzert ist ein dankbares Virtuosenstück für Hornisten, die von den Komponisten ja eher selten mit solchen solistischen Aufgaben bedacht werden, wobei sich Strauss' Wahl nicht zuletzt daraus erklärt, daß sein Vater 1. Hornist an der Münchener Hofoper war und seinem Sohn mit diversen Aufführungen in München etwas auf die Karrieresprünge half. Stilistisch bei einem Blindtest eher einige Jahrzehnte früher anzusiedeln, eröffnet ein Allegrosatz das Werk, und dem Orchester gelingen zunächst saubere "altväterische Tutti" (so ein Wort Hans von Bülows), bevor sich Solist Christoph Eß Gehör zu verschaffen sucht. Das gelingt ihm in den Höhenlagen gut, in den tieferen aber wird er vom Orchester zu sehr zugedeckt, während er selber dazu neigt, in den Dialogpassagen mit den Celli diese etwas zu deutlich als akustischer Juniorpartner zu behandeln. Eß groovt fleißig mit und überzeugt durch viel Spielfreude, wie überhaupt Palló diesen Satz recht flott nehmen läßt, so daß das Attribut "altväterisch" zwar stilistisch seine Berechtigung hat, aber keineswegs mit "lahm" zu übersetzen ist.
Was Könner einem Horn für butterweiche Töne zu entlocken in der Lage sind, ist Kennern geläufig, und Eß liefert im zweiten Satz auch ein paar eindrucksvolle Proben dieser Kunst, nachdem die Streicher einige Unsicherheiten im Knüpfen des Klangteppichs überwunden haben. Später beweist der Solist aber auch, daß er appellierend spielen kann, ohne ins Markige abzugleiten. Palló allerdings wählt das Grundtempo hier und da beinahe einen Tick zu schnell, und so können sich nicht alle der wirklich schönen Stimmungen, die die Instrumentalisten zu erzeugen bemüht sind, in voller Pracht entfalten.
Die spritzige Ader ist im abschließenden Rondo-Satz dann wieder eher von Vorteil, speziell die besagten Tutti treiben das Werk gnadenlos nach vorn. Palló gelingt darüber hinaus diesmal auch eine große Dynamikkurve hin zur Mini-Kadenz, und so bekommen alle Beteiligten verdientermaßen viel Applaus, für den sich der Solist, der im Hauptberuf Solohornist der Bamberger Symphoniker ist, noch mit einer Zugabe aus der Feder Gioachino Rossinis bedankt, die wie ein wüster Mix aus "Sau tot!", spätromantischem Fernhorn und einem unter Flatulenz leidenden Elefanten klingt und das Publikum zum Schmunzeln bringt.
Ludwig van Beethovens 6. Sinfonie trägt den Pastoralbezug schon im Untertitel, der dann auch das Konzertmotto hergibt. Nun kennt man von diesem Werk die verschiedenartigsten musikalischen Deutungen: Riccardo Chailly als "Beethovenbeschleuniger" hat eine sehr eigenwillige, aber nicht unlogische Lesart gewählt, als er sich mit dem Gewandhausorchester diesem Werk widmete, von Ulrich Windfuhr erinnert man sich aus seiner Zeit mit dem Orchester der Leipziger Musikhochschule an eine Sechste, die von der Herangehensweise so klang, als ob das Orchester die zeitgleich komponierte Fünfte spielen würde - von solchen Debattierbeiträgen halten sich Imre Palló und das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera fern. Hier gibt es eine Sechste, die so urromantisch klingt, wie man Beethoven eben zwei Jahrhunderte lang normalerweise zu spielen pflegte - fast keine Experimente, sondern sozusagen musikalische Traditionspflege. Das Wort "fast" bezieht sich darauf, daß Palló dazu neigt, die Naturschilderungen sogar noch etwas stärker zu betonen, als man das sonst zu tun pflegte. Das fällt im ersten Satz noch nicht weiter auf, auch wenn der Kuckuck hier ein wenig heiser anmutet - aber das Ineinanderfließen der Klangfarben bei durchaus nicht zu langsamem Tempo ist hier bereits als paradigmatisch für die ganze Sinfonie anzusehen. Das wird in der "Szene am Bach", dem zweiten Satz, deutlich: Der Bach fließt träge, aber er fließt, und bisweilen entwickelt sich sogar ziemlicher Wellengang - die Mücken gar sirren so giftig, daß man geneigt ist, sich selbst aufs Ohr zu hauen, um die Störenfriede zu erlegen. Die Vögel sind auch besser bei Stimme als in Satz 1, und nur eine Beobachtung mutet merkwürdig an: Palló dirigiert zumeist recht "rund", fließend, aber hier in diesem Satz agiert er bisweilen merkwürdig statisch, ohne daß das freilich einen Niederschlag in der musikalischen Darbietung findet. Die geht im dritten Satz mit einer recht lauten Feierlichkeit weiter. Palló läßt die Atmosphäre durchgehen, arbeitet also die durchaus vorhandenen Brüche nicht heraus, sondern überspielt sie. Die förmlich drückende Schwüle darzustellen gelingt trotzdem nur begrenzt, auch wenn sich die wie aus weiter Ferne grollenden Tiefstreicher alle Mühe geben. So verschießt das Gewitter im vierten Satz sein Pulver auch recht schnell, weicht allerdings einer exzellenten Wiedergabe ebenjenes Abziehens. Der Hirtengesang im fünften Satz schließlich beginnt recht lieblich, aber bald ist diese Breite, dieses Ineinanderfließen wieder da, und in den Bombastpassagen gelingt durchaus auch das Aufschichten zu beachtlicher Größe. Kurioserweise bricht im Schlußteil dann doch noch der Gestaltungswille aus Palló heraus, wenn er jetzt zu differenzierter Markanz findet und die einzelnen Elemente viel stärker betont und auch voneinander trennt. Das überzeugt zwar im Einzelfall, wirkt im Gesamtkontext der Aufführung aber eher merkwürdig, das Publikum indes nicht vom Spenden reichlichen Applauses abhaltend.



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