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Metropolis   01.02.2013   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Der Terminus Metropolis hat in der Kulturwelt vornehmlich des 20. und 21. Jahrhunderts an etlichen Stellen seine Spuren hinterlassen - der Musikfreund denkt beispielsweise an eine gleichnamige Komposition von Motörhead oder das mit einer Namensableitung betitelte 2007er Iron-Savior-Album "Megatropolis", und dem Cineasten fällt natürlich als allererstes Fritz Langs Stummfilm ein, der seinerseits wiederum mannigfach als Inspirationsquelle diente. Fast 90 Jahre ist der Streifen mittlerweile alt, er hat es als erster Film ins UNESCO-Weltdokumentenerbe geschafft, und er hat eine wahre Odyssee hinter sich und liegt bis heute noch nicht wieder in der Urfassung vor, wie sie sich Fritz Lang vorgestellt hatte. Diese Urfassung fiel allerdings beim Publikum völlig durch, und so entstand eine neue, viel kürzere Schnittfassung, während die Originalbänder im günstigsten Falle in den Archiven verschwanden, im weniger günstigen Falle zerstört wurden. Erst 2008 fand sich in Argentinien eine der Urfassung schon relativ nahe kommende Kopie, anhand derer 22 Minuten Material in die bisher umfassendste Rekonstruktion eingefügt werden konnten und nun lediglich noch acht Minuten Material als derzeit unauffindbar gelten muß. 2010 bei der Berlinale bekam das Publikum erstmals die neue Rekonstruktionsfassung zu sehen.
An der Rekonstruktion maßgeblich beteiligt war der Dirigent Frank Strobel, und das aus gutem Grund: Was man bereits kannte und auch für die vorherige Rekonstruktion genutzt hatte, war die Partitur der zur Originalfassung gehörenden Filmmusik von Gottfried Huppertz, und diese enthält etwa 1820 Synchronpunkte, also Vermerke, welche Filmstelle zu welcher Stelle in der Partitur gehört et vice versa. So konnten Strobel und seine Mitstreiter das neue Material paßgenau einsetzen, wobei man dieses anhand seiner schlechteren Qualität (die argentinische Filmrolle war schon stark beschädigt) in der Vorführung deutlich erkennt, und nur die immer noch fehlenden acht Minuten werden mit Texttafeln, die die Handlung dieser Szenen erläutern, überbrückt. Die Neufassung, nunmehr 146 Minuten dauernd, gibt dank ihres Umfangs auch die Gelegenheit, die Filmmusik ohne große Schnitte live zu einer Filmvorführung aufzuführen. Etliche solcher Kombinationsprojekte haben Frank Strobel und das MDR Sinfonieorchester in den vergangenen Jahren bereits realisiert, u.a. "Matrix" anno 2011. Im Gegensatz zu diesem hat "Metropolis" den Vorteil, original ein Stummfilm zu sein (einige für das Verständnis der Handlung wichtige Sprechpassagen werden ebenfalls auf Texttafeln eingeblendet, allerdings in einer anderen Schriftart, so daß sie eindeutig von den Handlungstafeln der fehlenden Szenen unterschieden werden können), so daß die Aufgabe, das gesprochene Wort im Film und die Livemusik so in Einklang zu bringen, in diesem Fall entfällt. Auch der Veranstaltungsort ist ein anderer: Hatte die "Matrix"-Aufführung noch in der Arena Leipzig stattgefunden, so weicht man diesmal ins heimische Gewandhaus aus, was die Gelegenheit bietet, die dortige Schuke-Orgel ins Geschehen einzubeziehen, und das verleiht mancher Szene eine musikalische Extra-Qualität, die man sonst nur elektronisch hätte simulieren können. Huppertz' Score bedient sich stilistisch eher der Klangsprache des 19. Jahrhunderts und hält sich von damals modernen Strömungen fern, nutzt aber geschickt tonmalerische Effekte zur Verdeutlichung des Geschehens auf der Leinwand. Allerdings tut er das nicht immer: Gerade in der hocheindrucksvollen und dramatischen Szene, als der Erfinder Rotwang die Gestalt der Arbeiterführerin Maria auf seinen Maschinenmenschen überträgt (brillante optische Effekte!), verzichtet Huppertz auf bombastische Klangballungen und große Dramatik, obwohl man sich hier auch so etwas im Stile der Einleitung von "Also sprach Zarathustra" hätte vorstellen können. Von diesen Momenten, wo eine gewisse Erwartungshaltung des Hörers seitens des Komponisten nicht erfüllt wird, enthält "Metropolis" einige - der markanteste steht gleich relativ nahe am Beginn: Huppertz setzt das laufende Räderwerk der Maschinen, die Metropolis am Leben halten, kongenial in Klänge um, aber das monotone Marschieren der Arbeiter zwischen ihren Arbeits- und Wohnplätzen unterlegt er erstaunlicherweise mit marschartigen Klängen, die nicht synchron zum Gleichschritt der Arbeiter laufen. Vielleicht ist das auch Absicht gewesen, um die so widersprüchliche wie problematische Situation der Arbeiter deutlich zu machen, denn mit diesem Problem spielen die Bilder in bestimmten Details auch: Die Zeiteinteilung bei der herrschenden Klasse in Metropolis ist beispielsweise eine andere als die bei den Arbeitern. Über die sozialethische Ausrichtung des Filmes will sich der Rezensent an dieser Stelle nicht weiter auslassen und erlaubt sich lediglich, sein Unbehagen darüber auszudrücken, wie eine interessante Dystopie auch in dieser fast vollständigen Fassung in eine süßliche, sozialengagiert verbrämte, amerikakompatible Schmonzette mündet. Wäre der Streifen von heute und nicht von 1925/27, er könnte ein Werbefilm des Arbeitgeberverbandes sein ...
Strobel und das Orchester können sich jedenfalls eine lebendige, engagierte und weitestgehend paßgenaue Wiedergabe des Filmscores gutschreiben lassen (nur an einigen wenigen Stellen wäre ein Quentchen mehr Exaktheit geboten gewesen, etwa bei der Szene, als der Tod im Dom auf seiner Knochenflöte zu spielen beginnt). Kurioserweise erscheint die einleitende Texttafel gleich viermal, bevor dann doch die nächste kommt, was für Heiterkeit im nahezu ausverkauften Gewandhaus sorgt (eine absichtliche Anspielung der Filmvorführer auf die mühevolle Rekonstruktionsgeschichte?), und das Publikum spendet Strobel (der übrigens ohne Anzug, sondern im weißen Hemd dirigiert) und dem Orchester viel verdienten Applaus. Wer sich die nächste Gelegenheit, Filmmusik live zu hören, nicht entgehen lassen will: Am 29.3.2014 gibt's im Gewandhaus "Fluch der Karibik 1" zu sehen und zu hören.



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