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Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo   29.09.2013   Leipzig, Oper
von rls

Für Richard Wagners vollendeten Opern-Zweitling "Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo" gilt in struktureller Hinsicht Ähnliches wie für sein Debütwerk "Die Feen": Es bedarf eines konkreten Anlasses, daß dieses Werk überhaupt mal irgendwo auf dem Spielplan eines Opernhauses auftaucht, und dafür bieten sich Komponistenjubiläen wie der 200. Geburtstag Wagners anno 2013 natürlich besonders an. Die Spürnasen des Meininger Theaters haben das ebenso messerscharf erkannt wie die Verantwortlichen des Opernhauses von Wagners wenn nicht Geburts-, so zumindest Taufstadt Leipzig, und letztere knüpften wie schon bei ihren "Feen" auch für "Das Liebesverbot" wiederum Bande nach Bayreuth zu den dortigen Festspielen, wenngleich beide Werke und auch der deutlich bekanntere Drittling "Rienzi" dort nach wie vor nicht für eine Aufführung im Festspielhaus kanonisiert sind. Der Rezensent hat allerdings die Bayreuth-Auftritte nicht gesehen (die Meininger Inszenierung auch nicht und die konzertante Aufführung mit dem MDR Sinfonieorchester im Leipziger Gewandhaus im Frühjahr 2013, die presseseitig auf gemischte Resonanzen stieß, ebenfalls nicht), und so stellt die (ausverkaufte) Premiere des Werkes an der Leipziger Oper am letzten Septembersonntag anno 2013 auch für ihn die Bühnenpremiere dieser Oper dar (er besitzt bisher lediglich eine Tonkonserve).
Mit diesem Zweiakter hat sich Wagner im Vergleich zu "Die Feen" um, na gut, nicht 180 Grad, aber doch eine hohe Gradzahl gewendet - keine Zauberoper, keine Geister, statt dessen historisch anmutender Stoff nach einer Shakespeare-Komödie, wobei "Maß für Maß" durch Wagner, der schon damals seine Libretti selber zu schreiben pflegte, allerdings einer starken Umarbeitung unterzogen wurde. Das Wort "Shakespeare-Komödie" überrascht dabei in doppelter Hinsicht: Erstens hat sich Wagner als Jugendlicher zwar gern von dem Briten inspirieren lassen, aber in seinen Hauptwerken sollten später andere Quellen in den Vordergrund treten. Zweitens ist nicht nur "Maß für Maß" eine Komödie, sondern der Komponist hat sein Ergebnis "Das Liebesverbot" auch tatsächlich im Genre der Komischen Oper angesiedelt, was er später nur noch einmal tun sollte, nämlich mit "Die Meistersinger von Nürnberg", die allerdings musikalisch wie strukturell keinesfalls so nahe an den französischen und italienischen Vorbildern lagerte, wie das beim Frühwerk noch unüberhörbar ist. Wagner komponiert schon damals mit einem phasenweise ans Unerträgliche grenzenden Naturalismus, wie bereits in der Ouvertüre deutlich wird, wo die Kastagnetten und manch anderes mediterranes Schlagwerk derart omnipräsent arbeiten, daß man irgendwann ausrufen möchte, man habe nun verstanden, daß es in der Oper um den Karneval von Palermo geht - oder genauer um dessen Verbot durch den Statthalter Friedrich, einen scheinbar sittenstrengen Deutschen, der vom König als Verwalter während dessen Abwesenheit eingesetzt wurde und sich sogleich mit einem Gesetz unbeliebt macht, das in puritanischer Manier auf mancherlei gewohnte Vergnügungen die Todesstrafe setzt. Neben dem Verkleiden beim Karneval bzw. dem Karneval als solchen fällt darunter auch außerehelicher Geschlechtsverkehr, und ebendessen macht sich der Edelmann Claudio schuldig. Obwohl er plant, die von ihm geschwängerte Julia zu heiraten, wird er angeklagt und zum Tode verurteilt. Seine Schwester Isabella findet allerdings Mittel und Wege, um Friedrich einerseits über seine eigene Vergangenheit und andererseits über seine emotionale Inkonsequenz stolpern zu lassen, und als der Statthalter sich dann noch erdreistet, trotz eines anderslautenden Versprechens statt einer Begnadigung den sofortigen Hinrichtungsbefehl zu unterzeichnen, wird er mittels einer Volksrevolution gestürzt, aber nicht anhand seiner eigenen Verfehlungen gegen sein eigenes Gesetz hingerichtet, sondern statt dessen das Gesetz aufgehoben, wonach der Karneval wieder wie früher gefeiert werden kann, zumal auch der König seine Rückkehr aus Neapel angesagt hat. Am Ende haben sich alle gekriegt, die sich kriegen müssen, und alles scheint sich in Jubel, Trubel, Heiterkeit aufzulösen ...
Das alles klingt nun erstmal weniger nach Komödie, als es letztlich der Fall ist, und paradoxerweise macht Regisseur Aron Stiehl aus dem Stoff auch noch einen Schwank, der fast keinem wehtut. Er siedelt das Geschehen irgendwann im Jahre 1968 oder kurz danach an: Claudio kommt in Blumenkind-Optik daher, im Bühnenbild (Jürgen Kirner) taucht immer dann, wenn von der Freizügigkeit die Rede ist, ein Garten als Hintergrund auf, in dem hanfähnliche Pflanzen wachsen, und Statthalter Friedrich gibt ein prächtiges Sinnbild für den Spruch "Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren" ab. Interessant ist die Rolle des Volkes, das sich als unberechenbare Masse verhält (auch das eine schöne Anspielung auf 1968) und auch schon mal in kongenialer Ambivalenz mit Uniformen gegen die verordnete Spaßfreiheit demonstriert - wer auch immer sich die Art und Weise, wie diese Masse geführt wird, ausgedacht hat, darf sich einen Geniestreich gutschreiben lassen. Freilich bleibt es nicht dabei: Stiehl hat eine Reihe komödiantischer Elemente eingebaut, von denen ein guter Teil beim Wachtmeister Brighella angesiedelt ist, der nach Meinung des Regisseurs wohl nicht zufällig den Namen eines gerissenen Spaßmachers aus der Commedia de l'arte trägt (Mosaik-Leser wissen mehr) und etwa in einem Umbau auf offener Bühne das Walküren-Thema vor sich hinsingen darf. Daß auf Stiehls Idee einige Passagen nicht im ausschweifenden Original gesungen, sondern komprimiert gesprochen werden, ist bei Wagners bisweilen merkwürdigen Vorstellungen von Harmonik und Textbetonung (man höre mal das Duett von Isabella und Mariana!) hier durchaus kein Verlust (Authentizitätsverfechter werden das freilich anders sehen), ein paar Leipzig-Bezüge verleiten das Publikum sogar zu Szenenapplaus, etwa wenn Pontio Pilato aka Martin Petzold erklärt, daß er Isabellas Bestechungsgeld als Freund der Thomaskirche gut einzusetzen wisse - aber insgesamt macht Stiehls Inszenierung den Eindruck, sie sei zu komödiantisch angelegt, um ernstgenommen zu werden. Und ernstgenommen will sie offensichtlich werden, wenn man die Finals der beiden Akte hernimmt. Am Ende des ersten Aktes stürzt das Volk Friedrich nämlich schon, was im völligen Widerspruch zur Handlung steht, am Ende des zweiten Aktes aber offenbart sich, daß doch nicht alles Jubel, Trubel, Heiterkeit ist. Hat man sich zuvor schon gefragt, wer eigentlich Julia rettet, die ja konsequenterweise mit Claudio hätte angeklagt und hingerichtet werden müssen, so wird der Schluß ganz paradox: Friedrich schlägt zurück, indem er sich der Volksprozession per Dominoeffekt entledigt, und Mariana, die ihn doch wieder auf den Pfad der Emotion hätte zurückführen sollen, steht in der ganzen Schlußszene verzweifelt allein abseits. Diese Elemente verwirren das Publikum, das nicht in sofortige Begeisterung ausbricht, dann allerdings doch recht ausdauernd klatscht und erstaunlicherweise kein einziges Buh für den Regisseur übrig hat - ein Schwank, der keinem wehtut, eben.
Stimmt wenigstens die musikalische Komponente? Jein. Das liegt freilich auch mit an Wagner, vo dessen bisweilen etwas seltsamen Ideen, was Harmonik und Betonungsverteilung angeht, schon die Rede war. Aber das Gewandhausorchester ist auch noch nicht ganz topfit - die gelegentlichen Uneinigkeiten zwischen Streichern und Blech gleich in der Ouvertüre werden sich in den nächsten Vorstellungen sicherlich noch abschleifen. Das alte und bisweilen schon hier auftretende Wagner-Problem, Sänger an dramatischen Höhepunkten gegen ein tobendes Orchester ankämpfen zu lassen, bekommt Dirigent Matthias Foremny noch nicht mit letzter Sicherheit in den Griff, aber er ist auf einem sehr guten Weg. Von den Sängern her überzeugt Christiane Libor als Isabella am meisten und bekommt auch den stärksten Schlußapplaus - und das, obwohl sie schnupfenbedingt nicht ihre volle Sangeskraft aufbieten kann. Wie gut ist sie dann in dieser Rolle erst, wenn sie völlig gesund ist?? Der andere Haupttrumpf des Abends ist der von Alessandro Zuppardo glänzend vorbereitete und exzellent in Form befindliche Chor. So fragil geschichtet wie in den zurückhaltenden Passagen vorm Ende des ersten Aktes muß man mit einem großen Chor erstmal agieren, und nicht nur in dieser Szene beweisen die Leipziger Chorsänger mal wieder ihre extraordinäre Qualität. Da kann, Libor ausgeklammert, keiner der Solisten mithalten, auch nicht Tuomas Pursio als Friedrich, der nähst Libor den stärksten Applaus bekommt. Aber es fällt zumindest auch keiner nach unten durchs Qualitätsraster, wenngleich hier und da die Variation des Bühnentextes zum Übertiteltext schon überdimensionale Formen annimmt. Da wird sicherlich in künftigen Aufführungen noch mehr Sicherheit einziehen, was auch für die Strukturierung der Applausbilder gilt - da herrscht munteres Chaos, wenn etwa der Chor nach vorne in Richtung Bühnenrand geht, die Techniker aber im gleichen Moment den Vorhang herunterlassen. Von solchen Aufregemomenten hätte die Inszenierung vielleicht auch noch ein paar gebraucht, um über das Raritätenstadium hinaus Relevanz erlangen zu können. So wird die Oper zur "Operette", wie Libor an einer besonders "geschmeidigen" Stelle resigniert einwirft. Irgendwie hat sie ja recht, aber man kann das als Vor- wie als Nachteil ansehen ... Neugierig? Selber hingehen - www.oper-leipzig.de hält die Termine bereit.

Fotos: Kirsten Nijhof (Oper Leipzig)

Mark Adler, Magdalena Hinterdobler  Sejung Chang, Martin Petzold

Chor der Oper Leipzig  Christiane Libor, Anna Schoeck

Martin Petzold, Reinhard Dorn  Tuomas Pursio, Magdalena Hinterdobler, Reinhard Dorn, Chor der Oper Leipzig

Tuomas Pursio, Christiane Libor  Tuomas Pursio

Tuomas Pursio  Anna Schoeck, Christiane Libor



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