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Junge Deutsch-Polnische Philharmonie   01.08.2013   Dresden, Panometer
von rls

Seit 2000 führt das Projekt Junge Deutsch-Polnische Philharmonie allsommerlich für zwei Wochen talentierte junge Musiker aus den beiden titelgebenden Staaten zusammen - eine Woche lang wird ein Konzertprogramm erarbeitet und dieses dann in der zweiten Woche in verschiedenen Städten beider Länder aufgeführt. Dresden gehört dabei zu den schon traditionellen Konzertorten, aber Yadagar Asisis Panometer dient zum ersten Mal als Spielstätte. Zumindest in historischer Hinsicht hätte man keinen besseren Ort finden können, denn schließlich ist im Panometer derzeit das Monumentalbild "Dresden 1756" zu sehen, das also die Situation der sächsischen Residenzstadt vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges beleuchtet, an dessen Ende anno 1763 nicht nur die Stadt weitgehend in Trümmern lag, sondern den sächsischen Kurfürsten auch noch die polnische Königskrone verlorenging, womit ein markanter Zeitabschnitt der sächsischen Geschichte und auch der deutsch-polnischen Beziehungen endete.
Nun kommt es bei einer Konzertspielstätte aber nicht nur auf die Geschichte und das Ambiente an, sondern auch auf die logistischen und vor allem akustischen Verhältnisse - und da wirft der gigantische Rundbau einige Probleme auf. Zum einen steht in seiner Mitte eine etliche Meter hohe Aussichtsplattform größeren Grundrisses, die zwar für das Betrachten der oberen Bildabschnitte zwingend nötig ist, allerdings die für ein Orchester und viele Besucherstuhlreihen eigentlich mehr als ausreichende Gesamtgrundfläche deutlich reduziert: Das Orchester muß vor der Plattform spielen, und die Zuschauerstühle müssen in dem von dort bis zur Wand noch verbleibenden Raum Platz finden. Der wiederum ist nicht eben groß, und so stehen die Stühle amphitheaterartig in einem Halbrund um das Orchester herum, was für die Flankensitze erstmal eine sehr unterschiedliche Wahrnehmbarkeit der einzelnen Instrumentengruppen bedeutet. Und selbst etwas weiter zur gedachten Symmetrieachse hin ist sogar hinten in der letzten Reihe, wo der Rezensent sitzt, der Abstand zum Orchester noch zu gering, um wirklich einen Gesamtklang wahrnehmen zu können. Dirigentin Malgorzata Sapiecha-Muziol paßt den Orchesterklang zudem in der Dynamik dem Raum an, indem sie auf sehr große Lautstärken verzichtet, die möglicherweise Probleme mit Hallhallhall hervorgerufen und die differenzierte Wahrnehmung noch verstärkt hätte. Andererseits nutzt sie die akustischen Verhältnisse durchaus geschickt zur Erzeugung gewisser Stimmungen, die man in einem großen, akustisch idealen Konzertraum schwer hinbekommt, und für das Publikum kann es durchaus interessant sein, gerade bei bekannten Stücken mal die eine oder andere Instrumentengruppe etwas deutlicher zu hören, die sonst im Tutti eher untergeht. Was allerdings noch massiv stört, sind die Geräusche der Belüftungsanlage, die man selbst bei größtmöglicher Konzentration auf die Musik kaum auszublenden vermag, gerade in den ruhigeren Passagen und gerade vor dem Hintergrund, daß man hier ein fragmentarisiertes, teils auch an ein Kammerorchester erinnerndes Gesamtklangbild zu hören bekommt.
Der soeben gebrauchte Terminus "bekanntes Stück" ist bei Alexander Arutjunjans Trompetenkonzert allerdings etwas zu relativieren. Gewiß, wenn man hierzulande Musik Arutjunjans hört, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß es sich eben um das Trompetenkonzert handelt, recht groß - das restliche Werk des Armeniers führt ein ziemliches Schattendasein. Aber für ein 1950 geschriebenes Werk ist das Konzert erstaunlich gut durchhörbar - man mag über die sowjetische Kulturpolitik der Stalin-Zeit geteilter Meinung sein, aber sie hatte den unbestreitbaren Vorteil, daß sie die Künstler davon abhielt, alle Irrungen, Wirrungen der westlichen Musik des mittleren 20. Jahrhunderts mitzumachen. So wurde Arutjunjan quasi genötigt, einen eigenen Weg zu finden, und er entdeckte diesen wie sein populärer Kollege und Landsmann Aram Chatschaturjan in der Einbeziehung der Folklore seiner Heimat. Schon im eklektizistisch anmutenden langsamen Beginn des Werkes ahnt man diesbezügliche Einflüsse, ebenso im Hauptteil des Allegro energico. In einer Hinsicht ist Arutjunjan allerdings eindeutig Kind des 20. Jahrhunderts: Er neigt zur Komprimierung seines Werkes und erklärt uns quasi die musikalische Welt innerhalb nur eines Satzes - der allerdings ist dann doch deutlich so untergliedert, wie man sich das traditionelle Solokonzert des 19. Jahrhunderts vorstellt, also langsame Einleitung, dann schneller Satz, langsamer Satz und nochmal schneller Satz. Den schnellen Satz nimmt die Dirigentin jedenfalls recht munter, der leicht ätherische Ineinanderfließ-Touch, der raumbedingt entsteht, stört die Entwicklung der notwendigen Schärfe nicht, und in den schwelgerischen Passagen zeigt er sich sogar sehr stimmungsdienlich (wenn da halt die Lüftung nicht wäre ...). Zwar sitzen nicht alle der langsamen Teile ganz tight, aber einige butterweiche Hornpassagen (die der Rezensent stärker wahrnimmt als manch anderer Besucher, weil die Hornisten auf seiner Seite sitzen) entschädigen dafür locker. Und im großen langsamen Meno-mosso-Teil schlägt dann auch die Stunde des Solotrompeters: Hatte Lennard Czakaj, ein sehr hoffnungsvolles und gerade mal 16jähriges Nachwuchstalent, schon bis dahin gute Arbeit abgeliefert, so verhilft die Raumakustik den gestopften Passagen zu einer Extraportion Zartheit bis an die Grenze zur Unhörbarkeit, und das paßt hier richtig gut. Der Kontrast zum Schluß-Allegro stimmt ebenfalls, und Czakaj gestaltet eine recht breaklastige, aber dynamisch nachvollziehbare Kadenz, die zu einem überraschend kurzen Bombastschluß führt - und nach einer Viertelstunde ist das Werk zu Ende.
Eine Konzertpause in der Form, daß das Publikum seine Plätze verläßt, gibt es nicht, sondern ein paar Worte über das Orchester von dessen Projektmanagerin Agnieszka Ostapowicz, von denen man leider auf den Flankensitzen so gut wie nichts versteht - hier sollte man beim nächsten Mal über eine Mikrofonierung nachdenken (eine Lautsprecheranlage gibt es zumindest im Leipziger Panometer, und sicherlich ist im Dresdner auch eine vorhanden). Zumindest ist die Rede nicht so ausufernd, daß Unruhe im Publikum aufkommt - man freut sich einfach auf Modest Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung", das in der bekannten Orchestrierung von Maurice Ravel gespielt wird. (Daß der Rezensent beim Programmieren des Updates, in dem diese Rezension online geht, Igor Markevitchs 1973er Einspielung dieses Werkes mit dem Gewandhausorchester im CD-Player hatte, war allerdings wirklich Zufall - sie lag auf dem chronologisch abzuhörenden CD-Einkaufsstapel halt ganz oben ...) Gewiß, auch hier muß man gelegentlich raumakustikbedingt Abstriche in einigen Passagen machen, aber dann gibt es eben auch wieder solche, bei denen die Fragmentierung und/oder das leichte Verschwimmen die Stimmung noch verstärkt. Das geht schon in der Promenade los, deren choralartige Wirkung durch die Raumakustik eher noch verstärkt wird, so daß der Hörer geneigt ist, über einige Wackler im Zusammenspiel hinwegzusehen. Und die Sicherheit nimmt in diesen anderthalb Minuten schrittweise zu, und gekoppelt mit schönem Bombast im Finale der Promenade kommt Vorfreude auf den Rest des Stückes auf. Die ist weitgehend auch berechtigt, wenngleich die sehr langen Pausen zwischen den Sätzen die eine oder andere Kontrastwirkung etwas beeinträchtigen und die Dirigentin generell auch eher gemäßigte Tempi wählt, um das Orchester (man vergegenwärtige sich: ein Projektorchester aus Jugendlichen, die nur einmal pro Jahr gemeinsam spielen) nicht zu überfordern. Das macht freilich nichts: Die anfängliche Lockerheit des "Gnoms" bekommt das Orchester ähnlich gut hin wie die späteren härteren Passagen dieses Satzes, in "Das alte Schloß" gelingen stimmungsvolle Holzsoli, und nachdem das Tubasolo in "Bydlo" anfangs noch ein wenig zu angestrengt wirkte, gewinnen die bombastischen Passagen schnell wieder Sicherheit und gleichzeitig Leichtigkeit. Die ziemlich kammermusikalisch geprägten Klangverhältnisse kommen auch dem bekannten "Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen" entgegen, dessen Witzigkeit über manche Unexaktheiten hinwegzuhören hilft. Den Dialog zwischen "Samuel Goldenberg und Schmuyle" läßt die Dirigentin sehr dramatisch spielen, vor allem Schmuyles Genörgel erfährt durch die grellen Trompeten eine sehr wirkungsvolle Umsetzung. Auch die Variabilität des "Marktplatzes von Limoges" weiß zu überzeugen, und "Das Große Tor von Kiew" setzt die Dirigentin diesmal attacca an "Die Hütte der Baba-Jaga", einen wirkungsvollen Kontrast setzend, da der Einleitungspart des Schlußsatzes sehr feierlich anmutet, was durch den Raumklang wieder mal befördert wird. Und der Finalbombast dürfte das Optimum, das unter diesen Verhältnissen herauszuholen war, gewesen sein. Das Publikum zeigt sich sehr angetan und bekommt das Schlußdoppel gleich nochmal als Zugabe geliefert, bevor die Managerin noch eine besondere Zugabe verspricht, die offenbar nicht mit dem Orchester abgestimmt war. Aber dieses zieht trotzdem mit: Ein paar Tage zuvor mußte ein Teil der Musiker abends in Breslau auf einen Ersatzbus warten, weil eines der Stammgefährte kaputtgegangen war. Um die Wartezeit zu überbrücken, stellten sich das Blech und die Schlagzeuger kurzerhand mitten in Breslau hin und jammten "Rosamunde" - und ebenjenes Stück gibt es zur Gaudi des Dresdner Publikums in einer leicht chaotischen, aber trotzdem oder auch gerade deswegen Laune machenden Darbietung als finalen Gongschlag eines zwar kurzen, aber zweifellos interessanten Konzertes. Dem Philharmonieprojekt ist zu wünschen, daß es auch in Zukunft seine wichtige kulturelle Arbeit fortsetzen und vielleicht den einen oder anderen Problemfall des 2013er Dresden-Konzertes noch abstellen kann, wozu übrigens auch das zweisprachige Programmheft gehört: Über den polnischen Teil kann der Rezensent mangels detaillierter Sprachkenntnis nichts sagen, aber den deutschen Teil hätte nochmal ein Muttersprachler Korrektur lesen sollen ...



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