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Die Zauberflöte   14.05.2013   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Nanu, schon wieder eine "Zauberflöte" an der Leipziger Musikhochschule? Ein Blick ins Archiv verdeutlicht allerdings, daß der Vorgänger vom Januar 2005 datiert, also schon wieder reichlich acht Jahre zurückliegt, und außerdem hatte es sich weiland um eine konzertante Aufführung gehandelt, die allerdings mit Videoeinspielungen für das Vorwärtskommen der Handlung in rezitativischem Sinn ausstaffiert worden und damit zu einer hochgradig originellen Multimediaaufführung geworden war. Solche Elemente gibt es diesmal nicht - es handelt sich um eine ganz klassisch strukturierte Inszenierungsfassung, die fünf ausverkaufte Abende lang im Großen Saal der Hochschule gespielt wird, wobei die Zahl der zur Verfügung stehenden Tickets diesmal geringfügig kleiner ist als sonst: Die Bühne ragt nämlich mit einem blitzförmigen Laufsteg, dem ein verdeckter Gang untergebaut ist, in die vorderen Publikumsreihen hinein. Der wird im Verlafe der Inszenierung einige Male genutzt, aber sein unersetzbarer Wert erschließt sich nicht so richtig, wären doch viele der auf ihm stattfindenden Handlungselemente auch in anderen räumlichen Kontexten vorstellbar gewesen.
Damit sind wir schon mitten in der Inszenierung Matthias Oldags. Der verändert die gewohnte Gut-Böse-Aufteilung in der Oper etwas, indem er Sarastro und seine Tempelprüfungen samt des zugehörigen Personals als ähnlich menschenverachtend zeichnet wie die fiese Königin der Nacht, obwohl Mozart das durchaus anders gemeint hat - das "Per aspera ad astra"-Prinzip war durchaus Standard im Streben nach Erkenntnis, der Gedanke einer Läuterung noch keineswegs so verunglimpft wie im heutigen "Anything goes"-Zeitalter und die Freimaurerei noch nicht in den heute oft zu vernehmenden angespannten Ruf geraten. Als einzige Sympathiefiguren bleiben die beiden Prüflinge Tamino und Papageno übrig, da ihre jeweiligen späteren Partnerinnen eher blaß gezeichnet bleiben. Zunächst vermutet man übrigens, Oldag habe eine Leipzig-Hommage-Inszenierung geschaffen: Tamino ist in seiner Eröffnungsszene wie ein Thomaner gekleidet, die drei Damen und später auch die Königin der Nacht sehen so aus, als wären sie schon drei Tage früher fürs Wave-Gotik-Treffen angereist, und Papageno paßt mit seinem punkigen Outfit bestens in die Connewitzer Szene. Freilich bleiben weitere direkte Anspielungen aus, es sei denn, man würde für den Sarastro-Tempel noch eines der Leipziger Krankenhäuser heranziehen, wo man dem Personal, wie es Oldag besetzt und handeln läßt, durchaus auch Euthanasie und andere fiese Dinge zutrauen würde (die Geharnischten sind Ärzte mit unfeinen Befragungsmethoden, Sarastro trägt als Militärarzt Schulterstücke und sieht kurioserweise ein wenig aus wie eine riesige Ausgabe von Dmitri Schostakowitsch). An die Lesart muß man sich jedenfalls erst gewöhnen, aber das Hauptproblem liegt woanders: Die Balance zwischen Humor und Ernst, in diesem Fall sogar tödlichem Ernst, will nicht so recht gelingen, was freilich auch in den eher bemüht wirkenden Rezitativtexten begründet liegt, die mit den Prinzipien dieser Inszenierung bisweilen nicht so richtig Hand in Hand gehen wollen. Zwar kann man manchen Einfall durchaus als kultig wahrnehmen (etwa wenn Tamino ein Bildnis von Pamina sieht, auf dem diese in schönster Kleopatra-Manier dargestellt ist, die echte Pamina dann aber eher Heimchen-Charakter hat), und Papageno ist auch immer mal wieder für einen Lacher gut, aber irgendwie will sich kein großes Gesamtbild einstellen - man weiß nicht, wohin Oldag will. Für einen Thriller (der sich anböte, wenn man der Lesart des menschenverachtenden Tempels folgt) ist zuviel Humor und zuviel Historie drin, aber andere Richtungen wirken als Erklärung ähnlich unpassend, und so landet die Inszenierung letztlich zwischen allen Stühlen, wenngleich Einzelszenen wirklich exzellent gelöst sind, etwa der Auftritt der Königin der Nacht, wo Oldag alle Register moderner Showeffekte zieht und ein äußerst beeindruckendes Bild zu schaffen imstande ist.
Was hat diese "Zauberflöte" musikalisch zu bieten? Am Pult stehen an den fünf Abenden vier verschiedene Dirigenten, am vom Rezensenten gesehenen Abend ist Barbara Rucha zum zweiten Mal dran, die hörbare Mühe mit dem Orchester hat - vieles wirkt zu fragmentiert, der große Bogen fehlt, wenngleich viele Einzelelemente für sich betrachtet wiederum zu überzeugen wissen, allen voran die hochemotionale und tränentreibende Begleitung in Paminas Trauerszene (Akt 2, Szene 4), wo nicht mal Katrin Le Provost als Pamina mithalten kann. Gleich mehrere Sänger haben im ersten Akt große Probleme, steigern sich später aber enorm - am deutlichsten wird dieses Phänomen bei Patrick Grahl als Tamino, der in "Dies Bildnis ist bezaubernd schön" teils völlig neben der Spur liegt, aber im zweiten Akt seine gewohnte Sicherheit gewinnt, und bei Manuela Fraikin als Königin der Nacht, die ihre Koloraturarie im ersten Akt gegen den Baum fährt, in "Der Hölle Rache" aber dann bei jeder der drei dortigen Koloraturpassagen leichtfüßiger und eleganter agiert, ohne den rollengemäßen Furiendrang aufzugeben, so daß sie am Ende dieser Arie ein meisterliches Niveau erreicht hat. Die beeindruckendste Einzelgestalt ist allerdings Manuel Helmeke als vor allem in den Tiefen äußerst leistungsfähiger Sarastro (und der Mann ist erst 24!), während Sebastian Wartig als Papageno nur stellenweise glänzt und man sich Philipp Polhardts Monostatos gesanglich deutlich fieser und mächtiger gewünscht hätte (er wird so gesanglich kaum zum ernstzunehmenden Gegner für die Liebenden). Exzellent funktionieren dagegen die Chornummern, allen voran der starke Priesterchor in Akt 2, Szene 5 - da wirkt die Klinik wirklich bedrohlich, da paßt die Stimmung. Leider ist das wie erwähnt nicht durchgängig der Fall, was allerdings das Publikum nicht vom Spenden reichlichen Applauses abhält. Kleines Detail am Rande: Ab Akt 2, Szene 8 wandelt die Inhaltsbeschreibung im Programmheft wohl ungeplant Pamina in Pamino um. Wäre auch mal ein interessanter Inszenierungsansatz ...



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