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Hochschulsinfonieorchester   30.09.2012   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Neben Dirigierprofessor Ulrich Windfuhr treten bisweilen auch andere Menschen ans Dirigentenpult des Sinfonieorchesters der Leipziger Musikhochschule - an den beiden letzten Abenden des Septembers 2012 sind es gleich vier. Das erste Konzert bestreitet Christian Ludwig, der ansonsten das südkoreanische Gwangju Symphony Orchestra dirigiert, und das zweite, hier rezensierte, teilen sich drei Leipziger Dirigierstudenten. Zunächst darf Ruth Reinhardt ran, und zwar gleich mit einer schwierigen Aufgabe: der Uraufführung von "Massiv", einem Werk von Ioannis Mitsialis, seines Zeichens Kompositionsstudent an der Hochschule. Der beherrscht die große Form durchaus, allerdings ist das Ergebnis trotz allem recht hartes Brot und schwierig durchhörbar. Das betrifft weniger die Streicherflächen - das Unheil kommt planmäßig aus den Bläsern, auch die hin und her wetzenden Schlagwerker sorgen für musikalische Unruhe, und so ergibt sich ein finsteres Klangbild, noch verstärkt durch das eher schleppende Tempo. Gegliedert werden diese massiven (nomen est omen) Passagen durch noch dunklere Einwürfe mit Einsatz der großen Trommel, bevor sich aus einem Flötenbreak ein schrittweises Inferno entwickelt, das nach einem Tubabreak durch die Schlagzeuger getragen wird. Das Ende mit den verhallenden Posaunen und dem einen Beckennachschlag mutet eher kurios an, paßt aber irgendwie zum skurrilen wie fordernden Klangbild des Ganzen, das freilich auch durch weitgehenden Verzicht auf traditionelle Harmonik und die angesprochene Düsternis sehr schwierig durchzuhören ist. Das meint auch das Publikum - man applaudiert freundlich, gibt dem Komponisten aber nicht mal Gelegenheit zu einem Vorhang. Wer mal einen Soundtrack für einen Horror- oder einen Kriegsfilm braucht, könnte bei ihm an der richtigen Adresse sein.
Bei seiner Uraufführung anno 1881 wurde auch Pjotr Tschaikowskis Violinkonzert D-Dur op. 35 vom Publikum nicht so richtig verstanden, aber das hat sich mittlerweile geändert, und das Werk ist zu einem beliebten Paradestück für Violinisten geworden. An diesem Abend versucht sich unter der musikalischen Leitung von David Niemann der Südkoreaner Dong-Young Lee und verrät nach der eher zurückhaltenden Orchestereinleitung schon in seinen ersten Passagen des Allegro moderato einen recht stark ausgeprägten Gestaltungswillen, den er mit viel Körpereinsatz und Mimik unterstreicht, wohingegen seine Schweißtuchhandhabung eher unfreiwillig komisch wirkt. Freilich bleibt der Gestaltungswille eher ein Strohfeuer, denn gerade in der Kadenz spielt Lee doch sehr akademisch - die höchsten Töne kommen sauber, aber richtig schwingen wollen sie nicht, und richtige Seele kommt erst in den Trillern am Kadenzende zum Vorschein. Zudem trüben einige kleine Abstimmungsprobleme mit dem Orchester das Gesamtbild. Niemann hält den Klangkörper im Tutti tatsächlich moderat, was ihm schöne Kontrastwirkungen bei den Ausbrüchen vor der Kadenz ermöglicht, und er bekommt, was nicht jeder kann, ein markantes, aber nicht markiges Satzfinale hin. Auch im zweiten Satz überzeugt die Arbeit des Dirigenten, was die Feinjustierung von Dynamik und Tempo angeht, und er legt den Satz insgesamt sehr zurückhaltend an, ohne aber schmalzig zu werden. Nur hier und da stolpert er über kleine Unzulänglichkeiten, etwa das deutlich zu trocken arbeitende Holz im Satzausklang, was freilich die Schreckwirkung beim Attaca-Losbrechen des Finales nicht mindert. Der Schreck verringert sich beim Hören des weiteren Satzverlaufes an diesem Abend allerdings nicht, denn es tun sich diverse Problemfelder auf. Zunächst mal ist Lee halt Südkoreaner und kein Slawe, er spielt hier recht akademisch und nicht russisch, was diesem Satz einen guten Teil seines Reizes nimmt. Aber auch Niemann schafft es nicht, dem Orchestergeplänkel etwas mehr Energie zu injizieren, die den Eindruck eines russischen Volksfestes beflügeln könnte. Und obwohl einige der kleinteiligen Entwürfe prima gelingen, herrscht allgemein etwas zuviel Unordnung und eine eher mäßige Feinabstimmung vor. Erst im Satzschluß finden sich alle wieder, und es gelingt ein zupackendes Finale, das dann auch reichlich Applaus auslöst. Der Solist verzichtet allerdings (wohlweislich?) auf eine Zugabe.
Ruth Reinhardt und Giedre Slekyte stehen danach vor einer ganz schweren Aufgabe: Sie teilen sich das Dirigat in Beethovens Fünfter (Reinhardt die ersten beiden Sätze, Slekyte den Rest) und müssen sich daher auf eine Herangehensweise einigen. Nun hatte man anno 2009 unter Ulrich Windfuhr eine interessante Interpretation von Beethovens Sechster durch das damals freilich völlig anders besetzte Hochschulsinfonieorchester gehört - der Dirigent ließ die pastoral geprägte Sechste so spielen, als ob man die gleichzeitig komponierte schicksalsringende Fünfte auf den Pulten hätte. Reinhardt und Slekyte nun einigen sich auf einen sehr energisch-zupackenden und tempolastigen Weg, der im ersten Satz allerdings Auswirkungen auf die Schärfe und die Exaktheit hat - beide Komponenten sind durchaus steigerungsfähig, während der Energietransport zweifellos stimmt und die nicht immer ganz tighten "wandernden Reihen" kompensiert. Was Reinhardt und das Orchester können, zeigen sie dann im zweiten Satz, einem Allegro con moto: Mit großer Massivität reizt die Dirigentin die Laut-Leise-Dynamik weit aus, bekommt viel Spannung in die Pianissimi und schüttelt die Beschleunigung vor dem Satzschluß so leicht aus dem Handgelenk, als wäre es die normalste Sache auf der Welt. Dann übernimmt Slekyte, die die Zackigkeit auch in ihren Bewegungen transportiert und ein entsprechendes Ergebnis vom Orchester geliefert bekommt, aber auch die große Düsternis spannend und mit unheimlich wirkendem Ergebnis gestalten kann. Die beiden letzten Allegrosätze hängen direkt zusammen, den Dynamikgipfel kratzt die litauische Dirigentin allerdings schon relativ weit vorn an. Trotzdem bekommt sie einen ansehnlichen Triumphcharakter im Satzfinale gebacken, allerdings mit einer merkwürdigen Sorte Spannung, die sie aufzulösen versucht, indem sie das Orchester noch vor Applausbeginn zum Aufstehen auffordert, was dieses völlig verwirrt und das Publikum ebenfalls. So ergibt sich eine skurrile und lange Applauspause, die dann aber doch von langem und herzlichem Beifall abgelöst wird.



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