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Other Lives, Cate's Leila   07.08.2012   Jena, Café Wagner
von rls

Zwei völlig unterschiedliche Interpretationskonzepte von Musik prallen an diesem Abend aufeinander - und trotzdem muß man nicht von Deplaziertheit einer der beiden Komponenten sprechen, wenngleich es schon schwierig ist, außer dem allgemein definierten Musikliebhaber die Schnittmenge in der Zielgruppe von Headliner und Support zu erkennen. Wie der Abend beweisen soll, stellt das in diesem Fall kein Problem dar. Der Reihe nach: Fast pünktlich kommen Cate's Leila auf die Bühne und brauchen hörbar zwei Songs, bis sie sich warmgespielt bzw. -gesungen haben und im Zusammenspiel die notwendige Sicherheit erreicht haben. Zwar muß sich auch der Hörer erstmal an den eigenartigen Sound des Duos gewöhnen, aber daß vor allem im Opener die Abstimmung noch ziemlich im Argen liegt, entgeht dem Ohr sicherlich nicht. Die Hamburger agieren im besagten Opener in der Besetzung weibliche Stimme plus elektrische Baßgitarre, was auf alle Fälle schon mal originell, aber auch gewöhnungsbedürftig ist. Die Sängerin wechselt dann für die meisten Folgesongs hinters Keyboard und füllt den Sound noch mit mal pianolastigen, mal diese bewußt vermeidenden Klängen, während auch der Gitarrist sein Instrument mal als Baß, mal als "normale" Gitarre behandelt. Das erzeugt eine gewisse Vielfalt und in der Kombination mit der gedeckten, durchaus angenehmen Stimme auch einen nicht zu verkennenden Reiz, wenngleich man als Nichtkenner des Materials und Nichtanhänger des Singer-Songwriter-Genres, in das trotz diverser Abgrenzungspunkte die Musik der Nordlichter definitiv einzuordnen ist, zur Hälfte des Sets durchaus den Eindruck bekommt, hier sei musikalisch schon alles gesagt, was dann auch nur noch eher marginale Gegenbeweise bekommt. Freilich: Angenehm hören läßt sich das besetzungsbedingt reduziert wirkende Material durchaus, sofern man nicht, wie das in Studentenclubs halt manchmal so ist, zwei kleiderschrankförmige Figuren neben sich stehen hat, die sich beim Bier lautstark über das neue Album von Philipp Poisel unterhalten, was der auf die Bühne zu richtenden Aufmerksamkeit nicht eben förderlich ist.
Other Lives gehen rein musikalisch einen völlig anderen Weg: Sie setzen das alte Motto der verblichenen Leipziger Metaller Nitrolyt, welches "Mehr ist manchmal mehr!" lautete, in Musik um, und zwar nicht nur auf Konserve, sondern auch live. Die Gigs auf ihrer 2012er Sommertour dürften wohl die letzten gewesen sein, bei denen man das Quintett in kleinen Clubs erleben konnte - die Tour als Support von Radiohead in den zurückliegenden Monaten dürfte in der Karriere der Band Spuren hinterlassen und führt auch an diesem Abend zum Ausverkauft-Status samt entsprechender drangvoller Enge und hoher Lufttemperatur und -feuchtigkeit im Club. Und Other Lives wissen das Publikum zu beeindrucken und zu fesseln: Sofern man in der Position ist, um die Musiker nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, offenbart sich ein Arsenal von Musikinstrumenten, an dem das Quintett in wechselnden Rollen agiert. Schlagwerk gibt es gleich mehrfach, sowohl in organischer als auch in elektronischer Form, dazu für eine Rockband ungewöhnliche Elemente wie Xylophon, Trompete oder Cello, sogar Experimente mit elektroakustischen Instrumenten samt entsprechender Schwingungsmodulation sind auf der Seite von Cellistin/Sängerin Jsu zu sehen und zu hören. Dabei wirken Other Lives gar nicht zwingend wie fortschrittliche Entdecker neuer Welten - im Gegenteil: Eigentlich agieren sie konsequent rückwärtsgerichtet, und das meiste, was sie spielen, hätte schon in den Endsechzigern entstanden sein können, wozu die optische Erscheinung von Bandkopf/Sänger/Keyboarder Jesse auch bestens paßt, denn er könnte auch ein Blumenkind aus der damaligen Epoche sein. Das war bekanntlich eine Hoch-Zeit psychedelischer Klänge, und so verwundert es nicht, auch im Sound von Other Lives mancherlei psychedelisches Element vorzufinden, welches das Quintett aus dem beschaulichen Oklahoma aber mit vielen anderen Stilistika zu einem bunten, vielleicht auch berauschenden Potpourri vereinigt, für das sich außer Radiohead-Anhängern beispielsweise auch solche der "Anything goes"-Proggies Bigelf begeistern können dürften. Das Ganze kommt mit relativ sauberem und die immense Breakvielfalt gut überstehendem Sound aus den Boxen und sorgt für reichlich Applaus beim raumbedingt kaum in Bewegungsaktivitäten verfallenden, aber trotzdem schwitzenden Publikum. Dem Rezensenten erschließt sich die wilde Mixtur an diesem Abend erst schrittweise, nämlich im urlangen vierten Song (Titel sind Schall und Rauch - neben Material von ihren beiden Silberlingen spielen Other Lives an diesem Abend auch neuen Stoff), der alle Stärken des Quintetts von wilden Breakabfahrten bis zu geradliniger Tanzbarkeit, von sanfter Seelenstreichelei bis zu packender Dramatik bündelt und damit archetypisch für das Schaffen der Truppe genannt werden darf, während anderes Material vermutlich oder tatsächlich deutlich mehr Eingewöhnungszeit braucht, als man in der Konzertsituation gewöhnlich vorfindet. Mit dieser Aufgabe kommen auch die Teile des Publikums, denen die Band vorher apocryph gewesen war, zumeist gut zurecht, und so werden Other Lives nach der planmäßigen sogar noch für eine außerplanmäßige, in diesem Fall humoristische Züge annehmende weitere Sonderleistung auf die Bühne zurückgeholt. Jesse dankt dem Publikum für die Energie, die es der Band zurückgegeben habe, und meint, genau deshalb würde man so gerne in kleinen Clubs spielen. Aber wie eingangs beschrieben wird das wohl nicht mehr lange der Fall sein ...



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