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Madeline Bell & Big Band der Robert-Schumann-Philharmonie   15.06.2012   Chemnitz, Opernhaus
von rls

Alljährlich stellt die Big Band der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz ein besonderes Konzert auf die Beine: Im Opernhaus gibt es dann für einen Abend Duke Ellington statt Prinz Orlofsky oder Charlie "Bird" Parker statt "Der Vogelhändler". Das ist auch 2012 der Fall, wobei das Konzert diesmal unter dem Titel "A Tribute to Ray Charles" steht, also einem ganz Großen der frühen afroamerikanisch determinierten Unterhaltungsmusik Reverenz erweist. Selbiges Programm steht zwar nominell über dem ganzen Konzert, aber zunächst gibt es noch drei lange Instrumentalstücke der Big Band, die wenig bis nichts mit Ray Charles zu tun haben. Der Opener "Don't Git Sassy" entpuppt sich dabei als einerseits "typischer" flotter Bigbandsound, überrascht andererseits aber doch durch die teils recht schrägen Saxophonsoli. Die Trompeten agieren nicht nur in diesem Stück, sondern über weite Strecken des ganzen Sets relativ grell, der Vibraphonspieler ist kaum bis gar nicht zu hören, und angesichts des bisweilen angestrengt nach links in die Noten schauenden Schlagzeugers würde man so eine Art Beamtenjazz erwarten - eine Annahme, die die Musiker mit quicklebendigem Spiel aber schon in diesem ersten Stück ins Reich der Fabel verweisen. Die beiden folgenden Stücke sind Eigenkompositionen von Bandleader Rolf von Nordenskjöld, der in "Smiling Shadows" auch selbst zu einem ultratiefen Saxophon greift und sich während des ganzen Sets darauf verlassen kann, daß die Musiker auch präzise arbeiten, wenn er nicht dirigiert. Das Stück selbst ist etwas ruhiger, nimmt dann aber während der grabestiefen Saxophonsoli doch noch Fahrt auf, wobei die endringlichsten Momente schon zuvor mit den choralartigen Posaunen erklungen sind. "Fernweh" läßt beim Nichtkenner des Stückes die Frage offen, ob das hinterherhängende Klavier im Intro so beabsichtigt war, enthält ein enorm langes Solo von Saxer Michael Arnold, das sich aus einem entrückt wirkenden Gestus über jiddische Anklänge bis zu einer großen Tempohochschaltung entwickelt und definitiv besser ins Gesamtbild paßt als das Posaunensolo von Altmeister Henning Walther, das irgendwie keine richtige Symbiose mit dem instrumentalen Unterbau aufzubauen in der Lage ist.
Hernach beginnt der Ray-Charles-Teil, und hierzu kommt Gastsängerin Madeline Bell auf die Bühne, welchselbige dieses Programm anno 2005 in Amsterdam aus der Taufe gehoben hat und seither regelmäßig mit ihm on the road ist. Die Afroamerikanerin hinterläßt zwar zunächst einen geringfügig überdrehten Eindruck, was ihre Bühnenperformance angeht, weiß sich dann aber doch in den richtigen Momenten zurückzunehmen und kleine Gesten in liebenswerte Zeugnisse umzuwandeln, etwa wenn sie einem Saxophonisten das Mikrofon fürs Solo hinhält oder sich lasziv aufs Klavier fläzt, während der Inhaber von dessen Hocker soliert. Und über ihre Stimme gibt es eh keine Beschwerden - die überzeugt auch dann, wenn sonst nicht alles im grünen Bereich ist, etwa in "Unchain My Heart". Daß die Fassung dieses Abends deutlich schneller gespielt wird als etwa die bekannte von Joe Cocker - geschenkt. Aber daß sie durch das höhere Tempo auch deutlich nervöser wirkt, hinterläßt Stirnrunzeln beim Rezensenten. Dafür gelingt die Erzeugung einer emotional entrückten Stimmung im Slowblues "Ruby" deutlich besser, und wenn hier jetzt noch die Trompeten in ihren Soloparts ein wenig gedämpfter agiert hätten, man hätte einen echten Höhepunkt feiern dürfen. Der flotte Mitklatscher "Before I Open My Mouth" entläßt das Publikum in die Pause, wohin Nordenskjöld ihm noch folgende Weisheit mitgibt: "Je mehr Sie trinken, umso besser klingen wir."
Der Rezensent befolgt den Rat, Flüssigkeit aufzunehmen, in der Pause nicht - trotzdem klingt Charlie "Bird" Parkers "Billy's Bounce", mit dem die Big Band in den zweiten Setteil einsteigt, in seinen Ohren exzellent. Klavier, Kontrabaß und Schlagzeug beginnen, und mit der Zeit gesellen sich auch die anderen Musiker wieder hinzu, zu einem großen flotten Miteinander findend und den armen Vibrafonisten, der sonst den ganzen Set durch fast gar nicht zu hören ist, auch mal solistisch hervortreten lassend. Die Ballade "A Time For Love" besticht durch das große Posaunensolo, das sogar in einer echten Solokadenz mündet, und "Samba De Rollins" setzt mit seinem flott-zupackenden Gestus einen wirkungsvollen Kontrapunkt, wobei auch die stückinterne Dramatik mit den abgebremsten Zwischenteilen stimmt. Das eingebaute Drumsolo endet hier nicht mit einem wilden Geprügel auf alle verfügbare Teile, sondern fadet quasi unprätentiös aus und rollt sozusagen den Teppich für Madeline Bells zweiten Block aus. Der beginnt mit "Mess Around" und einem neuen Kostüm, gefolgt vom Ultraklassiker "Georgia On My Mind", das übrigens als einziges Stück des Abends einen Anfangsapplaus des Publikums erhält, als es angespielt wird und man es erkannt hat. In der Fassung dieses Abends entfaltet sich ein stimmungsvoller Slowblues, der nur durch das abgehackte Ende etwas an Reiz verliert. "Hit The Road Jack" bindet einige der Bläser der 18- bzw. inclusive des Chefs 19köpfigen Big Band im Refrain auch als Sänger mit ein und schraubt das Tempo wieder nach oben, bevor "Black Coffee" es wieder senkt und eine äußerst quäkige Trompete hervorbringt. In "Hallelujah" hält Madeline dem solierenden Pianisten das Mikrofon hin, singt dann aber selber das Solo mit, und "What'd I Say" schließt den Hauptset mit einer flotten Umsetzung klassischer Rock'n'Roll-Themastrukturen ab: Der Chef greift nochmal zum Saxophon und entlockt diesem Töne, die an ein riesiges Tier mit Flatulenz erinnern, die vom Publikum begeistert mitvollzogenen Mitsingspiele beweisen, daß es die Silben "Hu" und "Ha" schon lange vor Dschinghis Khan in der populären Musik gab, und alle Beteiligten ernten schließlich Standing Ovations vom begeisterten Publikum. Ergo eine Zugabe: "Try A Little Tenderness" beinhaltet ein entrückt wirkendes Intro, das die Sängerin zum Kommentar "Das war schön! Can you play this again?" hinreißt, worauf sie ihren Wunsch tatsächlich erfüllt bekommt. Später agiert der Drummer deutlich zupackender, und im Finale wird's gar richtig rabiat mit schnellen Stakkatodrums. Das Publikum tobt erneut vor Freude und bekommt außerplanmäßig nochmal "What'd I Say" vorgesetzt, wonach der Vorhang dann endgültig fällt. "This is my first time in Chemnitz, and I will be back", kündigt die Sängerin zum Abschied an - in Form und Qualität dieses Abends sehr gerne!



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