www.Crossover-agm.de
Konzert für Neugierige: Humor   14.01.2012   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Hatte das Mendelssohn-Kammerorchester im ersten Konzert seiner ganz im Zeichen des musikalischen Humors stehenden Spielzeit 2011/2012 ein breites Kaleidoskop an möglichen humoristischen Herangehensweisen dargestellt, so verdichtet sich das Spektrum diesmal etwas: zwei Parodien und ein Stück, dessen Humor in der zugrundeliegenden Dichtung begründet liegt. Mit letztgenanntem beginnt das Konzert: die Orchestersuite G-Dur TWV 55:G 10 von Georg Philipp Telemann mit dem Untertitel "Burlesque de Quixotte", also von Miguel de Cervantes' Ritter von der traurigen Gestalt inspiriert. Allerdings belassen es die von Aurélien Bello dirigierten Musiker hier nicht bei der rein audiologischen Wiedergabe, sondern haben sich die Kinder- und Jugendcompagnie Ciacconnaclox als Gäste eingeladen. Heißt praktisch: Nach der Ouvertüre kommen acht Mädchen von 13 bis 15 Jahren auf die Bühne und untermalen die meisten der sieben Sätze mit Tanzeinlagen, die auf improvisatorischem Wege gefunden, aber in eine konkrete Choreographie ausgefeilt worden waren. Auch hier bricht sich der Humor bisweilen Bahn, etwa wenn Bello den Satz "Sein Angriff auf die Windmühlen" nach kurzer Zeit abbricht, zu den Tänzerinnen eilt, diese "anschiebt" und damit in mühlenartige Bewegungen versetzt und danach zurück ans Pult eilt. Freilich ist die Ideenvielfalt der Choreographie auch ohne solche Gimmicks sehr hoch, wenn man sich beispielsweise die brillante Erwachen-Szene mit dem immer wieder einschlafenden Don Quichotte vor Augen führt. Zu Dulcinea von Toboso, der unerreichbaren Sehnsucht des minnesingenden Dons, erwählte man natürlich diejenige der Tänzerinnen mit den längsten blonden Haaren. Ohne tänzerische Untermalung bleibt der musikalisch ziemlich dramatische Satz des geprellten Sancho Pansa, bevor Rosinante, des Dons Pferd, wieder sehr ideenreich getanzt wird und den Gipfel schließlich die geriatrische Szene des alternden und weggeführten Dons bildet. Musikalisch hat Telemann das Ganze zumeist recht flott, aber in den richtigen Momenten herunterschaltend, umgesetzt, und die Musiker ziehen sich auch äußerst gekonnt aus der Affäre; eine der Tänzerinnen sorgt zudem in Reimform für ein gewisses Grundverständnis der heutzutage ja längst nicht mehr zum Werkkanon des Literaturunterrichtes zählenden Cervantes-Dichtung im Publikum.
Danach übernimmt Peter Korfmacher, Kulturchef der Leipziger Volkszeitung, die Moderation und kündigt Paul Hindemiths "Holländerouvertüre, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens früh um 7 am Brunnen vom Blatt spielt" an, ein Parodiestück also, original für Streichquartett, hier aber in erweiterter Besetzung für Streichorchester, Klavier und Horn, was Arrangeur Korfmacher redlich für ein Füllhorn verwegener Ideen nutzt: Ein Streichorchester bietet natürlich viel mehr Möglichkeiten, falsche Noten einzuschmuggeln, und so klingt das, was bei Hindemith schon schräg war, jetzt richtig kaputt, wobei Beschreibungen hier versagen - es muß eine eigene Hörerfahrung her. Die Pianistin erscheint übrigens erst nach drei Vierteln der Spielzeit, bekommt vom Dirigenten ihren Einsatz zugerufen, setzt temperamentvoll ein - aber mit dem falschen Stück, worauf der erboste Dirigent sie zum Schweigen bringt, erst am Ende nach dem Schlußton der anderen Beteiligten noch einen Klavierschlußton zulassend. Korfmacher selbst spielt das Solohorn und erfindet in Analogie zur bekannten Luftgitarre, aber mit echtem Instrument sozusagen das Lufthorn. Das Publikum biegt sich immer wieder vor Lachen, weiß aber gleichzeitig auch die immense Kompliziertheit dieses Stückes zu würdigen - bekanntermaßen ist nichts schwieriger, als im richtigen Moment falsch zu spielen. Prima Unterhaltung, die ein Witzbold im Publikum noch zu steigern versucht, indem er vom Solisten Korfmacher eine Zugabe einfordert, die aber nicht gewährt wird.
Genügte es zum Nachvollziehen des Parodiecharakters bei Hindemith, ein Stück zu kennen (nämlich eben Wagners Ouvertüre zum "Fliegenden Holländer"), so ist Mike Svobodas "ALIAS - Mozart aka Rossini" diesbezüglich eine weit höhere Herausforderung an die Werkkenntnis des Publikums. Die Grundtheorie dieser Kammeroper besagt, Mozart sei 1791 nicht gestorben, sondern schuldenhalber untergetaucht und nach Italien geflohen, wo er Jahre später das junge Talent Gioachino Rossini kennengelernt und seine Stücke unter Rossinis Namen herausgebracht habe, wobei die Einnahmen hälftig geteilt wurden; Rossinis eigene Stücke wiederum seien später unter Pseudonymen wie Giuseppe Verdi veröffentlicht worden. Die Dreiviertelstunde ist also gespickt mit Zitaten, für deren lückenlose Identifikation man schon absoluter Experte sein muß - aber schon eine gewisse Grundahnung genügt als Auslöser für mindestens das eine oder andere Schmunzeln. Svoboda fungiert sowohl als die kompletten Spielmöglichkeiten des Instruments auslotender Posaunensolist im traditionellen wie im modernen jazzangehauchten Bereich als auch als Märchenonkel, der, wenn er nicht Posaune zu spielen hat, in amerikanisch-durchwirktem Deutsch die gar nicht mal so märchenhafte Geschichte erzählt. Neben dem Streichorchester agiert mit Michael Kiedaisch noch ein Percussionsolist, und der hat die erste Hälfte des Stückes am linken Bühnenrand einen gut gefüllten Küchentisch a la Rossini (der bekanntlich ein begeisterter Koch war) vor sich, mit dessen Bestandteilen er verschiedenste Geräusche erzeugt, wobei die meisten Gegenstände nach Benutzung in eine danebenstehende Mülltonne geworfen werden, was nochmal ganz eigenständige, mitunter sogar geradlinig-rhythmische Klangeffekte ergibt (Don't try this at home!). In der zweiten Hälfte wechselt er dann an eine Position hinter dem Orchester mit einem halben Rockschlagzeug (Becken und Bassdrum) und noch einigen anderen Zutaten wie einer singenden Säge. Das Orchester selbst hat die Aufgabe, bisweilen geradlinig Mozart bzw. Rossini zu spielen, wird aber auch des öfteren zum Entgleisen geschickt. Das alles in einen Topf geworfen und kräftig umgerührt ergibt ein Gericht, das über weite Strecken durchaus schmackhaft zu nennen ist, aber im Mittelteil bisweilen auch zäh wie ein zu wenig geklopftes Schnitzel ausfällt. Das "Figaro, Figaro" betitelte Finale, in dem die Einspielungen historischer Opernaufnahmen in Loopform strukturgebende Wirkung entfalten, reiß dann allerdings auch den schon satten Hörer wieder mit, und so werden Svoboda, Kiedaisch und das Orchester denn auch mit reichlich Applaus belohnt. Was noch so an Humor auf den nächsten Speisekarten steht, verrät www.mko-leipzig.de



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver