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Gianni Schicchi   02.12.2011   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Der titelgebende Herr war von Dante Alighieri in eine der bereisten Höllen verbannt worden, weil er als Erbschleicher den plutokratischen Verwandten des reichen Buoso Donati einen Streich gespielt und diese mit Brosamen abgespeist, sich selber aber einen ansehnlichen Teil in die Tasche gesteckt hatte - aus diesem Stoff hatte Giacomo Puccini den dritten Teil einer Operntrilogie gemacht, der aber bald trotz oder auch wegen seiner kurzen Spielzeit von nicht mal einer Stunde ein Eigenleben zu führen begann. Die vielschichtige Gemengelage und die schon im Plot liegende unfreiwillige Komik machen den Einakter für eine Studentenaufführung noch prädestinierter, als er so schon ist, und so bildet er ein gefundenes Fressen für das alljährliche Opernprojekt im Keller des Dittrichring-Gebäudes, der den Großen Probesaal beherbergt. Nun paßt in diesen kein Opernorchester, ergo behilft man sich gekonnt mit einer Fassung für zwei Klaviere und singt außerdem nicht die italienische Textfassung, sondern eine deutsche von Gunter Selling, was die Gelegenheit gibt, beispielsweise die Währung der Erbteilwerte an den gegenwärtigen Stand anzugleichen. Die reduzierte instrumentale Komponente verhindert zudem wirkungsvoll das akustische Zudecken der Sänger und erlaubt eine über weite Strecken gute Textverständlichkeit; die beiden Pianistinnen Kyung Hee Kim und Song Yang erledigen ihren Job fast tadellos, sind sich nur in wenigen Momentan über Detailfragen des Tempos nicht einig und tun das, wofür sie in diesem Falle da sind: Sie begleiten, ohne eigene Akzente zu setzen.
Die kommen nämlich ausnahmslos von der Sänger- bzw. Schauspielerriege, dafür aber in Großpackungen. Matthias Oldag, vor geraumer Zeit schon einmal Professor an der Hochschule und nach seinem Abschied als Intendant in Altenburg und Gera wieder einmal am Hause, inszeniert offensichtlich mit diebischer Freude und dem Ziel, die Charaktere noch stärker herauszuarbeiten als in der Vorlage, und gibt dem Affen reichlich Zucker, den die Studenten auch gerne verschlingen. Man kann die Detailfülle der Einfälle in einem solchen Rezensionstext keineswegs erschöpfend behandeln, einige Andeutungen sollen daher genügen. Interessanterweise läßt Oldag Donati nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus sterben - das führt dann am Schluß zu der paradoxen Situation, daß Schicchi die Verwandten aus dem Krankenhaus jagen muß mit der Begründung, laut dem gefälschten Testament gehöre es jetzt ihm. Gherardinos Rolle besetzt er mit Leevke Hambach, also weiblich und in Gestalt eines Emo-Teenies - ein perfekter Kontrast zu den oberspießigen Eltern Gherardo und Nella aka Thomas Seidel und Meredith Nicoll (ist es Zufall, daß Gherardo optisch an einen jüngeren Ingolf Lück erinnert?). Die durchgreifende Plutokratin Zita (Anna Michelsen), der langweilige Beamte Simone (Tobias Bader), der Lebemann Marco samt seiner Lebefrau Ciesca (Vincent Gühlow, Teresa Maria Winkler) - treffendere Zeichnungen bzw. Überzeichnungen sind kaum möglich. Oldag leistet sich zudem die Hinzufügung der stummen Rolle einer blonden Karbolmaus, die augenscheinlich im wesentlichen aus Beinen besteht und im Programmzettel ein Nomen Nudum bleibt. Daß ausgerechnet Dominic Große die andere stumme Rolle, nämlich den toten Buoso Donati, zu spielen hat, geht zwar als Verschwendung von Gesangstalent durch, aber dafür glänzen eben einige andere, am stärksten Christian Backhaus in der vielschichtigen Titelrolle. Hingegen müssen Moqing Luo (als Rinuccio) und Akino Tsuji (als Lauretta) noch etwas arbeiten, um voll überzeugen zu können: einesteils an der deutschen Aussprache, andererseits an der Treffsicherheit gleich von Beginn an. Aber beide sind auf dem richtigen Weg, und bei Tsuji stellt man staunend fest, was für eine laute Stimme aus so einem Persönchen kommen kann, schlußfolgernd, daß Lautstärke nicht allein etwas mit dem Resonanzraum zu tun haben muß. In der Gesamtbetrachtung macht das alles enorm viel Spaß, und so begibt man sich schmunzelnd auf den Heimweg - daß der Rezensent dabei nun ausgerechnet die Sonata-Arctica-Dystopie "Replica" vor sich hin pfeift, hat keine rationalen Gründe.



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