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Sade   15.11.2011   Leipzig, Arena
von ta

Sade Adu, die britisch-nigerianische Stimmwerdung des Loungefeelings, bricht anno 2011 zur sechsten Tour ihrer nun beinahe 30jährigen Karriere auf. Um die Dimension dieser Tour zu erfassen, braucht man nur einmal die Ausgaben des US-amerikanischen Billboard-Magazins vom 19. August und vom 4. November 2011 aufzuschlagen und ein paar völlig irre Zahlen auf sich wirken lassen, die wir hier ohne Gewähr wiedergeben wollen: "Soldier Of Love", das mit der Tour promotete Album, verkaufte in der ersten Erscheinungswoche in den USA 502.000 Einheiten, bis August 2011 ist der der Verkaufsstand auf 1,3 Mio gestiegen. Seit "Diamond Life" (1984) hat Sade 23,5 Mio Alben in den USA verkauft und bei der Singleauskopplung "Soldier Of Love" handelt es sich um die erfolgreichste Sade-Single seit "Nothing Can Come Between Us", das nun immerhin auch schon 23 Jahre zurück liegt. Der zwischen Juni und September 2011 angesiedelte Nordamerikaarm der Tour, ein Marathon aus 36 Konzerten, lockte bis zum 14. August 2011 über 345.000 Besucher in die reihenweise ausverkauften Konzertsäle und spielte 31 Mio US-Dollar ein, Konzerttickets gingen hierbei für bis zu 180 Dollar über den Tresen. Für das Konzert in San Diego wurden 15.625 Karten verschachert, zum Doppelkonzert in Anaheim spielte die Sängerin vor insgesamt 24.648 Besuchern. Allein das Konzert in Las Vegas spülte knapp 1,4 Mio US-Dollar in die Kassen.
Mit dem Rückschwenk der Tour nach Europa ab Ende Oktober war also der pure Wahnsinn zu erwarten und nichts als der pure Wahnsinn. Unter der Rubrik "Speerspitze des Wahnwitzes" darf man in dem Zusammenhang die sog. VIP-Packages verbuchen, die dem Besucher neben einem Platz in den ersten acht Reihen auch Teilnahme am Catering, einen Merchandise-Artikel und dergleichen mehr versprachen - zum unschlagbaren Preis von 399 Euro. Danke, aber Nein. Zum Rest Ja.
Es liegen zehn Jahre zwischen "Lovers Rock", der vorletzten Scheibe, und dem neuen Album, am 3. Mai 2011 war es in Hamburg das erste Mal seit 18 Jahren, dass Sade eine deutsche Bühne betrat. Im Mai standen außerdem Oberhausen, Stuttgart, Frankfurt, Berlin, München und Köln auf der Konzertliste dieser gigantischen Tour, drei Zusatzkonzerte in Deutschland sind der großen Nachfrage wegen für den November anberaumt worden: Leipzig am 15., Mannheim am 16. und Dortmund am 19. November. Und mit achtzehn Jahren und einer knappen dreiviertel Stunde Verzug betritt Sade dann tatsächlich und endlich aus einer unterirdischen Treppe aufsteigend um 20:42 Uhr die Bühne der Leipziger Arena, wo die ersten Töne von "Soldier Of Love" augenblicklich in ohrenbetäubendem Jubel untergehen -
Nein, doch nicht. So verlangt es die Dramaturgie der Erzählung, aber die Realität ist nüchterner an diesem kalten Herbstabend. Denn in der bis zu 12.000 Gäste fassenden Arena sind - laut Angabe der Lokalzeitung - rund 6000 Leute erschienen, auf den Seitenrängen sind entsprechende Lücken zu sehen und der Jubel ist zwar groß, aber nicht ohrenbetäubend. Der komplette Innenraum ist bestuhlt und erst beim Mitsingteil des dreizehnten Songs, einem Medley aus "Paradise" und "Nothing Can Come Between Us", wagen die ersten Besucher es auch mal, sich zu erheben und einer Legende der Pop/Soul-Branche die verdienten Standing Ovations zu kredenzen. Entsprechend beleidigt verlautet die Sängerin, dass die Montagsdemos mit einer Begeisterungsfähigkeit wie an diesem Abend wohl gescheitert wären und die Nikolaikirche heute Zaisserdom heißen würde.
Nein, wieder nicht. Sade Adu ist Güte und Bescheidenheit in einer Person, macht nach jedem zweiten Song einen Knicks und flötet eine warmherzige Botschaft nach der anderen in die lauschende Menge. Sie bitte um Verzeihung, dass sie so lange unpässlich gewesen war; ihre Band hinter und dieses Publikum vor ihr, mehr brauche sie nicht zum Glücklichsein; und wer dieses ihr Glück gerade nicht teilen könne, dem widme sie immerhin "In Another Time", wo es heißt "Darling I just want you to know/Your tears won't leave a trace". Das ist schön und liebenswürdig gesagt, gedacht und es passt zu den erzromantischen Songs, die immer wieder eben von dieser einen Sache handeln: "Love Is Found", "Love Is Stronger Than Pride", "All About Our Love" etc. Gottlob, der Rezensent hat seine Freundin dabei und darum wird der Abend so wundervoll und liebreizend, wie Sade es verspricht. Die Songs, immerhin 21 Stück an diesem Abend, schwanken zwischen irgendwie angenehm, richtig schön und wirklich großartig. Rhythmisch-bewegte Oldtimer wie "Your Love Is King", "Smooth Operator", das bereits relativ früh ertönt, und der Bossa-Groover "Sweetest Taboo" stehen gleichberechtigt neben grandiosen Midtimern von "Love Deluxe" und "Lovers Rock", von denen besonders der mit einer unglaublichen Lightshow beadelte Megahit "No Ordinary Love" alle Dämme brechen und den ohrenbetäubenden Jubel dann doch erklingen lässt. Gleich sieben neue Songs haben es zudem in die Setlist geschafft, von denen zwei zu den Höhepunkten des Abends zählen: "Love Is Found", einer der zwei Neulinge der 2011er-Best-Of "Sade - The Ultimate Collection", ist eine mitreißende Elektro-Pop-Nummer, die mit ihren pentatonischen Anklängen regelrecht originell wirkt. Und gegen die wunderschöne Ballade "Morning Bird" kommen nicht einmal die klassischen Tränendüsendrücker "Jezebel" und "Pearls" an. Was für Akkorde! Was für Klangfarben! Was für eine sanfte, warme Stimme! Auf dem riesigen LED-Schirm hinter der Bühne sieht man in braungetonter s/w-Fotografie Andrew Hale auf die Klavierfinger, beobachtet, wie Paul Denman seinen Kontrabass streichelt und Pete Lewison seine Percussions mehr umspielt als einfach nur spielt.
Die Bühne
Überhaupt ist die Optik dieses Abends überragend. Während zwei Leinwände an den Seiten einzelne Musiker zeigen, ist die mittige Hauptleinwand zumeist für Videoeinspielungen reserviert. Die sind farblich und szenisch exzellent in Szene gesetzt und reichen thematisch von malerischen Waldspaziergängen über Tänze scherenschnittartiger Figuren bis hin zu Helikoptersimulationen und Neonreklamen für ein Sade-Konzert - letzteres angekündigt in schöner Late-Night-Optik und in Leipzig. Die von Tina-Turner-Produktionsleiter Baz Halpin in Szene gesetzte Beleuchtung ist grandios atmosphärisch und ein Arsenal verschiedener Vorhänger und Gardinen verhüllt und entlässt eine Flut von Musikern, die sämtlich wie dem Jungbrunnen entsprungen aussehen. Dem jungen Sessiongitarristen (Liam nochwas) habe man eine Glatze geschoren, damit neben ihm der Rest der Band nicht so alt wirke, schmunzelt die Sängerin bei ihrer sympathisch-ausführlichen Vorstellung der Live-Besetzung ins Mikro - bescheiden ist sie auch noch!
Bescheiden ist das Leipziger Publikum gottlob und trotz anfänglicher Verhaltenheit nicht und als nach "By Your Side" die Lichter ausgehen, gibt es ein minutenlanges Pfeif- und Klatschkonzert, das mit "Cherish The Day" belohnt wird, der lässigen Feelgood-Verabschiedung dieser Mammuttour, deren unauffälliger Groove schon wie der Nachhall auf dieses grandiosen Konzertereignis wirkt. Dann ist aber wirklich Schluss. Um 22.52 Uhr, exakt 130 Minuten nachdem Sade Adu aus dem Dunkel auf die Bühne stieg, steigt sie ins Dunkel zurück und hinterlässt liebende Herzen. 6000 Leipziger treten aus der Arena in eine eisige Nacht, doch warm in ihrem Innersten. Und wer das schafft, der ist zu Recht eine Musiklegende.

Setlist:
1. Soldier Of Love
2. Your Love Is King
3. Skin
4. Kiss Of Life
5. Love Is Found
6. In Another Time
7. Smooth Operator
8. Jezebel
9. Bring Me Home
10. Is It A Crime
11. Love Is Stronger Than Pride
12. All About Our Love
13. Paradise/Nothing Can Come Between Us (Medley)
14. Morning Bird
15. King Of Sorrow
16. Sweetest Taboo
17. The Moon And The Sky
18. Pearls
19. No Ordinary Love
20. By Your Side
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21. Cherish The Day

Der Beweis: Der Rezensent hat seine Freundin mitgebracht.



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