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Salut Salon   07.10.2011   Glauchau, Theater
von rls

Daß "klassische Unterhaltung" nicht automatisch ataktische Mitklatschversuche zu Operettenhits, mäßig originelle Confèrencier-Monologe oder die ungewollte Umwandlung von Wagners Holländer-Ouvertüre in Hindemiths "Ouvertüre zum Fliegenden Holländer, wie sie eine schlechte Kurkapelle früh um sieben am Brunnen vom Blatt spielt" bedeutet, sollte sich hoffentlich mittlerweile herumgesprochen haben. Wer diese Theorie noch nicht kennt, überzeuge sich in der Praxis selbst, indem er einen Auftritt von Salut Salon besucht. Nehmen wir als Beispiel den am 7. Oktober im kleinen, aber feinen Stadttheater Glauchau (Treppenwitz vor Beginn: Die Südhälfte der Theaterstraße entpuppt sich, für den Ortsunkundigen völlig überraschend, als unbefestigter Feldweg), ein Gastspiel mit dem neuen Programm "Ein Haifisch im Aquarium" markierend. Vier optisch reizende (und das auch wissende, aber nicht überbetonende) Damen mit überragenden musikalischen Fertigkeiten zaubern zwei Stunden gute Laune in den Saal und in die Gesichter der leider nur in überschaubarer Kopfzahl anwesenden Gäste, sofern diese nicht zur streng knöchernen Puristenfraktion der Marke "In der Konzertsituation darf auf der Bühne keine Bewegung der Hintergliedmaßen wahrnehmbar sein" gehören, was allerdings nur auf die wenigsten zugetroffen haben dürfte. Der Klangweltenentdecker hingegen ist hellauf begeistert, was man aus zwei Violinen, einem Cello und einem Klavier so alles herausholen kann, wenn man die elektrische Verstärkung nicht als Sakrileg, sondern als Chance begreift und zudem die percussionistischen Fähigkeiten einer E-Geige erkannt hat, mit deren Effekten man durchaus das Zerbröseln von Knochen in der Hand von Mussorgskis Baba Yaga darstellen kann. Bisweilen wird die Instrumentenpalette auch noch durch Akkordeon, die Erwachsenenversion einer Triola oder ungewöhnliche Spieltechniken erweitert, etwa indem Pianistin Anne-Monika die Saiten immer mal durch den geöffneten Deckel von oben her zum Klingen bringt und damit eher zupfinstrumentenähnliche Klänge a la Hackbrett hervorbringt.
Und was spielen die vier Damen nun? Das Intro gibt auch dem Unkundigen eine Ahnung, was er zu erwarten hat: ein Medley aus "Der weiße Hai", "Das Boot" und dem altbekannten Mackie-Messer-Klassiker. Danach rast der Hai durch die Aquarien und Flüsse der halben Welt, paart sich mit de Falla und Piazzolla, schnappt sich eine Sarasate-Tarantel, die zufällig gerade ins Wasser gefallen ist, oder eine Schubert-Forelle und übergibt letztlich an seine russische Verwandte, eben die Baba Yaga, die die Seelen der verschlungenen Opfer in unschuldige Küchlein in ihren Eierschalen verwandelt. Und das alles kommt mit einer derartigen spritzigen Spielfreude von der Bühne, daß einem wie beschrieben das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht weichen will, auch wenn es in manchen Momenten wie der ultrafinsteren Überfahrt nach Irland eher eines der festgefrorenen Sorte ist. So richtig humorlos kommt eigentlich nur Edward Elgars Cellokonzert daher, aber damit stopfen die Hamburgerinnen auch die Münder derjenigen Kritikaster, die ihnen leere Show ohne Hintergrund vorwerfen - dieses Ding auf die Version dieses Abends mit der beschriebenen Besetzung einzudampfen muß man auch erstmal hinkriegen. Und vor den vier Damen ist wirklich nichts sicher, auch nicht "Drei Chinesen mit 'nem Kontrabaß" oder eine finnische Polka mit einem unaussprechlichen Titel. Dazu kommen noch ein paar Showeffekte, die die technische Brillanz des Quartetts eindrucksvoll unter Beweis stellen, etwa wenn Anne-Monika irgendwann mal rücklings auf dem Klavierhocker liegt, überkopf mit einer Hand Klavier spielt und mit der anderen Hand per Bogen das Cello bedient, das Sonja über sie hält. Singen können alle vier übrigens auch ausgezeichnet, lachen aber noch viel besser: Als am Ende von "De Leev" (ein französisches Chanson, allerdings ins Plattdeutsche umgetextet) ein offensichtlich besonders hingerissener Anhänger im Publikum ein lautes Kußschmatzgeräusch von sich gibt, erzeugt das auf der Bühne Lachanfälle, die aber die Exaktheit der folgenden ausgedehnten Instrumentalpassage trotzdem nicht beeinträchtigen. Hut ab vor solch einer Abgestimmtheit, zumal wenn man bedenkt, daß Salut Salon in wechselnden Besetzungen arbeiten: Zu den Gründerinnen und Geigerinnen Angelika und Iris stoßen jeweils unterschiedliche Cellistinnen und Pianistinnen (auch wenn die derzeitige Besetzung den Löwenanteil der Aktivitäten der letzten Jahre bestritten hat). Aber daß wechselndes Personal auch Chancen bietet, hat man ja bei diversen großen Seventiesrockern gesehen, an deren Soloduelle man sich auch an diesem Abend bisweilen erinnert fühlt, wenn die drei Streicherdamen sich gegenseitig fröhlich mit Themen bewerfen. Und in jedem zweiten Titel, den das Cello einleitet, erwartet man, jetzt müsse aber nun Apocalypticas "Nothing Else Matters"-Adaption kommen, und es wird dann doch wieder was ganz anderes daraus - ein Beweis, welche Erwartungshaltung ein simples E-Cello mit geringen Mitteln auslösen kann ...
Aber alle Worte nützen hier eigentlich nichts: Salut Salon muß man selber mal live gesehen haben, um einschätzen zu können, ob man mit dieser Sorte "klassischer Unterhaltung" etwas anfangen kann oder nicht. Der Rezensent hat sich jedenfalls köstlich amüsiert, ganz besonders auch über die erste Zugabe, die das bekannte "Bruder Jakob"-Thema in die unterschiedlichsten musikalischen Kontexte einfügt - es sei an dieser Stelle natürlich nicht alles verraten, sondern nur als Appetizer "Also sprach Zarathustra" in den Raum geworfen. Nach der zweiten Zugabe sprinten die vier Musikerinnen flugs zum Merchandisingstand im Vorraum und machen nahtlos mit dem Konzert weiter - diesmal in Form chilenischer Folklore, da sie ein Musikunterrichtsprojekt für Straßenkinder in Chile (nach dem Vorbild von "El Sistema" in Venezuela, nur eben ohne große Organisationsstruktur dahinter) unterstützen. Ein äußerst unterhaltsamer Abend, klasse Musik, schöne Frauen - was will man noch? Mehr davon vielleicht - www.salutsalon.de gibt Auskunft über weitere Dates.



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