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10. Sinfoniekonzert   22.06.2011   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Schon kurios: Innerhalb von drei Tagen spielen zwei große im sächsischen Raum beheimatete Orchester die gleiche Bruckner-Sinfonie, und da die Siebente nicht noch einmal umgearbeitet worden ist, handelt es sich sogar um die gleiche Fassung. Die Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz koppelt das Werk allerdings nicht mit einem Mozart-Klavierkonzert, sondern mit den Vier letzten Liedern von Richard Strauss, die nicht vom Komponisten, aber von seinem Verlag in eine dischronologische Reihenfolge gebracht wurden, die allerdings hilft, sie als Strauss' Schwanengesang und als Abschied von der irdischen Welt zu apostrophieren. Zwar beginnt "Frühling" relativ düster, macht aber bald wogendem Leben Platz, in dem Frank Beermann allerdings dem Orchester bisweilen etwas zuviel Spielraum zugesteht und damit den von Christiane Oelze etwas beschneidet, die bisweilen etwas zu sehr zugedeckt wird. In den Tiefen des Beginns agiert sie erstaunlich nuancenreich, neigt aber später nicht nur in den mit Überdeckungsgefahr ausgestatteten Passagen zur Energieüberdosierung. In "September" entdeckt man überrascht die Frühform eines Themas, das in "Jesus Christ Superstar" fröhliche Urständ feierte - und "feiern" ist ein gutes Stichwort, denn dieses Lied geht flüssig zur Sache wie der Wein auf einem herbstlichen Erntefest. Freilich klappt auch hier die Balance themengemäß nicht immer: Wenn Oelze "sehnt sich nach Ruh" haucht, dann genügt schon ein leises Orchester, um sie so gut wie unhörbar zu machen. Der wunderbar gelungene Satzausklang, sowohl seitens der Sängerin als auch im Orchesternachspiel, macht allerdings viele Probleme vergessen, trotz des vergeigten Schlußtoneinsatzes. "Beim Schlafengehen" eignet sich für die titelgebende Tätigkeit ähnlich gut oder schlecht wie dieses gewisse Brahmslied mit dem "Morgen-früüüüüh"-Kräher - die Breakdichte bei Strauss ist zu hoch, wofür Konzertmeister Hartmut Schill mit einem ausgedehnten einfühlsamen Violinsolo allerdings mehr als genügend Kompensation bietet. "Im Abendrot" beginnt mit etwas zu kraftvollem Orchester, aber die elegische Stimmung bricht sich bald Bahn und verbessert auch wieder die Balance zwischen Sängerin und Orchester, auch wenn nicht jedes Detail der Feinabstimmung sitzt, wie man am Ende der dritten Strophe bemerkt. Aber nach hinten heraus wird das Ganze immer besser, legt Oelze die ganze Spannung in die letzte Gesangszeile und hat endlich auch ihre Arme im Griff, nachdem sie das ganze Konzert über den Eindruck erweckt hatte, sie wisse nicht so recht, was sie mit ihren Vordergliedmaßen anfangen solle. Das Orchester will in puncto Spannung nicht nachstehen, legt ein zauberhaftes ausfadendes Nachspiel hin und entläßt das Publikum in ergriffener, aber guter Stimmung in die Pause.
In der Bruckner-Sinfonie danach ergeben sich einige erstaunliche Parallelen, aber auch signifikante Unterschiede zur Darbierung des MDR Sinfonieorchesters drei Tage zuvor. Auch in Chemnitz nämlich ist der weiche Violinteppich flickenfrei, und auch in Chemnitz finden sich die Hörner nicht punktgenau zum gemeinsamen Einsatz mit den Celli ein. Leichte Unordnung herrscht auch in Chemnitz in den Schichtungen zum ersten Tutti, das dann aber sitzt, und auch in Chemnitz gibt es winzige Abstimmungsprobleme in den Bläsersoli, an denen aber - Überraschung - mal nicht die Hörner allein schuldig sind. Die überwiegend starken Einzelleistungen weisen jedenfalls den Weg in eine bessere Zukunft, und Beermann nimmt das Grundtempo gefühlt etwas höher als sein Kollege Carl St. Clair, was mancher zähen Wendung ihre Schwerfälligkeit zumindest etwas nimmt. Das erste Tutti hatte er auch gleich etwas voluminöser angesetzt, und auch im weiteren Verlauf läßt er das Blech mehr Power von hinten hineinpumpen, was er durch ein recht düsteres Geschehen über den Paukenwirbeln wieder konterkariert. Und so einen transparenten Schlußlärm bekommt auch nicht jeder gebacken.
Auch im Adagio schleppt sich Beermann nicht zu träge dahin, aber natürlich ohne diesem großen Trauergesang die düstere Wirkung zu nehmen, wie gleich die Einleitung beweist; Klangfetischisten, die beide Konzerte gehört haben, dürfen darüber hinaus analysieren, welche Unterschiede die Sitzposition der Wagnertuben (hier getrennt von den Hörern) akustisch hervorgerufen haben könnte. Zwar gerät der große Tiefblechchoral etwas ungewollt schräg, aber Beermann macht das durch ein geschicktes Tempodrosselungsmanagement wieder wett, läßt im Ausbruch noch Reserven nach oben und bringt in den Schlußteil noch mehr Spannung als die MDR-Kollegen hinein.
Im Scherzo nimmt Beermann St. Clairs Temporelativierungsstrategie auf, aber er schafft es wiederum, die Powerparts transparenter zu gestalten, und da stellt es absolut kein Problem dar, wenn er das Trio sogar recht langsam nimmt - das bereitet trotz des zwischengeschalteten zweiten Scherzoteils zugleich auf das Geplänkel im vierten Satz vor, aus dem bald zackig-lauter Ernst wird. Orchester und Dirigent meistern die kleinflächige Dynamik, ohne mit der Wimper zu zucken, und das Blech bringt das Kunststück fertig, in seinen zackigen Gestus noch einen weichen Choralunterton zu legen. Die Dramatik stimmt fast durchgehend, und nur die Schlußenergie fließt dann doch ein wenig zu weit auseinander, was die Spannung etwas abschwächt. Trotzdem kommt es zu einer langen Applauspause, bis sich das ergriffene Publikum herzlich bei den Protagonisten bedankt und sie konzerttechnisch in die Sommerpause schickt.



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