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Carl St. Clair   19.06.2011   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Krankheitsbedingte Künstlerausfälle sind für die Programmplanungsfraktion immer ein hartes Brot, aber in diesem Fall kommt die Absage der Pianistin Mihaela Ursulinea so langfristig, daß die Verantwortlichen beim MDR noch so lange Zeit haben, einen Ersatz zu finden, daß dieser sogar regulär im Programmheft erscheinen kann und nicht per Einlegeblatt bekannt gegeben werden muß. Der kroatische Pianist Dejan Lazic ist im MDR-Kontext kein Unbekannter: Schon im Februar 2010 hatte man ihn an gleicher Stelle mit Chopins 1. Klavierkonzert gehört und sich bereits damals über sein flüssiges Spiel gefreut. Diese Tugend versucht der Pianist nun auch in Mozarts Klavierkonzert G-Dur KV 453 unterzubringen; freilich muß sich der Hörer an diesem Abend im nahezu gefüllten Gewandhaus etwas anstrengen, um das wahrzunehmen, denn das von Carl St. Clair geleitete MDR Sinfonieorchester neigt gern dazu, den Solisten akustisch zuzudecken. Ob es daran liegt, daß seinem Spiel etwas die Klangtransparenz fehlt, bleibt nur eine Vermutung, aber eine durchaus stichhaltige. Zumindest sitzen die Passagen, in denen Orchester und Pianist sich per call-and-response unterhalten müssen, tadellos. Bereits in der langen Orchestereinleitung des ersten Satzes aber bemerkt man die etwas vorwitzigen Hörner, die zum Running Gag des Abends werden sollen und wenig bis keine Bindung zum Rest finden, egal wer da gerade spielt. Lazic kriecht anfangs förmlich in sein Klavier hinein, gönnt sich einige sehr stark ausgereizte Tempovariationen und spielt eigene Kadenzen, die im ersten Satz ziemlich mollglühend. Das Andante nimmt das Orchester anfangs relativ hart, aber der Pianist ist mit diesem Ausdruck offensichtlich nicht zufrieden, streichelt sein Instrument förmlich und laviert sich samt des Orchesters dann unauffällig durchs Flachwasser, getrübt allerdings durch den Defekt eines technischen Gerätes irgendwo im Zuschauerraum, das einen tinnitusartigen Dauerton zu erzeugen beginnt, der etwas an einen ganz weit entfernten Mixer erinnert und in den ganz ruhigen Passagen, von denen Mozart schon etliche vorgesehen hat und wo man eigentlich nur auf das zart schmelzende Klavier hören sollte, zum akuten Störfaktor wird. Erstickungsanfälle im Publikum verhageln dann auch noch die Kadenz emotional. Ob deswegen die Bläser den Kadenzausgang so hart nehmen? Zumindest gelingt ein recht leichtfüßiger Auftakt des dritten Satzes - was wieder mal nicht gelingt, ist der Versuch, ein Zusammenspiel zwischen Hörnern und Piano oder Hörnern und Orchesterrest zu organisieren, wohingegen die knüppelharten Holzbläsereinwürfe offensichtlich so geplant sind. "Presto" wollte Mozart den Schlußteil gespielt wissen, und dieser Aufgabe entledigen sich Orchester und Pianist auf elegante Weise und offenbar mit großem Vergnügen. Der Applaus ist zumindest enthusiastisch genug, um Lazic noch eine Zugabe zu entlocken: das Presto aus Haydns Englischer Sonate, das seiner Vorliebe für Tempovariationen auf kleinstem Raum nochmals Raum gibt.
In Anton Bruckners 7. Sinfonie, die im zweiten Teil des Konzerts erklingt, genügt ein kurzes Hineinhören in den ersten Satz, um festzustellen, daß dies wohl nicht mehr der Abend der Hörner werden wird: Da legen die Violinen einen entrückten Teppich aus - und die Hörner versemmeln den Einsatz mit den Celli. Auch in den Streicherflächen, die St. Clair gekonnt zur ersten großen Steigerung schichtet, herrscht bisweilen etwas zu viel Unordnung, aber hier hat der Dirigent die Lage schnell wieder im Griff - bis die Hörner wieder in Erscheinung treten, diesmal innerhalb des großen Komplexes der Bläsersoli. Dreimal darf der Leser raten, wer hier scheitert. Das können die schön raumgreifenden Celli nicht wieder wettmachen. Dann beginnt ein langes Hinundherlavieren, für das St. Clair ein zumindest gefühlt recht behäbiges Tempo wählt, was etwas den Eindruck von Rasenschach hinterläßt. Immerhin versuchen die Hörner mit stellenweise butterweichem Spiel einige Scharten wieder auszuwetzen, und nachdem die Einleitung zur Schlußsteigerung etwas arg holperte, sitzt die Steigerung selbst dann wieder maßgeschneidert.
Als Entschleuniger erweist sich St. Clair dann im Adagio: Er senkt das gefühlte Tempo deutlich unter den Durchschnitt seiner Kollegen, was zwar etliche schöne Klangeffekte ermöglicht, aber auch einen generell zähflüssig-quälenden Eindruck hinterläßt. Zwar glühen die Wagnertuben finster, aber die Dunkelheit bleibt in der Folge eher indifferent - für richtige Apokalyptizität, bei der das Tempo angemessen wäre, liefert Bruckner selbst nicht die nötige Steilvorlage. Zumindest gelingt im zentralen Blechchoral eine brillant ausgemeißelte Monumentalität, die sich im folgenden Zentraltutti noch steigert, aber das reicht nicht, und etliche instrumentale Einzelleistungen lassen deutlich zu wünschen übrig, seien es die patzende Tuba im Blechchoral oder die uneinigen Flöten danach. Immerhin gelingt ein spannender Schluß, der auf das Folgende hoffen läßt.
Freilich relativiert St. Clair auch das Scherzo: "Sehr schnell" wollte Bruckner das haben, und "sehr schnell" ist es im Vergleich zum Adagio sicherlich auch, im allgemeinen Tempomaßstab aber definitiv nicht. Zudem trüben auch hier mancherlei wacklige Rhythmen das Bild. Das Trio gerät leichtfüßiger, bevor das Orchester wieder einen monumentalen Schluß aus dem Ganzen feilt, wenngleich immer noch nicht "sehr schnell".
Auf die Herausarbeitung von Dynamikgegensätzen zielt der Dirigent dann offensichtlich im letzten Satz ab. Heißt: Das Blech trampelt, diesmal übrigens gekonnt und vor allem tight, wie ein wütender Elefant alles nieder, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, während St. Clair die gazelleneleganten kammermusikalischen Passagen weit zurücknimmt und so starke Kontraste schafft, die das von Bruckner gewünschte bewegte Klangbild ergeben. Schlußendlich paaren sich beide Tiere, und so gewinnt die Wut des Elefanten mit der Eleganz der Gazelle das Rennen, was offenbar auch dem Publikum gefällt und zu nicht überbordendem, aber doch zufriedenem Applaus führt, wenngleich man mit der Leistung im Gesamtüberblick an diesem Abend nicht durchgängig zufrieden sein kann (zumal das gleiche Programm am Abend zuvor schon in Suhl gespielt worden war).



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