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Hochschulsinfonieorchester   06.05.2011   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

In der heutigen Orchesterwelt ist es gängige Praxis, daß ein Orchester nicht nur unter seinem Hauptdirigenten spielt, sondern mehr oder weniger regelmäßig auch Gastdirigenten mit jeweils individuellen Vorstellungen von der Arbeit mit bestimmten Stücken am Pult stehen. Da ist es natürlich günstig, wenn die Studenten der Leipziger Musikhochschule auch auf diese Situation, vor der sie im späteren Berufsleben stehen werden, vorbereitet sind, und dieser Abend bietet eine Gelegenheit dazu: Hatte das Orchester noch im April unter seinen Stammdirigenten Ulrich Windfuhr und Barbara Rucha ein Mahler-Programm gespielt, so steht diesmal der Schwede Per Borin am Pult, ein erfahrener Mann, was die Leitung studentischer Orchester angeht, tut er Gleiches doch seit mehr als einem Jahrzehnt an der Musikhochschule Stuttgart und seit 2009 außerdem noch im chinesischen Xian. Offensichtlich haben ihn auch die Leipziger Studenten schnell ins Herz geschlossen, wozu sein bewegliches Dirigat ähnlich viel beigetragen haben könnte wie der Eindruck des leicht chaotischen, aber sympathischen Professors, den Borin außerhalb der Werke mit seinen Bewegungen hinterläßt.
Die Wahrheit liegt aber natürlich auch hier auf dem Platz bzw. der Bühne, und dort stellt die Mannschaft zunächst Mozarts Sinfonia concertante für Flöte, Oboe, Horn, Fagott und Orchester Es-Dur KV 297b zur Debatte, allerdings in veränderter Besetzung: Anstelle der Flöte erklingt an diesem Abend eine Klarinette, und das rächt sich ein bißchen, denn Edgar Heßke an diesem Instrument ist maßgeblich daran beteiligt, Yu Tung Shihs Fagott klanglich unterzubuttern, was mit einer Flöte vermutlich nicht passiert wäre. Immerhin hört man die Fagottistin an diversen maßgeblichen Stellen noch gut genug, um ein exzellentes Zusammenspiel des Solistenquartetts zu diagnostizieren - die Quartettkadenz im ersten Satz etwa fällt absolut sahnig aus. Das Orchester selbst macht auch keine schlechte Figur, wenngleich manche der Generalpausen ringsum noch ein Gefühl der Unordnung hinterlassen. Im Adagio beginnt das Orchester dann allerdings ein bißchen zu träge zu werden, so daß Borin es fast "ziehen" muß, um auf sein Wunschtempo zu kommen. Trotzdem (oder vielleicht auch deshalb?) ergeben sich ein paar schöne Klangwirkungen, und die vier Solisten spielen sich wieder äußerst gekonnt die Bälle zu. Im Intro des Andantino con variazioni möchte man dann am liebsten das Tanzbein schwingen, am allerliebsten mit Oboistin Marta Malomvölgyi, die sowieso äußerst bewegungsintensiv (und mit äußerst interessanter Mimik) spielt und in die Variation, in der sie durchgehend Leads zu spielen hat, noch eine Extraportion Paprika streut. Das Orchester kapituliert ein wenig vor solcher Gestaltungskraft und spielt nicht sonderlich kontrastreich - Borin fordert zwar mehr Extreme, aber er bekommt sie nicht immer. Macht freilich nichts - die vier da vorn schmeißen den Laden auch alleine, und wer beim simplen Lesen der Besetzung die Stirn gerunzelt hat, weil ein Horn doch automatisch die anderen drei Instrumente übertönen würde (das Grundproblem eines jeden Bläserquartetts oder -quintetts mit Holz-Blech-Mixbesetzung), den belehrt Abel Pérez Armas an diesem Abend mit einem wohldosierten, teils butterweichen Einsatz eines Besseren.
Das Horn spielt auch im zweiten Werk des Abends eine tragende Rolle, nämlich in der Serenade für Tenor, Horn und Streicher op. 31 von Benjamin Britten. Die beginnt mit einem Hornsolo als Intro, wobei Anna Magdalena Euen nicht vor, sondern hinter dem Orchester steht, aber trotzdem immer deutlich hörbar ist. Tenor Paul Kaufmann und das Orchester brauchen das halbe Pastoral, um sich richtig zu finden, was dann im Zupfgroove bei "A very little, little flock ..." gelingt. Der Sänger stellt am Ende des Pastoral unter Beweis, daß man als Tenor auch äußerst fragil singen kann, was manche Stimmkollegen bei anderen Gelegenheiten jüngst eher zu bezweifeln geneigt waren. Das Nocturne hat Britten alles andere als nächtlich konzipiert; hier bekommen die Beteiligten, als von fern das Elfland-Horn leise klingen soll, auch tatsächlich wunderbare Distanzwirkungen hin. Das ist aber noch nichts gegen die exzellente Orchesterdüsternis samt infernalischem Horn im instrumentalen Intro der Elegy und gegen die enorme Spannung in deren Outro mit hervorragender Feinarbeit der Hornistin. Dirge entpuppt sich dann als relativ flotter Totentanz, wobei Kaufmann, der sich bisher problemlos Gehör verschaffen konnte, nun ausgerechnet am Höhepunkt, "fire" in der sechstletzten Zeile, vom Orchester zugedeckt wird, womit die Stelle ihren Effekt verliert. Die Hymn verlagt ein Speedhorn über einem Zupfuntergrund, bevor die Hornstimme ins Gegenteil, also ins Ultralangsame, umschlägt. Das Sonnet enthält noch einige harmonische Gewagtheiten, gibt dem Tenor noch einmal Glanzmöglichkeiten und endet dann aber wunderbar fragil, bevor die Hornistin noch den Epilog solistisch bestreitet, und zwar hinter der Bühne spielend. Das baut enorme Spannung auf, die nicht mal durch knarrende Stühle gebrochen werden kann und für einen ganz eigenartig berührenden Ausklang des Stückes sorgt.
Nach der Pause ist der Star die Mannschaft: Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie liegt auf den Notenständern, ein dankbares Stück für ein studentisches Orchester, das dem Affen gern mal Zucker gibt. Borin geht da gerne mit und zeichnet schon den ersten Satz recht kontrastreich in einem weder an die heutigen Beethovenbeschleuniger noch an die pseudoromantische Lesart gemahnenden mittleren Tempo, dafür mit viel Energie im Tutti, auch wenn der Dirigent hier (besonders im zweiten) noch ein wenig Unordnung ausgleichen lassen muß. Das in sehr guter Form befindliche Holz hilft ihm dabei gern, und gegen Satzende werden auch die Kontraste nochmal stärker, ohne aber an eine Überzeichnung zu grenzen. Licht und ein wenig Schatten auch im Allegretto - der Eingangschoral gelingt schön feierlich, aber er zerfasert im Abgang. Eine gewisse Leichtigkeit bleibt aber sogar im Repetitions-Tutti erhalten. Im Scherzo dagegen setzt Borin wieder verstärkt auf Kontrastwirkungen, ohne aber Gräben auszuheben; kurze Nervositätsanflüge im Holz legen sich schnell wieder. Der Trioteil gelingt sehr raumgreifend, wobei das Geschehen nicht zum Stillstand kommt, sondern nur bis in dessen Nähe. Das abschließende Allegro con brio beginnt mit einem großen Triumphausbruch, den auch die kurz wiedergekehrte Unkoordiniertheit wirkungsseitig nicht bricht. Eine Großportion Frische und Direktheit (von einem älteren Konzertbesucher mit den Worten "Es wurde immer besser von Satz zu Satz" umschrieben) macht aber alle kleinen Detailproblemchen locker wett, der Schlußteil geht als äußerst kompetente akustische Kriegführung durch, und so wundert es nicht, daß Orchester und Dirigent mit sofortigen lauten Bravorufen belohnt werden.



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