Parsifal 22.04.2011 Leipzig, Oper von rls
Richard Wagners letzte Oper (oder "Bühnenweihfestspiel", wie er sie selbst zu titulieren pflegte) "Parsifal" wird landläufig gern an Karfreitagen aufgeführt, da der dritte Akt an einem solchen spielt. Zwar ist diese Praxis nicht unumstritten, da sie nach Meinung manches Exegeten der Deutungspluralität Einhalt gebiete, indem sie den Gehalt ausschließlich auf die christlich determinierte Erlösungshaltung reduziere - aber man kann das Pferd auch anders herum aufzäumen, und genau das tut die Oper Leipzig, als sie 2011 zwei Vorstellungen einer 2006er "Parsifal"-Produktion von Roland Aeschlimann (deren Leipziger Premiere übrigens am Samstag vor Palmsonntag stattgefunden hatte und die auf eine Coproduktion des Grand Theatre de Geneve und der Opéra de Nice zurückgeht) ansetzt. Aeschlimann nämlich bringt das Kunststück fertig, den reichlich vier Stunden Nettospielzeit alle Nebendeutungen zu rauben und das Ganze so geradlinig durchzuinszenieren, daß eigentlich außer Christologie nichts mehr übrigbleibt. "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung"? Hier nicht - mit dieser Deutungsweise könnte man Missionarstheater betreiben und würde die Leute allenfalls musikalisch verschrecken. Das ist fürs einmalige Anschauen durchaus interessant, verhindert jedoch ein Wiedersehenwollen zumindest aus inszenatorischen Gründen wirkungsvoll. Sicher, technisch ist die Produktion zweifellos ein Kind unserer Zeit, aber Aeschlimann benutzt die Technik nur zur Vorwärtstreibung des zentralen Handlungsstranges, wenn da also beispielsweise ein vieleckiger angeleuchteter Körper aus dem Gralstunnel geschwebt kommt (bis man zum Schluß dann seine Aufhängung sieht, die beim ersten Erscheinen noch wirkungsvoll verdeckt geblieben war - der Mind Of The Dodecahedron wird's kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen haben). Die Buchstabensuppe auf der Gralstunnelabdeckung und auf der schiefen Ebene am Bühnenrand dagegen darf keinerlei Deutungsautorität beanspruchen und könnte allenfalls einige Nachwuchsbands bei der Suche nach noch unbesetzten, da als Wort unbekannten Bandnamen unterstützen. Ansonsten aber hätte diese Aufführung in der vorliegenden Form auch vor 100 Jahren, also vor Erfindung des Regietheaters, stattfinden können, und es dürfte manchen Zuschauer geben, der diesen Ansatz verfolgenswerter findet als moderne Experimente wie Michael von zur Mühlens "Holländer" zweieinhalb Jahre zuvor an gleicher Stelle. Interessanterweise baut Aeschlimann im dritten Akt die Landschaft am Eingang der Gralsburg aus Penitentes, also Büßerschneezacken, wie man sie in Hochgebirgen hauptsächlich tropischer Lage findet - da bricht dann doch der Schweizer durch, der im Zuge des Klimawandels solche Bildungen vielleicht bald auch auf den Gletschern der Berner Alpen sehen können wird. Daß Klingsors Reich im zweiten Akt allerdings als "grüner Hügel" apostrophiert werden kann, dürfte kein Zufall sein ... Auffälliger als die Bühneninszenierung selbst ist das Licht bzw. vielmehr dessen sparsame Dosierung: Oftmals liegt vieles im Halbdunkel, verbreitet sich eine Art mystische Stimmung, und daß Klingsors sinnenreiches Areal partiell in den psychedelischsten Farbkombinationen leuchtet, paßt bestens ins Gesamtbild.
|