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Die Heimkehr des Verbannten   12.02.2011   Chemnitz, Oper
von rls

Daß der Musikwissenschaftler Michael Wittmann die Wiederentdeckung der Oper "Il Templario" von Otto Nicolai nicht als Endpunkt seiner diesbezüglichen Forschungsarbeit ansehen würde, war natürlich logisch, und so liegt knapp drei Jahre nach der Premiere des klassischen Ivanhoe-Stoffes in Chemnitz eine weitere Opernausgrabung Otto Nicolais aufführungsreif vor und kommt in Chemnitz auf die Bühne. Dabei widmet sich auch "Die Heimkehr des Verbannten" einem Stoff aus der englischen Geschichte, allerdings einige Jahrhunderte später angesiedelt als die Geschehnisse um Wilfred von Ivanhoe: Die sogenannten Rosenkriege geben den historischen Hintergrund für eine klassische Dreiecksgeschichte ab. Artur Norton ist aus politischen Gründen vor Jahren verbannt worden und gilt offiziell als tot, so daß seine Frau Leonore sich seinem politischen Gegner Edmund von Pembroke zuwendet. Justament in der Nacht der Verlobung kehrt Artur allerdings zurück, und das Dreiecksverhältnis ist installiert, das eine der drei beteiligten Personen nicht überlebt, wie sich nach etwas über zweieinhalb Stunden Bruttospielzeit herausstellt.
Nun hat diese Oper eine besondere Geschichte. Original war sie in italienischer Sprache gehalten, und Nicolais damalige Verlobte sollte die Leonore singen. In der Zeit bis zur 1841er Premiere hatte sich das Paar aber getrennt, und die Ex-Verlobte rächte sich, indem sie so übel gesungen haben soll, daß das Stück nach der Premiere abgesetzt wurde. Nicolai wechselte kurze Zeit später nach Wien und brachte dort 1844 eine völlig überarbeitete Fassung in deutscher Sprache zur Aufführung, mit der er große Erfolge feierte und die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf zahlreichen europäischen Bühnen gespielt wurde, alternierend mit einer dritten Fassung, die Nicolai aber nie selbst auf der Bühne erlebt hat, da ihre 1849er Uraufführung erst nach seinem frühen Tod stattfand. Wie die anderen Opern des Komponisten auch (von "Die lustigen Weiber von Windsor" abgesehen) verschwand "Die Heimkehr des Verbannten" im Laufe des 19. Jahrhunderts völlig aus dem Spielbetrieb, bis sich eben wieder mal ein findiger Musikwissenschaftler in den Kopf setzte, Ausgrabungsarbeit zu leisten. Die Chemnitzer Aufführung hat dabei die 1844er Wiener Fassung zum Vorbild, was die Musik angeht. Und rein musikalisch ist Wittmann hier in der Tat wieder mal eine interessante Entdeckung gelungen, die mit ihrer typischen ABA-Ouvertüre auch den Konzertbetrieb um ein reizvolles Stück bereichern könnte und die ganz besondere Herausforderungen an die stimmliche Flexibilität der Sänger, allen voran die Darstellerin der Leonore, stellt. Daß sich Frank Beermann und die von ihm geleitete Robert-Schumann-Philharmonie im Orchestergraben ihrer Aufgabe fast tadellos entledigen würden, konnte man erwarten und wird denn auch nicht enttäuscht - nur einige wenige Szenen hätte man sich mit noch weiter zurückgefahrenem Orchester gewünscht, um die Sänger deutlicher hervortreten zu hören. Schade ist es freilich, daß schon zur zweiten Vorstellung 14 Tage nach der Premiere das Opernhaus nur noch zur reichlichen Hälfte gefüllt ist - die überregionale Entdeckung solcher Ausgrabungen steht offensichtlich noch aus, obwohl es "Il Templario" mittlerweile auch schon als Konservenversion gibt, die das Interesse des Zielpublikums in Richtung Chemnitz lenken könnte. Neben dem Rezensenten sitzt ein älterer Belgier, der auf der Suche nach interessanten Opern durch ganz Europa reist, am Abend zuvor noch in Gießen war und in den langen Jahrzehnten seines Lebens 4467 (!!) Opernaufführungen besucht hat. Aber solche positiv Verrückten gibt es offensichtlich zu wenige.
Hatte man in Chemnitz "Il Templario" als (fast) konsequentes Historiendrama inszeniert, versetzt Regisseur Philipp Kochheim diesmal das Geschehen in die heutige Zeit. Das Verlobungsfest zwischen Edmund und Leonore findet also nicht in einem historischen Schloß, sondern in einem modernen präsidialen Amtssitz statt, die Gäste gehören der internationalen High Society von heute an, das Fernsehen ist natürlich live dabei, und schon die Ouvertüre nutzt Kochheim zum schrittweisen Aufbau der Szenerie, indem er die Gäste schubweise eintreffen läßt, was Gelegenheit für manch slapstickhaft wirkendes Element bietet. So werden alle Gäste per mobilem Metalldetektor untersucht, ausgerechnet der arabische Scheich aber nicht (dafür irrt er sich später gehörig bei der Gebetsteppichausrichtung - in seiner Version liegt Mekka ungefähr in Richtung Moskau). Offensichtlich funktioniert die Bewachung des Amtssitzes aber doch nicht richtig, denn Artur dringt in Terroristenoptik ein, stürzt Leonore, die bereits irgendwas geahnt haben muß, in den typischen Entscheidungskonflikt und wird schließlich festgenommen. Nach einigem Hin und Her kommt es zu der paradoxen Situation, daß beide Männer im besten salomonischen Sinne bereit wären, zugunsten des anderen auf Leonore zu verzichten - Artur fordert mehrmals, ihn nun endlich hinzurichten, während Edmund sich beim König für ihn einsetzt und ihn schließlich freigibt, um ihn mit Leonore ziehen zu lassen. Mit dieser Situation kann nun wieder Leonore nicht umgehen und löst das Problem auf ihre Weise: Während Artur und Edmund sich wieder einmal um sie streiten (diesmal unnachgiebig), begeht sie Suizid und will die beiden Streithähne damit zur Versöhnung bringen, obwohl die das zwischenzeitlich auch ohne sie (die erwähnte paradoxe Situation!) schon ansatzweise fertiggebracht hatten. So haben wir quasi in den kompletten hinteren beiden Akten (die auch am Stück gespielt werden, während nach dem ersten eine Pause stand) den erneuten (und in diesem Falle einen sehr frühen) Beweis, daß Kommunikation zwischen Männern und Frauen eine sehr komplizierte Sache ist und bei Nichtgelingen zu äußerst folgenreichen Mißverständnissen führen kann (Loriot und Evelyn Hamann waren also nicht die ersten mit der klassisch gewordenen Feststellung "Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen"). Leonores schrittweise Verwandlung von der eleganten Lady im ersten Akt über das immer psychotischere Wrack in bürgerlicher Kleidung im zweiten Akt bis hin zur restlosen Verzweiflung im Schlafrock im dritten Akt paßt somit perfekt in die durch mancherlei interessante Details angereicherte, wenngleich auf den ersten Blick sehr basisch wirkende Bühnenoptik. Daß im dritten Akt die Büroräume aus dem ersten und zweiten Akt immer noch über dem Schlafzimmer schweben, trifft den Besucher irgendwann erkenntnistechnisch mit voller Wucht, und daß über den gerade noch zu sehenden Bürofernseher im dritten Akt ausgerechnet Bilder eines Aquariums flimmern, darüber darf man auch mal intensiver nachdenken.
Während die Damen und Herren des von Mary Adelyn Kauffman präparierten Opernchores im ersten Akt viel zu tun haben (sie spielen die Festgäste, das Fernsehteam, die Security und alle weiteren Randfiguren des Festes), reduziert sich das Personal später immer weiter, bis in der Schlußszene nur noch die Dreiecksprotagonisten übrigbleiben, die den letzten Strauß miteinander auszufechten haben. Ob es Absicht war, daß man den Text der meisten Chornummern so gut wie gar nicht versteht, weil ein hörbares Stimmengewirr herrscht, muß offenbleiben - aber die Wahrscheinlichkeit von Absicht ist relativ hoch, denn im Schlußbild des 1. Aktes fordern die Festgäste unisono, Artur hinzurichten, und das hat in seiner brachialen und geradlinigen Wucht eine ähnliche Wirkung wie die "Kreuzige ihn"-Aufforderungen in Bachschen Passionen. Auch zwischen Edmund aka Hans Christoph Begemann und Artur aka Bernhard Berchtold kommt im zweiten Akt noch keine gesangliche Harmonie im Sinne einer perfekten Feinabstimmung auf - das passiert dann erst bei den Streitgesprächen im Schlafzimmer im dritten Akt. Begemann ist gesundheitlich etwas angeschlagen, singt aber dennoch - ob die Fahlheit seiner Stimme besonders im ersten Akt Ausdruck nicht hundertprozentiger Fitneß oder aber gestalterisches Element (Edmund ist generell als etwas langweiliger Beamtentyp mit leichter Borderline-Neigung gezeichnet) ist, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Berchtold überzeugt durch eine sehr exakte Aussprache und viel Stimmkraft, wenngleich der verliebte Terrorist, als den ihn Kochheim zeichnet, eigentlich ein Oxymoron darstellt, aber immerhin die Erkenntnis ermöglicht, daß ein Gewehr doch nur den verlängerten Phallus eines Mannes darstellt, was wir ja auch schon seit Kiss' "Love Gun" wissen. Bleibt von den Hauptfiguren noch Julia Bauer als Leonore, und die braucht die erwähnte Flexibilität besonders, denn Nicolai mutet ihr stimmlich viel zu. Bis sie die geforderten Höhen mit der wünschenswerten Lockerheit meistert, vergeht einige "Anwärmzeit", die sie etwa mit einigen zauberhaften Momenten in der Arie "Heilge Flamme" sinnvoll zu nutzen weiß, bis dann nach Arturs Erscheinen auch die weichen Höhen, die offenbar nicht nur der Rezensent so liebt, perfekt gelingen. Gleiches gilt aber auch für die psychotische Verwandlung, und wenn man sie da im dritten Akt so halb entrückt über ihre Problemlösungsstrategie philosophieren hört, möchte man am liebsten sofort das Sorgentelefon anrufen. Daß Nicolai auch ein Händchen für Situationskomik hatte, beweist er im zweiten Akt, als Edmund wütend feststellt, wer Artur (den er bisher nicht erkannt hat) eigentlich ist - Artur, Leonore sowie ihre Brüder Richard und Georg streuen in dieser Szene quasi einen ironisch-spröden Off-Kommentar mit dem Text "Sein Zorn ist voll entbrannt" ein, bei dem man sich das Lachen kaum verkneifen kann. So muß man auch in vielen anderen Szenen ein wenig unter der Oberfläche suchen, um mancherlei Fallstricke zu erkennen (das Grundsujet hätte ja auch in Peter Steiners Theaterstadl erschöpfend behandelt werden können), und oft, wenngleich nicht immer entdeckt man auch tatsächlich was. Das Publikum, zur Pause noch keineswegs durchgehend von der Qualität des Ganzen überzeugt, zeigt sich am Ende doch versöhnt und applaudiert recht laut, Julia Bauer erntet zudem verdiente Bravi. Schade wär's freilich, wenn der reduzierte Besucherstrom dazu führt, daß solche Entdeckungen in Zukunft wegen unkalkulierbarer wirtschaftlicher Risiken gar nicht erst den Weg auf die Bühnen finden. Aber warten wir erst einmal ab, was Michael Wittmann noch so ausgräbt ... Weitere Termine unter www.theater-chemnitz.de



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