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4. Vorrunde des "Chemnitz rocken"-Bandwettbewerbs   11.02.2011   Chemnitz, Schauspielhaus
von rls

An der Organisationsstruktur des Bandwettbewerbs "Chemnitz rocken" hat sich auch im dritten Jahr seines Bestehens nichts Wesentliches geändert: Sechs Halbfinalisten werden in fünf Vorrunden gekürt, wobei die ersten drei Vorrunden paradoxerweise allesamt von Bands gewonnen wurden, die nicht aus Chemnitz stammen, sondern aus Dresden, Mittweida und Freiberg. Am besagten Freitagabend steht nun die vierte Vorrunde an.
Hinter dem Bandnamen Billionaire Vs. Bear kann man erstmal alle möglichen und unmöglichen Musikstile vermuten, und die Eigendefinition des Quartetts als "Singer/Songwriter-Emo-Indie-Folk" lichtet den Nebel auch nur wenig. Freilich ist man nach den acht Songs auch nicht wesentlich schlauer, denn einem ruhigen, fast langweilig anmutenden Intro folgen erstmal zwei flottere folklastige Songs, bevor der Rest auch noch andere Gewichtungen im Spannungsfeld der genannten Stilistika zuläßt. Leider stellt der Soundmann den Linksaußen etwas ins klangliche Abseits, so daß man von dessen Leads am Keyboard (bisweilen in trashigem Heimorgelsound), an der Gitarre oder im ersten Track gar an der Triola (!) nicht so viel hört, wie man sich das wünschen würde. Der nölig-alternative, nicht immer hundertprozentig sicher wirkende Gesang und der trockene Humor des Sängers gehen auch nur bedingt eine Symbiose ein, und der Backings singende Drummer ist sich mit seinem gitarrespielenden Chefsänger nicht immer ganz einig, was Harmoniefragen angeht. Was diese Band wirklich kann, zeigt der hochspannende Mittelteil von "The Train", und auch der hymnische Closer "So Long" überzeugt. Aber auch der Rest des Materials entfaltet zumindest irgendwie Charme, der einen lächelnd über manchen Problemfall hinwegschauen läßt.
Sapid Steel hat der Rezensent letztmalig fünfeinhalb Jahre zuvor live gesehen, damals noch als reine Coverband, wohingegen sich mittlerweile auch diverse Eigenkompositionen in den Set geschlichen haben. Sechs von denen, ergänzt durch AC/DCs "Sin City" als Rausschmeißer, bilden den halbstündigen Set dieses Abends und sorgen zunächst wieder mal für Kopfschütteln in horizontaler statt vertikaler Richtung: Für eine traditionelle Hardrock- bzw. Metalband ist es Gift, wenn die Gitarren im Mix nicht klar und deutlich ausdifferenziert werden, und ebendieses Problem kann an diesem Abend erst in Richtung Setende hin gelöst werden und selbst da nicht hundertprozentig zufriedenstellend. Auch Sänger Chris wirkt vor allem dann klanglich etwas distanziert, wenn er zu einem seiner hohen Schreie ansetzt - eigentlich eine seiner großen Stärken, wohingegen sein "normaler" Gesangsstil zu "Sin City" irgendwie nicht so richtig passen will, aber generell die gesangliche Vielfalt durchaus hervorzuheben ist. Das Coverrepertoire bewegt sich rings um Klassiker von Judas Priest (mit Fokus auf deren Siebziger-Werken), Black Sabbath, AC/DC und Motörhead, und bis auf letztere haben die Genannten auch reichlich Spuren in den Eigenkompositionen hinterlassen. Dabei wirkt noch nicht jede Idee wie konsequent zu Ende gedacht, wofür "Scream Machine" ein gutes Beispiel hergibt: Ein richtig starkes Doppelsolo endet förmlich im Nichts. Das äußerst plastisch-drastische "Making Love" und besonders das schwer groovende "Black Age" (letzteres sowas wie Sapid Steels Antwort auf Black Sabbaths "Heaven And Hell") beweisen allerdings, daß Sapid Steel auch in der Umsetzung eigener Ideen durchaus fähig sind. In "Sin City" gibt Neu-Gitarrist Adrian, der den Altersschnitt der Mitglieder beträchtlich drückt, noch den Angus, und so entlassen Sapid Steel nach einer halben Stunde ein feierndes Publikum.
Eine eigentümliche Form von Gleichberechtigung im Wettbewerb konstatiert der Hörer dann, als auch noch die halbe Stunde von Los Chupacabras vergangen ist. Auch die nämlich haben ziemliche Probleme mit den Soundverhältnissen, und besonders Gitarre und Kontrabaß finden klanglich nie zueinander, was die Analyse der Kompositionen besonders schwierig macht - auch hier handelt es sich um Eigenkompositionen plus ein Cover zum Abschluß, nämlich "Poison Heart" von den Ramones, während der Gitarrist zwischendurch noch mehr Geschmack bewiesen und Dios "Holy Diver"-Riff angespielt hat. Das Quintett inszeniert sich als Spanier, hat zwei Flamingos auf der Bühne stehen, absolviert die Ansagen in barbarischem Spanisch und hat für diesen Job sogar ein eigenes Bandmitglied namens El Presidente, der aussieht wie Sammy Hagar und dessen sonstige Tätigkeit sich darauf beschränkt, an einem Tisch zu sitzen, zu lesen und zu trinken. Das Grundproblem ist nun aber, daß Los Chupacabras eindeutig zu viel wollen. Die komische Mixtur aus Punk, Rockabilly, Mexicana und kurzen Grindcore-Trümmerparts ist noch leidlich unterhaltsam, aber in einigen Songs kommt dann auch noch eine Sängerin dazu, mit der die Musik plötzlich auf relativ geradlinigen Melodic Rock mit leichtem Punkanstrich umschwenkt (man stelle sich vor, Edenbridge kämen aus Spaniens Punkszene), und das ist dann zuviel des Guten. Daß auch mit der Sängerin interessante Kombinationen entstehen können, beweist gleich der zweite Song mit kratzbürstigen Dialogen zwischen ihr und dem ebenfalls singenden Gitarristen, aber ansonsten herrscht eine Art 2-in-1-Eindruck, der in der Gesamtbetrachtung eher ungewollt komisch wirkt, was das Publikum aber nicht vom fröhlichen Mittun abhält.
Die Auszählung der Stimmen (jeder Besucher hat einen Stimmzettel bekommen und muß dort von den drei Bands genau zwei ankreuzen) geht erstaunlich schnell und fördert drei Überraschungen zutage. Erstens haben die beiden unterlegenen Bands exakt die gleiche Stimmenanzahl bekommen. Zweitens gewinnen Los Chupacabras mit beträchtlichem Vorsprung (und dürfen daher noch zwei Zugabesongs spielen, eine Eigenkomposition namens "Fun Of Love" und ein Social Distortion-Cover). Und drittens muß sich das Organisationskomitee vorwerfen lassen, daß man Zählfehler möglichst vor Bekanntgabe des Ergebnisses bemerken und korrigieren sollte: Wenn jeder Besucher exakt zwei Stimmen abgeben muß (widrigenfalls sein Stimmzettel für ungültig erklärt wird), kann eine Gesamtzahl von 107+107+135=349 Stimmen nicht möglich sein. Daß in diesem Falle schon eine einzige falsch gezählte Stimme entscheiden kann, ist klar - der beste Zweitplazierte aller fünf Vorrunden kommt ja auch noch ins Halbfinale, und falls aus den anderen vier Vorrunden keiner mehr als 107 Stimmen eingesammelt hat, wird hier eine Entscheidung zu fällen sein. www.theater-chemnitz.de informiert in der "Nachtschicht"-Rubrik (etwas versteckt unter dem Menüpunkt "Schauspiel" zu finden), wie es weitergeht.



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