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Dÿse, Navel   20.01.2011   Chemnitz, Weltecho
von kk

DŸSE sind das Ergebnis einer gedanklichen Querfeldeinfahrt: Da, wo andere die asphaltierte Rap-, Indie-, Electro- oder Metal-Straße nehmen und immer schön auf die Geschwindigkeit achten, heizen Jari Rebelein und André Dietrich über Feld, Stock und Stein. Alles geht, nichts muss. Was rauskommt, ist ein bunter Genremix, der so ziemlich jeden anspricht, der seinem musikalischen Horizont keine Grenzen steckt. Maxime: "Ich höre eigentlich alles."
"Wir mögen ein extrem breites Spektrum an Mucke: von Schlager bis hin zum totalen Grindcore-Geknüppel, dazwischen Punk, Jazz ... alles", erklärt Jari, Schlagzeuger im Dÿsenduo, die Einflüsse der Band. "Wir haben Ansätze, da feiern wir uns total ab im Proberaum. Irgendwie kommt immer was dabei raus. Selbst wenn die Leute da mal keinen Bock darauf haben, wir ziehen's durch. Wenn uns das gefällt, machen wir's einfach." Genau danach klingt der 2009 veröffentlichte Langspieler "Lieder sind die Brüder der Revolution". Elf Songs, die den Hörer mit Ungewohntem konfrontieren: "Zebramann" bäumt sich nach dem vermeintlichen Ende noch mehrmals lautstark auf, die Takte in "Treppe" fordern beim Mitzählen (auch in den Pausen) und "Trick" wartet mit orientalischem Charme auf, bis ein Bläser-Ensemble dem Lied Schlagseite Richtung Ska gibt. Die geheime Zutat sind schließlich die kryptischen Texte, die elegant zwischen Stumpfsinn und Gesellschaftskritik balancieren, so dass die Aussageabsicht nie wirklich klar auszumachen ist. So schürt das Duo, vergleichbar mit Bands wie Tool (musikalisch) oder Turbostaat (textlich), das Verlangen, die Lieder mit jedem Mal etwas besser zu verstehen. Womit erreicht wäre, was sich die beiden wünschen: "Unser Ziel bei dem Ganzen ist, dass die Leute mal wieder mitdenken beim Musikhören", erklärt Jari. "Sich einfach mal mit dem Arsch hinsetzen und bewusst Sachen anhören. Und nicht ständig Leuten hinterher rammeln."
In Deutschland habe das Konzept DŸSE anfangs gar nicht funktioniert, weswegen die Band zunächst viele Konzerte im Ausland spielte. "Die dachten alle: 'Was ist'n das für Dreck?' Wir haben uns echt den Arsch abgespielt. In Oslo, auf der ersten Europatour, waren vier Leute, glaube ich. Das hatte aber auch was Geiles." Mittlerweile, da Szenen aufbrechen und Genrebezeichnungen mit der Ausdifferenzierung der Musiklandschaft immer weniger mithalten können, werden auch DŸSE-Konzerte besser besucht. Geholfen hat vor allem Eines, erinnert sich Jari: "Als das mit der Band losging, hab' ich zu André gesagt: Wir sind wie Zorro, wir tauchen irgendwo auf, uns kennt keiner, wir bolzen alles weg, und danach alle so: 'Oh! Wer war'n das?!" DŸSE hat sich einen guten Ruf erspielt und gilt als Garant für impulsive Shows, die Menschen unterschiedlichster musikalischer Herkunft anziehen: "Auf den Konzerten haben wir immer Metaller da, es sind teilweise Hip-Hopper da, es sind Punk-Rocker da, es sind abgefreakte Hastenichgesehens da", beschreibt Jari.

Navel
So auch beim Konzert im Weltecho in Chemnitz, Andrés Heimatstadt. Bevor jedoch das Duo beim Heimspiel beweisen kann, wie dynamisch und druckvoll es tatsächlich ist, sind die Schweizer Navel an der Reihe. Gäb' es eine Preisverleihung für die Vertonung der Wüste, das Trio wäre nominiert. Mit viel bluesiger Coolness, simplen wie guten Basshooks und (natürlich) einer Mundharmonika schicken sie das Publikum in "Blues On My Side" in eine vertrocknete Einöde und klingen dabei nach einer düsteren Version der kalifornischen Genre-Kollegen Sleepy Sun. Zwar lassen ein, zwei zu ruhige Songs das Publikum ob ihrer balladesken Langweiligkeit etwas irritiert und ratlos im Bühnennebel stehen, aber so haben die Anwesenden gleich einmal die Gelegenheit, sich die Sandkörner aus dem staubig trockenen Mund zu puhlen.

André  Jari
War das Weltecho bis gerade eben noch nach dem Motto "Hier stand aber ich" sortiert, sorgen DŸSE schnell für eine neue Stehplatzordnung. Mit dem Brüllen der Zauberwörter "SCHWARZ!" und "WEISS!" geht das Duo im Song "Zebramann" sicher, dass tatsächlich auch alle geistig anwesend sind, wartet, bis sich die Sprechchöre noch etwas aufschaukeln und metzelt sich von da an gnadenlos durch die Setlist. Der Platz vor der Bühne wird nun von zufällig umher geschleuderten Oberkörpern dominiert, Bier landet zwangsläufig dort, wo es hingehört (auf T-Shirts, Effektgeräten - manchmal im Mund), jedwede Songtitel werden mit Jubel aufgenommen und mitgeschrien. Über all dem thronen Jari und André, die in ihrer zweigeteilten Kluft wie einem Comic entsprungene, irre Bösewichte aussehen, die sich an dem chaotischen Spektakel laben. Ihr Anteil daran ist leider gar nicht so groß wie erhofft: Das Potential der musikalischen Anarchie des Albums nutzen DŸSE live nicht wirklich, halten sich nah am Album, schmücken das eine oder andere mit einer Geschichte aus.
Vielleicht haben die oft positiven Erfahrungsberichte von DŸSE-Konzerten in dieser Hinsicht die Erwartungen doch etwas zu hoch geschraubt. Dennoch: Das Duo ist live eine Wucht und macht mindestens genauso viel Spaß wie von Platte. Gute Nachrichten: André und Jari schreiben bereits am nächsten Album. "Ein bisschen Arbeit ist zwar schon noch drin - ein Song kann ein Jahr lang schon feststehen und wir spielen ihn und denken 'Warte mal, hier könnte noch was Geiles rein!' -, aber die Aufnahmen sind für Sommer/Herbst geplant." Die Zeit bis zum Erscheinen verkürzen DŸSE mit einer neuen Single und einer gebündelten Veröffentlichung aller bisherigen, teilweise vergriffenen Singles. Hauptsache, die Stimme im Kopf schreit bis dahin nicht mehr "SCHWARZ! ... WEISS! ... SCHWARZ! ... WEISS! ..."

Links
http://www.navelband.com/
http://www.myspace.com/navelofswitzerland

http://www.dyse.info/index.html
http://www.dyseinfo.blogspot.com/
http://www.myspace.com/dysexxx



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