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Hochschulsinfonieorchester   15.01.2011   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Neben der Tätigkeit im großen Orchester sollte ein Absolvent einer Musikhochschule, der ein Orchesterinstrument spielt, natürlich auch in kleineren Besetzungen zu arbeiten wissen, und das aktuelle Projekt des Hochschulsinfonieorchesters bietet für das Training eine gute Gelegenheit - aber nicht nur dafür, sondern auch für fachübergreifende Arbeit: Igor Strawinskys "Geschichte vom Soldaten", die den ersten Teil des Abends füllt, ist eine Art Schauspiel mit Musik. Letztere wird von nur sieben Instrumentalisten beigesteuert, wobei der Komponist in Streichern, Blech und Holz jeweils ein hohes und ein tiefes Instrument besetzt und dazu noch einen Schlagzeuger packt. Dazu kommen noch ein Vorleser und zwei weitere Schauspieler, die original den Teufel und den Soldaten spielen - die Kreativfraktion der Hochschule aber hat die Besetzung etwas abgewandelt und erweitert: Vorleser, Teufel und Soldat werden in Personalunion von Alois Steinmacher übernommen, während Lynnda Curry als Tänzerin hinzukommt, die sich zunächst darauf beschränkt, einige Szenen bzw. musikalische Parts tänzerisch zu ergänzen, später aber auch eine Schauspielrolle übernimmt, nämlich die Prinzessin, die vom Soldaten erst mit Hilfe seiner Geige (die er erst an den Teufel verloren hatte, aber mittels eines Pokerspiels von diesem zurückgewinnt) von ihrer Geisteskrankheit kuriert wird, ihn schließlich aber ins Verderben stürzt, indem sie ihn nach seiner Herkunft befragt und ihn damit auf ein Territorium lockt, in dem der Teufel immer noch Macht über ihn hat und ihn also wieder in sein Reich bekommt. (Auch wenn Strawinsky eine herzliche Abneigung gegen Wagners Kompositionsmethoden hegte - der Bezug zum Lohengrin-Motiv ist überdeutlich.) Dazu haben Ann-Christine Mecke und Dorothee Paul die originale deutsche Textfassung von Hans Reinhart auch noch etwas aktualisiert, also beispielsweise als plutokratisches Mittel des Teufels die Vorausschau von Aktienkursen eingefügt und die witzig-abstruse Deutungsmöglichkeit zugelassen, daß Sachsen-Anhalt das Reich des Bösen sein muß, denn der Soldat wandert zwischen Burg und Halberstadt in sein Heimatdorf, und das ist genau das Areal, wo ihm der Leibhaftige habhaft werden kann. Die ungewöhnliche musikalische Besetzung funktioniert perfekt - sie gibt einerseits dem Wort des Vorlesers genügend Raum (obwohl Steinmachers Stimme sicherheitshalber trotzdem verstärkt wird), genügt aber auch, um vielschichtige Klangbilder zu malen. Zudem bemerkt man in der Musik, daß Strawinsky gerade den Proto-Jazz entdeckt hatte, aber auch in der Lage war, simple Militärmärsche zu schreiben oder einen Choral wie "Ein feste Burg ist unser Gott" zu adaptieren. Über Currys Tanz maßt sich der Rezensent, der von dieser Kunstform so gut wie keine Ahnung hat, kein Urteil an - aber die Darstellung des verliebten Pärchens gelingt ihr und Steinmacher aka dem Soldaten so gut, daß man einerseits ob mancher bewußter Überzeichnung aus dem Schmunzeln kaum herauskommt, andererseits die frühlingshafte Witterung des Abends fast für gleichartige Unternehmungen zu nutzen beflügelt wird. Freilich: Die Moral von der Geschichte genügt als Warnung, zumal die Instrumentalisten in ihre Klangvielfalt auch mancherlei Düsternis und Gefahr legen und diese unter der Leitung von Ulrich Windfuhr auch gekonnt umzusetzen wissen. Und obwohl Kontrabassist Thomas Lenders und Schlagzeuger Simon Lessing im Orchestergraben an den entgegengesetzten Enden plaziert sind, geben sie bedarfsweise auch eine perfekte Groovemaschine ab, während Violinist Arthur Solès und besonders Klarinettistin Lotta Götsche mal melodisch-eingängige, mal entrückte, aber stets stimmungsdienliche Arbeit verrichten und die anderen drei Instrumentalisten an bestimmten Punkten Verzierungsarbeit leisten. Guter Stoff!
Nach der Pause wird die musikalische Besetzung etwas größer, bleibt aber immer noch deutlich kleiner, als man für Gustav Mahlers "Das Lied von der Erde" eigentlich erwarten würde. Des Rätsels Lösung: Gespielt wird nicht die Originalfassung für großes Orchester, sondern die Fassung für Kammerorchester von Arnold Schönberg, nach dessen Tod unvollendet hinterlassen und von Rainer Riehn komplettiert. Nun ist Schönberg als Bearbeiter völlig anders vorgegangen als bei seinen eigenen Kompositionstätigkeiten - Zwölftonreiheneinfügungen braucht man also nicht zu befürchten, statt dessen ging es darum, die einzelnen Linien sinnvoll aufzuteilen oder umzuverteilen. Und das Ergebnis überrascht durchaus, kann man doch manchen kompositorischen Einfall Mahlers in dieser transparenten Fassung viel besser wahrnehmen als im Original, wo manches doch etwas vom Orchesterdonner zugedeckt wird. Freilich: Man hört hier auch viel schneller, wenn das klein besetzte Orchester (fast alle Instrumente sind nur mit einem Bediener vertreten) patzt, etwa wenn Violine und Holz in der Einleitung von "Der Einsame" eine gewisse Zeit brauchen, ehe sie zum richtigen Miteinander finden - aber dieses Miteinander hat dann, als es letztlich gelingt, auch ganz besondere Qualitäten. Und auch mit der reduzierten Besetzung ist es problemlos möglich, die häufigen düsteren, ja niederschmetternden Momente mit der gebotenen akustischen Finsternis auszustatten. Mitunter reicht da schon eine kurze Tempoanzähung wie in Strophe 5 von "Von der Jugend", aber zur wahren Meisterschaft bringen Mahler, Schönberg, Riehn und das wiederum kompetent von Ulrich Windfuhr geleitete Orchester in "Der Abschied", dem monumentalen Schlußstück, das allein fast die Hälfte der Gesamtspielzeit ausmacht und das immer wieder kurz vor den musikalischen Stillstand abgestoppt wird und Düsternis sowohl mit voller Besetzung als auch in reduzierter Fassung mit einem Gong, tiefen Klavierakkorden und schicksalhaften Bläsern oder mit sinistren Flöteneinwürfen über einem Cello- oder Kontrabaßteppich perfekt umzusetzen in der Lage ist. Freilich klappt auch die entgegengesetzte Richtung: Die komische Mixtur aus Lockerheit und Entrückung in "Von der Schönheit" muß man auch erstmal hinbekommen. Leider können sich die beiden Sänger, die jeweils drei der Stücke zu interpretieren haben, nicht durchgängig diesem hohen Niveau anpassen. Tenor Thomas Volle beginnt "Das Trinklied vom Jammer der Erde" jedenfalls, als ob er nicht Mahler, sondern italienische Oper singen würde. Allerdings bemerkt er selber bald, daß das nicht der Weisheit letzter Schluß ist, schraubt das Pathos ein wenig herunter und überzeugt mit dieser immer noch ausdrucksstarken Sangesvariante deutlich mehr. Altistin Laura C. Atkinson muß für Alt-Verhältnisse bisweilen recht hoch singen und ist an diesen Stellen auch nicht immer ganz treffsicher - in den Tiefen schlägt sie sich besser, offenbart aber generell noch etliche Baustellen, wenn sie beispielsweise "Lotosblüten" in "Der Einsame im Herbst", Strophe 2 auf der letzten Silbe betont, die Schatten in der ersten Strophe von "Der Abschied" zu sehr vibbbbbrrrrrrieren läßt, die Sehnsucht in der letzten Strophe von "Von der Schönheit" etwas arg manieriert darstellt oder andererseits die übermütige vierte Strophe dieses Liedes völlig begeisterungslos singt. Daß sie das besser kann, zeigt die hübsche plastische Gestaltung der Neckereien in Strophe 1 des gleichen Stückes oder besonders die Zeile "Die Welt schläft ein" in "Der Abschied", wo die extrem fahle Färbung wie die Faust aufs Auge paßt. Das Ende bleibt seltsam unbestimmt, aber das ist Absicht, und lauter Applaus und Bravorufe belohnen die Mitwirkenden.



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