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Coliseum, Bison B.C., Kvelertak, Zann   03.12.2010   Roßwein, JuHa
von kk

Wer da mal nicht die Lust verliert: zwei Tage neunstündiger Autofahrten auf mittelmäßig geräumten deutschen Straßen, schon um sechs komplette Dunkelheit, Temperaturen unter minus zehn Grad und oben drauf noch eine kaputte Klimaanlage. "Wir haben Frost innen an den Autoscheiben und finden es sehr kalt." Erlend Hjelvik, Sänger der norwegischen Band Kvelertak und seine Kollegen haben trotzdem gute Laune.
Bassist Marvin Nygaard bringt es auf den Punkt: "Wir haben gerade die beste Zeit unseres Lebens. Vor einem Jahr habe ich viel Converge, Kylesa und Coliseum gehört und niemals auch nur davon geträumt, mit ihnen auf Tour zu gehen." So schnell kann's gehen mit einem guten Debüt. Das Erfolgsrezept: ein Genremix aus Rock and Roll à la Turbonegro, Hardcore Punk und Black Metal. Spielfreude trifft auf Kreativität trifft auf grandiose Umsetzung und vielleicht auch ein wenig Glück ...
Nach vielen lokalen Live-Shows 2007 werden Kvelertak im Februar vergangenen Jahres für das norwegische by:Larm - eine Kombination aus Musikkonferenz und Festival ähnlich der (Pop Up in Leipzig - gebucht. Dort erregen sie die Aufmerksamkeit einiger Booker, die sie für das renommierte dänische Roskilde-Festival und das norwegische Øyafestivalen verpflichten. Der Ruf, eine mitreißende Live-Band zu sein, steht. Das Debüt produziert etwas später Converge-Gitarrist Kurt Ballou, dessen Name mittlerweile als Qualitätssiegel im Hardcore-Bereich gelten kann. Coliseum, Doomriders, The Hope Conspiracy - die Liste seiner bisherigen Kollaborationen aber vor allem die jeweiligen Ergebnisse sind überwältigend. Ballous "Vision davon, was gut klingt", wie Gitarrist Vidar Landa es beschreibt, haben die Hörer den druckvollen Sound des Kvelertak-Albums zu verdanken. "Die Songs, die wir mit ins Studio gebracht haben, sind zwar dieselben auf der Platte. Aber besonders ‚Mjød', einer unserer ältesten Songs, stellte sich während den Aufnahmen als so gut heraus, dass wir uns dazu entschlossen, ihn als erste Single mit Video zu veröffentlichen. Eigentlich hatten wir dafür 'Ulvetid' vorgesehen." Hjelvik fügt schnörkellos hinzu: "Ich finde, er hat alles großartig klingen lassen." Für ein schönes Artwork sorgt letztendlich noch Baroness-Frontmann John Dyer Baizley, der bereits für Torche, Kylesa und Skeletonwitch und viele mehr zeichnete.
Trotz der großen Namen überrascht, wie schnell es die Norweger geschafft haben, Popularität zu erlangen. Fragt man Nygaard, warum es ihm und seinen Kollegen scheinbar so viel einfacher fällt als anderen Bands, offenbart er seine sehr drastische Sicht: "Ich glaube, es gibt eine Menge schlechter Bands da draußen. Was uns so weit gebracht hat, sind - um ehrlich zu sein - gute Songs. Ich respektiere Bands, die hart arbeiten und touren, aber ...", Landa fällt ihm ins Wort. "... einer beschissenen Band fällt es schwerer." Diese Einstellung darf man unverschämt finden, aber im Prinzip stimmt sie. Schließlich haben es zwei Kvelertak-Songs sogar ins Radio geschafft, was laut Hjelvik, Nygaard und Landa bisher nur einer "extremen" Band in Norwegen gelungen ist: Satyricon mit "Fuel For Hatred". An dem Argument der gut geschriebenen Songs ist wohl also etwas dran.
So unhinterfragt wie der Bandname Kvelertak mittlerweile schon synonym für brutalen Sound, Metal-Gebaren und energiegeladene Live-Shows auch hierzulande verwendet wird, ist es kein Wunder, dass das Jugendhaus Rosswein trotz arktisch anmutender Temperaturen gut gefüllt ist. Im Nachhinein wird sich nämlich leider zeigen, dass ein großer Teil des Publikums die Hauptacts Bison B.C. und Coliseum gar nicht beachtet und nur wegen den Norwegern gekommen ist.
Vor dem Dreigespann der genannten Bands spielen aber zunächst als deutscher Support Zann. Der chaotische Hardcore bzw. Screamo der sechs Jungs ist alles andere als leicht zugänglich und wären Zann ein Essen, dann Fisch mit sehr vielen Gräten: Vor dem Genuss kommt die Arbeit. Wer sich hier vorher nicht hineingehört hat, ist auf dem Konzert verloren, denn so viel Dissonanz, Taktwechsel und unverständliches Geschrei begreift und mag man erst nach mehrmaligem und intensivem Auseinandersetzen mit der Band. Andernfalls bleibt das Konzert eher anstrengend und verstörend in Erinnerung.

Kvelertak
Bei Kvelertak ist die Situation gegenteilig: Alle Anwesenden haben das Album sicherlich gehört und wirklich kompliziert ist die Musik auch nicht. Aber ein 4/4-Takt ist, was man daraus macht und die Norweger machen uneingeschränkt alles richtig. Gitarrensolo, Blastbeats, Gitarrensolo, testosterongeladenes fünfstimmiges Gebrüll, Gitarrensolo, Black Metal-Gekrächze, Gitarrensolo, Breakdown, Gitarrensolo, turbonegroeske Schellenkranz- und Klavier-Einlage, Gitarrensolo. Langweilige Passagen oder mittelmäßige Übergänge? Gibt's nicht. Kvelertak ziehen in den vier- bis fünfminütigen Songs das komplette Rock and Roll-Register, setzen Black Metal-Elemente als kreative Sahnehäubchen oben drauf und meinen das alles auch noch ernst. Da spritzt das Herzblut nur so ins Publikum, welches so viel Leidenschaft selbstverständlich ausrastend dankt. Nach dem Konzert springt sichtlich berührt draußen noch ein Kvelertak-Jünger schreiend wie ein tobendes Kind durch den Schnee. Ihm war die halbe Stunde scheinbar auch nicht genug.
Bison B.C. veranschaulichen in der Umbaupause gekonnt die Bedeutung des Sprichworts "Der Schein trügt". Der eher schmächtige Schlagzeuger Braad macht nicht so wirklich den Eindruck, als ob er gleich so richtig zuhaut, Sänger und Gitarrist Daan versteckt sich hinter langen Haaren und Maasas Bass hat nur drei Saiten und besteht eigentlich mehr aus Gaffa-Tape als aus Bass. Aber die Kanadier beweisen: Körperbau schließt aggressives Schlagzeugspiel nicht aus, es bellt sich hervorragend durch vorm Gesicht hängende Haare und drei Saiten am Bass geben Bison B.C. mehr als genug Druck. Am ehesten trifft wohl das Genre Stoner Metal auf die kanadische Band zu, obwohl deren Musik neben dem für Stoner charakteristischen erdigen Sound auch Thrash Metal- und Punk-Elemente miteinander vereint. Das Publikum weiß das leider nicht so zu würdigen wie den Party-Metal Kvelertaks, und ist dementsprechend auch weit weniger interaktionsfreudig.
Vor der Hauptband hat sich das JuHa Rosswein beträchtlich geleert, trotz Daans vorangegangener Ankündigung, Coliseum seien "fucking rad". Deren ziemlich geraden Hardcore Punk schätzen die Vorbands nicht ohne Grund: Coliseum beschränken sich auf das Wesentliche, türmen keine Soundwände auf und legen den Fokus auf klar strukturierte Instrumentierung. Nach einer Dreiviertelstunde ist wohl aber das Genreskelett für den einen oder anderen etwas farblos. Der Versuch des Bassisten Mike Pascal, das Publikum mit fröhlicher Mimik und heiterem Hüpfen anzuheizen, scheitert. Lustigkeit ist eben etwas gegenläufig zur Grundstimmung der Songs und das geht auch an den Anwesenden nicht vorbei, die eher mit verschränkten Armen und skeptischen Gesichtern darauf reagieren. Schade, denn nur weil sich Coliseum nicht "hardcore" auf die Stirn tätowiert haben und kein "zeit- und szenegemäßes" Auftreten an den Tag legen, vermindert das den Wert der Musik nicht. Ganz im Gegenteil, die ehrwürdige Verabschiedung mit der Coverversion von Danzigs "Am I Demon" zusammen mit Bison B.C.s Daan zeigt ganz klar: Optisch halten die Amerikaner zwar nicht mit anderen Bands mit, musikalisch aber auf jeden Fall.

Links:
http://www.jugendhaus-rosswein.de/
http://www.myspace.com/zann
http://www.lastfm.de/music/Zann
http://kvelertak.indierec.net/
http://www.myspace.com/kvelertak
http://www.myspace.com/bisoneastvan
http://coliseumsoundsystem.com/
http://www.myspace.com/coliseum



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