www.Crossover-agm.de
Finalkonzert des Competizione dell'Opera   05.09.2010   Dresden, Semperoper
von rls

Jubiläum für den Competizione dell'Opera: Die 2010er Auflage des internationalen Nachwuchs-Gesangswettbewerbes der italienischen Oper ist die zehnte, und wenn noch irgendjemand gezweifelt haben sollte, es hier mit einer dauerhaft stabilen (und hochwichtigen!) kulturellen, ja, nennen wir es ruhig so: Institution zu tun zu haben, so sollte er sich langsam, aber sicher eines Besseren belehren lassen. Der Jubiläumsjahrgang greift gegenüber seinem Vorgänger teilweise wieder auf Bewährtes der Vorvergangenheit zurück, hat aber auch Neues im Gepäck. Zu ersterer Kategorie zählt die strukturelle Rückentwicklung des Finales auf zehn Kandidaten, so daß wieder Zeit für eine Orchesterouvertüre bleibt, ohne daß man durchs Programm hetzen muß. Erfreulich kompakt gehalten dagegen wird 2010 der Reigen an Grußworten (der Stellenwert des Wettbewerbes wird u.a. dadurch deutlich, daß Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich anwesend ist, ein kurzes Grußwort spricht und sogar eigenhändig die Preise mit übergibt - ministerpräsidiale Anwesenheit gab es in den Jahren seit 2006 nur einmal), und MDR Figaro, schon länger Kulturpartner des Wettbewerbes, überträgt das Finalkonzert diesmal sogar live. Moderatorin Bettina Volksdorf liegt, auch das hat schon Tradition, mindestens einmal neben der Spur (diesmal sorgt sie für Heiterkeit im ausverkauften Saal der Semperoper, als sie den Baß Donovan Singletary als Olga Pudova - das ist die Sopranistin, die unmittelbar vor Donovan gesungen hatte - ansagt); die Praxis, in den Ansagen jeweils eine Anekdote aus dem Leben der Finalisten zu erzählen, hat sie leider noch nicht wieder aufgegriffen/noch nicht wieder aufgreifen dürfen. Für Erheiterung ist auch Ulrike Hessler, als Intendantin der Semperoper Nachfolgerin des den Wettbewerb in gewohnt souveräner Manier koordinierenden Hans-Joachim Frey, gut, und das gleich doppelt: Erstens läßt sie als Beginn ihrer Begrüßung "19.28 Uhr" ins Programmheft schreiben (und das wird auch eingehalten!), und zweitens schließt sie ihre Begrüßung mit "Bühne frei für Bettina Volksdorf!" - es kommt aber statt dessen Daniel Montané auf die Bühne, der das Wettbewerbsorchester dirigiert: Wie schon im Jahr zuvor sind die Bremer Philharmoniker mit an die Elbe gereist.
Als Ouvertüre dient diesmal die von Giuseppe Verdi zu "I Vespri Siciliani", die freilich über weite Strecken so gar nicht nach dem klingt, was man mit Sizilien so verbindet. Das macht freilich nichts - einen so ausdrucksstarken düsteren Beginn muß man auch erstmal hinbekommen. Die Vendetta kommt dann erst später, und daraufhin wechseln sich ars vivendi und wildes Gerödel munter ab. Die intendierte Dramatik bringen die Musiker ordentlich auf die Bretter, die Wechsel sitzen, die Spannung stimmt auch, und beim genauen Hören fällt Montanés gutes Händchen fürs kleinteilige Tempomanagement auf, was auch den zehn Finalgesangsbeiträgen zugute kommt.
Evgenia Afanasieva eröffnet den Sangesreigen mit der Cavatine der Norina "Quel guardo il cavaliere" aus Donizettis "Don Pasquale" - ein dankbares kapriziöses Stück, und dessen Stärken macht sich die in helles Königsblau gewandete Russin auch konsequent zunutze, wofür sie freilich auch die passende Stimme besitzt. Ihr Sopran klingt elegant und unangestrengt, selbst in den Höhen agiert sie mit bewundernswerter Lockerheit, und dabei kann sie sich akustisch auch noch problemlos gegen das Orchester durchsetzen. Dazu noch viel Mimik und Gestik (ein kleiner Tick zu viel vielleicht?) und ein langer Schlußton, der dem Publikum zum ersten Mal die Kinnlade runterklappen läßt - lauter Beifall ist die Folge, gefolgt von der Vermutung, hier müsse eigentlich schon ein Preis fallen.
Neun andere Menschen machen sich freilich auch noch Hoffnungen, diesmal übrigens allesamt einem recht engen Altersspektrum angehörend (Jahrgänge 1979 bis 1984), während in den Jahren zuvor immer mal Ausreißer nach unten dabei waren. Da wäre zunächst der Bariton Seung Gi Jung, der in der Arie des Charles Gérard "Nemico della Patria" aus Umberto Giordanos "Andrea Chénier" eine runde, aber recht durchdringende Stimme an den Tag legt - mit dem Appellcharakter des Stückes hat er folglich keine Probleme, Energie ist auch genug da. Die gekonnt gesungenen Wechsel aus Power und Verzweiflung unterstreicht der Südkoreaner ebenfalls durch viel Mimik und Gestik, allerdings fällt er durch etwas eigenwilliges Tempomanagement ein bißchen aus dem Rahmen.
Ein für ihre Stimme eher undankbares Finalstück hat Irina Shishkova erwischt. Die Arie der Fürstin von Bouillon "Acerba vollutà, dolce tortura" aus Francesco Cileas "Adriana Lecouvreur" verlangt Sicherheit auch in für einen Mezzosopran eher tiefen Lagen, und genau die hat die in ein schwarzes, rot durchwirktes und schimmerndes Kleid gehüllte Russin nicht zu bieten - immer wieder hat man das Gefühl, die Partien würden ihr entgleiten. Sie singt völlig linienhaft ohne jede Textverständlichkeit (über die Aussprache maßt sich der Rezensent nach wie vor kein Urteil an - trotz seiner auch schon fünften Finalteilnahme spricht er immer noch kein Italienisch) und kann sich gegen das Orchester oft kaum durchsetzen. Die Höhenlagen gelingen ihr zwar besser, aber auch hier wirkt die Power eher angestrengt und somit der Gesamtvortrag etwas anstrengend.
Probleme mit einem zu dominanten Orchester hat Sharin Apostolou nicht - in der Liste der fürs Finale vorzubereitenden Arien standen diesmal auch welche von Georg Friedrich Händel, und die Amerikanerin griechischer Herkunft hat eine davon zugewiesen bekommen, nämlich die Arie der Ginevra "Volate Amori, di due bel cori" aus "Ariodante". Hinter ihr spielt also ein schlank besetztes Barockorchester, und um sich klanglich bemerkbar zu machen, würde auch eine mäßige Gesangspower genügen. Dafür hat die in kräftigem Hellblau antretende Sopranistin irre schnelle Läufe zu meistern, was sie erstaunlich locker hinbekommt. Auch ein paar "hervorschießende" Töne mit einiger Gestaltungsarbeit auf winziger Distanz hat Händel ihr zugemutet - kein Problem für die Sängerin. Nur in der Höhe klingt sie etwas zu angestrengt, aber wäre der letzte hohe Ton nicht ziemlich danebengegangen, hätte ein Preis durchaus in Reichweite liegen können.
Im Gegensatz zu den Vorjahren, die oftmals einem Länderkampf "Südkorea gegen den Rest der Welt" glichen, stehen diesmal nur zwei Vertreter Südkoreas im Finale. MinSeok Kim ist der zweite und hat die Romanze des Nemorino "Una furtiva lagrima" aus Donizettis "L'Elisir d'Amore" auf dem Aufgabenzettel stehen, die auch im Vorjahr schon im Finale erklungen war (was übrigens auch auf den Beitrag seines koreanischen Landsmanns Seung Gi Jung zutrifft). Diesmal gerät sie durchaus solide, aber unauffällig. Der Tenor verfällt bisweilen in einen fast deklamierenden Ton mit guter Textverständlichkeit, gestaltet seinen Vortrag zurückhaltend, aber durchaus passend und überzeugt durch gute stufenlose Dynamik. Die klare Stimme offenbart nur im Schlußteil ein paar kleine technische Probleme - ansonsten eine gutklassige Leistung.
Gleich drei deutsche Finalisten - das gab es beim Competizione noch nie, und alle drei sind weiblichen Geschlechts. Julia Amos eröffnet den Reigen, und es dürfte sicherlich kein Zufall sein, daß sie den Vortrag der Arie der Susanna "Deh vieni, non tardar, o gioia bella" aus Mozarts "Le Nozze di Figaro" ausgerechnet in einem aus verschiedenen Rottönen komponierten Kleid bestreitet - immerhin ist das Stück auch unter der Bezeichnung "Rosenarie" bekannt. Hören läßt die Sopranistin eine schöne und souverän wirkende "Allroundstimme", bekommt schöne weiche Übergänge hin und wirkt elegant, ohne allerdings zu glänzen oder mit beiden Händen zuzupacken und einen Rosenstrauch aus der Erde zu reißen. Eine runde Sache, mehr allerdings auch nicht.

Sarah Ferede
Einige Wettbewerbe formulieren ja Ausschlußkriterien für die Teilnehmer früherer Jahrgänge, die eine bestimmte Stufe innerhalb des Wettbewerbes erreicht haben. Beim Competizione dell'Opera kann sich eine solche Regelung, sofern eine existiert, nur auf die Preisränge beziehen - ansonsten hätte Sarah Ferede, die bereits 2007 im Finale stand, dort aber keinen Preis ersingen konnte, anno 2010 nicht noch einmal antreten dürfen. Diesmal ist sie mit Szene und Rondo der Angelina "Nacqui all'affanno...Non più mesta accanto" aus Rossinis "La Cenerentola" dran, technisch bisher zweifellos das schwerste Stück, aber auch mit dankbaren Gestaltungsaufgaben, und diese Chancen nutzt die eine leicht gedeckte Stimme ins Feld führende Mezzosopranistin klug aus. Mit einer hellen und klaren Stimme hätten viele der speedigen Läufe nur noch wie nervöses Gewieher geklungen, aber in der gedämpften Variante kommen viele Feinheiten erst richtig zur Geltung. Da nimmt man gern in Kauf, daß die hier und da intendierte Aggressivität nicht in vollem Maße zur Geltung kommt, zumal die in klassischem Schwarz antretende Deutsch-Äthiopierin hörbar an ihrer Stimme gearbeitet hat. Der leicht hölzerne Charakter der lauteren Passagen, den man 2007 noch diagnostizieren mußte, ist jedenfalls 2010 wie weggeblasen, und nur bei der Durchsetzungskraft in den tieferen Lagen muß sich die Sängerin irgendwie mal noch was einfallen lassen. Trotzdem: Wie schon 2007 spendet das Publikum frenetischen Applaus.

Olga Pudova
Der technische Schwierigkeitsgrad bleibt hoch: Olga Pudova muß sich mit der Aria der Contessa di Folleville "Partir, o ciel" aus Rossinis "Il Viaggio a Reims" auseinandersetzen. Die in ein nahezu hautfarbenes Kleid gehüllte Sopranistin tut das mit einer enorm leichtfüßigen, durchsichtigen Stimme, was sie keineswegs an der Erzeugung fast schneidend wirkender Höhen hindert, aber auch dazu führt, daß sie in den Mittellagen gegen das Orchester akustisch stets nur zweiter Sieger bleibt. Dafür meistert sie die schwierigen Koloraturen durchaus annehmbar, steigert sich gegen Ende hin immer mehr und setzt einem durchaus starken Auftritt mit einem langen Schlußton in immenser Höhe, der den Anwesenden förmlich das Blut gefrieren läßt, die Krone auf.

Donovan Singletary
Noch ein zweites Mal steht Händel auf dem Finalplan, und zwar die Arie des Zoroastro "Sorge infausta una procella" aus "Orlando". Donovan Singletary, ein baumlanger Farbiger, singt leicht gedeckt und mit mäßiger Power, was allerdings zur Hörbarmachung der eigenen Stärken aufgrund der Barockorchesterstärke im Hintergrund auch völlig ausreicht. Von allen Finalisten ist der Bassist derjenige, bei dem man den Text am besten versteht, und vor allem seine ansatzlosen Übergänge in die zahlreichen Läufe beeindrucken in technischer Manier. Dennoch bleibt der Vortrag insgesamt etwas zu unauffällig, wenngleich es sich zweifellos um eine grundsolide Leistung handelt.

Mandy Fredrich
Ein Kleid in einem seltsamen Grau-Lila-Ton trägt Mandy Fredrich, und "seltsam" ist auch das Wort, das bei ihrem Vortrag seinen Weg auf den Notizzettel des Rezensenten findet. Rezitativ und Arie der Donna Anna "Crudele? ... Non mi dir" aus Mozarts "Don Giovanni" erklingen zwar technisch sauber, aber irgendwie mit wenig Gefühl, fast distanziert wirkend, wenngleich zweifellos energisch zupackend, wo dies vonnöten ist. Und noch ein Wort steht auf dem Notizzettel: "deutsch". Will heißen: viel Ordnung, wenig Experiment. Oder anders: gutes Handwerk - nicht mehr, nicht weniger. "Seltsam" eben.

Alle Finalisten auf der Bühne der Semperoper
Die Pause wird wie immer zur Auswertung der Publikumsstimmen und für die Beratung der Jury genutzt, bevor das Orchester mit Pietro Mascagnis Intermezzo aus "Cavalleria rusticana" den feierlichen Teil des Abends einleitet und sich diesem Charakter auch perfekt anpaßt: zurückhaltender Beginn, auch die erste Steigerung bleibt noch maßvoll, und erst dann geht das große elegische, fast hochromantisch zu nennende Geschwelge richtig los, bevor es wieder zum ruhigen Schluß in sich zusammenfällt und dabei etwas mehr holpert als vorgesehen. Im Gegensatz zu früheren Jahren werden die zehn Finalisten diesmal alle auf die Bühne gerufen, bevor die Verkündung der Preisträger erfolgt - das hilft die Spannung noch ein wenig aufrecht zu erhalten (früher hatte man die Nicht-Preisträger zuerst auf die Bühne gerufen, wonach dann bei der Bekanntgabe des zweiten Preises automatisch auch schon klar war, wer siegen würde). Das Publikum und auch der Rezensent erleben diverse faustdicke Überraschungen: Mit dem dritten Preis für Donovan Singletary etwa dürfte trotz der grundsoliden Leistung kaum jemand gerechnet haben. Daß Olga Pudova einen Preis bekommen würde, war hingegen relativ klar - sie landet auf dem zweiten Platz. Und eigentlich erwartet dann der ganze Saal die Bekanntgabe des Sieges von Sarah Ferede - aber die Jury hat anders entschieden: Mandy Fredrich heißt die Siegerin, und der Applaus im Saal wirkt anfangs reichlich irritiert, bevor er letztlich doch herzlich wird. Stanislaw Tillich, der die Preise übergibt, bemerkt völlig zu Recht, daß die Sachsen schon immer ihren eigenen Kopf hatten, und so bekommt Sarah Ferede zumindest noch den Publikumspreis. Die Wiederholung der Siegerarie gerät einen Tick lockerer als beim ersten Mal, aber auch hier treffen die oben genannten Attribute weiterhin voll und ganz zu, und das Wort "seltsam" behält seine Berechtigung.
Die Siegerehrung mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (links)
Trotzdem: Wie jedes Jahr ist auch dieses Finale wieder hochgradig unterhaltsam, und es bleibt nur zu hoffen, daß die diversen strukturellen Umwälzungen im Hintergrund, etwa Hans-Joachim Freys Demission in Bremen oder die generellen Schwierigkeiten im Kultursponsoring (so ist etwa die Lange-Uhrenmanufaktur, bisher einer der Hauptsponsoren, nicht mehr an Bord), keine negativen Auswirkungen auf die Folgejahrgänge haben. www.competizionedellopera.de hält den Interessenten über alle Entwicklungen auf dem laufenden.

Alle Fotos: David Brandt



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver