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Finalkonzert des Competizione dell'Opera 2007   09.09.2007   Dresden, Semperoper
von rls

Allerorten hört man, welche Einrichtungen oder Aktionen aufgrund finanzieller Mangelerscheinungen nicht mehr erhalten werden können - aber es gibt auch Beispiele für das Gegenteil. Ein solches ist der Competizione dell'Opera, der Gesangswettbewerb der italienischen Oper, der sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten internationalen Gesangswettbewerbe entwickelt hat, Anfang des neuen Jahrtausends erstmals nach Dresden kam und dort zunächst größtenteils im Zweijahresturnus nicht nur gehalten, sondern sogar ausgebaut werden konnte. Die nächste Ausbaustufe anno 2007 nun kam ideentechnisch vom Hauptsponsor, der Glashütter Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne: Warum sollte man, die entsprechenden finanziellen Rahmenbedingungen vorausgesetzt, den Wettbewerb nicht jährlich stattfinden lassen? Gesagt, getan - und so gab es nach 2006 schon 2007 den nächsten Competizione dell'Opera, zudem mit einer weiteren Neuerung, nämlich erstmals auch einer Vorrunde in Korea. Insgesamt 445 Sänger hatten sich für die Vorrunden angemeldet, und nach dem Semifinale am Vorwochenende in Radebeul blieben zehn für das Finale übrig, darunter allein vier Koreaner und - was 2006 nicht der Fall gewesen war - auch drei Mitteleuropäer. Selbiges Finale fand wieder in der Dresdner Semperoper statt, hatte allerdings unter einem kleinen Nachteil zu leiden: Aufgrund der eher kurzfristigen Entscheidung, den Wettbewerb auch 2007 stattfinden zu lassen (Spielpläne werden im Bereich der klassischen Musik nicht selten schon zwei bis drei Jahre vorfristig erstellt), mußte man auf einen eher ungünstigen Termin sonntags 11.30 Uhr ausweichen, zudem noch am Tag des offenen Denkmals, an dem viele Kulturinteressierte mit ihren eigenen Projekten beschäftigt sind. Strukturelle Folge: Nachdem 2006 zum Finale an einem schönen Juniabend fast full house zu vermelden gewesen war, blieben 2007 nicht nur auf den Rängen, sondern auch im Parkett etliche Plätze leer.
Das Begleitorchester des Finalkonzerts war in bewährter Weise das WDR Rundfunkorchester unter Michail Jurowski, und den Auftakt wählte man mit der Ouvertüre zu Verdis "Nabucco". Fast ein wenig zu träge ging das Orchester an die Ouvertüre an, steigerte sich aber bald, kombinierte die fast choralartigen Parts gekonnt mit den garstigen Hauptbreaks und bekam auch einen zupackenden Schluß hin. Auch in der Begleitung der Finalisten leistete das Orchester gewohnte Wertarbeit.
Im Programmheft war die Finalistenreihenfolge fast völlig durcheinandergewürfelt. Es begann letztlich der Bariton Tae Joong Yang mit der Kavatine des Figaro "Largo al factotum della città" aus Rossinis Sevilla-Friseur, einem dankbaren Wettbewerbsstück, weil es viele Möglichkeiten der Gestaltung über die reine Musik hinaus bietet. Der Koreaner hatte sich dementsprechend auch das 2007er Motto des Deutschen Evangelischen Kirchentages "Lebendig und kräftig und schärfer" zur Brust genommen und unterstützte seinen Vortrag mit einer vielfältigen Gestik, die immer kurz vorm Abkippen in den Kitsch stand. Trotz viel Sangesvolumen konnte er speziell die Stakkati aber nicht immer gut durchhörbar gestalten und leistete sich ein paar Tonansatzunsauberkeiten, überzeugte aber mit guter Laut-Leise-Dynamik und hatte sich den lauten Schlußapplaus samt der einzigen (!) Bravorufe des Abends durchaus verdient. Über die Qualität der italienischen Aussprache äußert sich der Rezensent bei ihm wie bei allen anderen Sängern nicht, da er selbst dieser Sprache nicht mächtig ist.
Text verstanden hätte man bei Liana Aleksanyan wohl sowieso nicht, denn die Armenierin gestaltete Mimis Arie "Si, mi chiamano Mimi" aus Puccinis "La Bohème" quasi rein linienhaft. Ihre gedeckte Stimme hatte genügend Volumen, blieb aber ansonsten komplett unauffällig, wenngleich auch qualitativ durchaus solide, so daß das halbtransparente weiße Kleid mit roter Schärpe an diesem Tag das Markanteste an der Sopranistin war.
Hatten die beiden ersten Teilnehmer viel bis sehr viel Gestik eingesetzt, so interpretierte Tobias Hächler Doktor Malatestas Arie "Bella siccome un angelo" aus Donizettis "Don Pasquale" fast in reiner Konzertmanier. Der Schweizer Bariton machte schnell deutlich, in welche Richtung er beim Aussterben dieser Stimmklasse gehen könnte: Während die Tiefen zu mulmig klangen, entwickelte er auch in großen Höhenlagen noch viel Energie, ohne sich sichtbar anstrengen zu müssen, würde also wohl auch einen fähigen Tenor abgeben.
Mit Stephanie Krone hatte es auch eine Lokalmatadorin ins Finale geschafft. Die blonde, in ein weinrot-blau schattiertes Kleid gehüllte Dresdnerin hatte Fiordiligis Felsenarie "Come scoglio immota resta" aus Mozarts "Così fan tutte" zugeteilt bekommen und gestaltete einen sehr soliden Vortrag, der lediglich in den fast überzeichneten Brüchen etwas aus dem Rahmen fiel. Auch sie besaß eine eher gedeckte Stimme, sang jedoch deutlich textorientiert und weniger linienhaft. Gute deutsche Wertarbeit, könnte man sagen.
Won Min Lee, der einzige Tenor im Finale, mußte sich mit Rodolfos Arie "Che gelida manina" ebenfalls aus "La Bohème" auseinandersetzen. Seine mäßig kräftige Stimme erwies sich für das epische Harfenintro als trotzdem fast zu kräftig, aber die Durchsetzungskraft sollte er im Verlaufe der Arie schon noch brauchen, wovon er mit fast blechernem Gestus in der Stimme auch Gebrauch machte, ohne jedoch sonderlich zu glänzen.
Einziger Mezzosopran im Finale war die Deutsch-Äthiopierin Sarah Ferede, deren fast walkürenähnliche Figur im lila Kleid einen eigenartigen Kontrast zu ihrer arabisch wirkenden Optik abgab. Ciecas Arie "Voce di donna o d' Angelo" aus Ponchiellis "La Gioconda" enthält eine größere Anzahl an leisen, verklingenden Passagen, und deren Umsetzung entpuppte sich schnell als Stärke der Sängerin, die in den lauten Passagen noch etwas zu hölzern wirkte, nichtsdestotrotz aber vom Publikum intensiv beklatscht wurde.

Sung-Kon Kim
Wie man sich im Verlaufe eines Stückes drastisch steigern kann, bewies der Bariton Sung-Kon Kim mit der Arie des Marquis Posa "Son io, mio Carlo. Per me giunto è il di supremo" aus Verdis "Don Carlo". Hatte er eher unauffällig begonnen und eine nette, mitunter leicht schwankende Stimme zur Schau gestellt, so gewann er Schritt um Schritt an Ausdruckskraft hinzu, einen richtig markanten Schlußpart auf die Bühne zaubernd, in dem er zudem wahre Vibrato-Orgien feiern konnte.
Der Countertenor Yuriy Mynenko hatte die Arie des Sesto "Parto, parto ma tu ben mio" aus Mozarts "La clemenza di Tito" auf dem Programm stehen, also ein mezzosoprankompatibles Stück. Schloß man die Augen, konnte man jedenfalls nicht erahnen, daß da keine Frau, sondern ein Mann auf der Bühne stand. Allerdings schien die Abdeckung weiblicher Stimmlagen den Ukrainer so viel Energie gekostet zu haben, daß für den Ausdruck nicht mehr allzuviel übrigblieb. Wie schon anno 2006 gab es außerdem die Situation, daß eine Klarinettensolobegleitung erforderlich wurde - André Schmidt entledigte sich dieser Aufgabe erneut souverän, aber von einem Miteinander zwischen ihm und dem jeweiligen Solisten konnte wie schon damals keine Rede sein.

Anna Pegova
Anna Pegova hatte wenig Mühe, um sich als beste der vier Finaldamen zu positionieren. Die russische Sopranistin machte in der Arie ihrer Vornamensvetterin Bolena "Piangete voi?" aus Donizettis "Anna Bolena" fast alles richtig, gestaltete die Brüche in der Geistessituation der Titelheldin trotz ihrer gedeckten Stimme sehr plastisch und wußte vor allem mit den verhaltenen Passagen zu überzeugen, von denen "ihre" Arie viele für sie bereithielt. In ein königsblaues Kleid gehüllt, scheiterte sie auf sehr hohem Niveau am möglichst weichen extrem hohen Einsatz im Schlußpart, aber da fehlte zur Ideallinie (die man in anderen Arien 2006 im Finale zweimal gehört hatte) weißgott nur sehr wenig, und die fast mit Händen zu greifende Fragilität vieler Passagen hatte den Hörer schon vorher verzaubert. Klarer Fall - hier hatte man eine Preisträgerin gehört.

Sangmin Lee
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt war für eine kurze Zeit den aktuellen politischen Stürmen im Lande entflohen und hatte nach Finalist Nr. 2 eine kleine Begrüßungsrede gehalten, in der er u.a. an den Tod Luciano Pavarottis drei Tage zuvor erinnerte. Mit dem letzten Finalisten Sangmin Lee stand dann aber eine Art "Pavarotti im Kleinen" auf der Bühne, denn irgendwie fühlte man sich trotz anderer Stimmlage und weniger voluminöser Gestalt sowie natürlich komplett anderer Physiognomie doch an das große italienische Tenöredrittel erinnert. Der koreanische Bariton war mit Fords Monolog "È sogno? O realtà?" aus Verdis "Falstaff" dran und erwies sich dieser Aufgabe als ausgezeichnet gewachsen. Stimmvolumen war mehr als genug da, vor allem in den Höhenlagen, die Dramatik stimmte ebenfalls, und eine punktgenaue Gestik setzte dem Ganzen die Krone auf. Die Schlußgeste, mit der der Sänger quasi die ganze Welt zu umarmen schien, sollte sich jedenfalls als prophetisch erweisen, denn nachdem die 36köpfige hochkarätige Jury getagt und das Orchester noch eine dynamisch überzeugende Ouvertüre zu Verdis "Die Macht des Schicksals" eingestreut hatte, erhielt Sangmin Lee verdientermaßen den Siegerpokal und durfte seine Arie im Anschluß noch einmal präsentieren, wobei im Gegensatz zur Vorjahressituation der Wettbewerbsvortrag einen Tick mehr überzeugte als die Preisträgerarie, da diesmal eher die Luft raus zu sein schien. Anna Pegova heimste gleich zwei Preise ein, nämlich den zweiten Preis und den Publikumspreis, während Sung-Kon Kim seine beschriebene Steigerung mit einem dritten Preis belohnt sah. Insgesamt gilt es zu konstatieren, daß das Niveau der Finalisten ein gutes Stück homogener war als 2006, was bedeutet, daß nach unten niemand herausfiel, sich aber auch die Heraushebehöhe nach oben etwas geringer bemessen darstellte. So endete der Competizione dell'Opera 2007 in Harmonie und machte Appetit auf weitere Jahrgänge dieses Wettbewerbs, der hoffentlich trotz des Wegganges des Wettbewerbsleiters Hans-Joachim Frey ans Bremer Theater auch in Zukunft der Elbestadt erhalten bleibt.

Fotos: Veranstalter



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