www.Crossover-agm.de Finalkonzert des Competizione dell'Opera   10.06.2006   Dresden, Semperoper
von rls

Alle zwei Jahre organisiert das Internationale Forum für Kultur und Wirtschaft gemeinsam mit zahlreichen Partnern den größten internationalen Wettbewerb für junge Sängerinnen und Sänger, die sich der Kunst der italienischen Oper verschrieben haben. Über 650 Nachwüchsler hatten sich für die 2006er Auflage, die zugleich das 10jährige Bestehen des Competizione markierte, beworben, erstmals gab es auch in Südamerika Vorrunden (die anderen Kontinente, Afrika ausgenommen, gehören schon länger in diese Riege), und nach den Halbfinals über Pfingsten in Radebeul markierte das Finalkonzert am Folgewochenende in der Dresdner Semperoper den Höhepunkt der Veranstaltung. Bis auf einige Rangplätze war das ehrwürdige und prächtige Gebäude restlos gefüllt, was ein gutes Licht auf die Kulturbegeisterung der Dresdner und ihrer Gäste wirft. Immerhin kamen der Rezensent und sein Begleiter auf dem Weg vom Parkplatz hinter dem Zwinger zur Semperoper gleich an mehreren klassischen "Konkurrenzveranstaltungen" unter freiem Himmel vorbei, und auch dort waren die Stuhlreihen nicht unbedingt leer zu nennen.
Bevor das WDR Rundfunkorchester unter Michail Jurowski mit Rossinis Ouvertüre zu "La gazza ledra" (Die diebische Elster) einstieg (und später auch für den ganzen Finalwettbewerb souverän die instrumentale Untermalung lieferte), hatte Hans-Joachim Frey, Operndirekter der Semperoper und eine der Haupttriebkräfte hinter dem Wettbewerb, noch den tragischen Tod der brasilianischen Sängerin Priscilla Ferrari zu verkünden, die nach dem Halbfinale an einer Thrombose mit nachfolgender Lungenembolie verstorben war. Trotzdem sollte es kein "Trauerkonzert" werden, und das wurde es auch nicht. Die Finalisten, sechs Sängerinnen und drei Sänger (unter denen sich übrigens kein Deutscher befand - generell sei die deutsche Beteiligung diesmal recht niedrig gewesen, hieß es), hatten sich im Wettbewerbsteil des Konzerts jeweils mit einer von der Jury bestimmten Arie aus einem vorher bekanntgegebenen Pool zu präsentieren. Schauen wir also durch, was alles passierte:
Die Mezzosopranistin Tamara Klivadenko eröffnete mit "Parto, ma tu ben mio" aus Mozarts "La clemenza di Tito", das außerdem die Beteiligung einer Soloklarinette vorsieht. Sowohl die Russin als auch der Klarinettist boten eine solide Leistung, aber richtige "Dialoge", ein tieferes Eingehen aufeinander, das gelang den beiden nicht. Auch die Übergänge in die gesanglichen Höhenlagen hätten noch einen Tick weniger schrill, dafür leichtfüßiger gestaltet werden dürfen. Keineswegs schlecht, durchaus solide - mehr aber nicht.
Das Urteil des letzten Satzes konnte durchaus auch auf Tamaras Landsmann Alexey Markov angewendet werden. Der Bariton war mit "Alzati! là tu figlio ... Eri tu che macchiavi" aus Verdis "Un ballo in maschera" dran und machte seine Sache gut, aber auch er glänzte nicht, blieb im großen und ganzen unauffällig, und ein paar Tonhöhenübergänge fielen einen Deut zu hart aus.
Der erste Höhepunkt sollte mit Takesha Meshé Kizart folgen. Die Sopranistin trug ein schwarz-weißes Kostüm, das eigentlich die Übertragung einer Arien-Aufgabe aus "Die diebische Elster" illustrieren hätte können. Aber auch sie hatte Verdi bekommen, nämlich "Tu, che le vanità conoscesti al mondo", also ein Stück, dessen Tiefen ein wenig unter ihrer Ideallage anzusiedeln waren. Trotzdem erledigte sie ihre Sache sehr gut, kleine Probleme mit manchen Zischlauten, die wegzubrechen drohten, machte ein zauberhaftes hohes a im schmelzenden Pianissimo locker wett. Man hätte die Enkelin einer amerikanischen Blueslegende gar nicht zu sehen brauchen, um ihre schwarze Hautfarbe zu diagnostizieren, denn ihre Stimme war so typisch schwarz, wie nur eine Stimme typisch schwarz sein kann. Das Experiment, mit einer solchen Stimme italienische Oper zu singen, erschien gewagt, muß aber bei näherer Betrachtung (nicht nur wegen diesem a ...) als unbedingt gelungen betrachtet werden. Das sah auch das Publikum so, das sich erstmals zu deutlicheren Bravorufen hinreißen ließ - die Jury dagegen war offensichtlich nicht dieser Meinung, sonst hätte hier einer der drei Preise fallen müssen.
Daß auch das Publikum nicht ganz geschmackssicher agierte, bewies es bei Dante Alcalá, der Puccinis kurzes "E lucevan le stelle" aus "Tosca" zu interpretieren hatte. Das machte er solide und engagiert, aber ohne Glanz und vor allem ohne das ganz große Volumen. Man sah dem Tenor die Anstrengung, die ihn dieses eigentlich nicht so sehr schwere Stück kostete, förmlich an, wenn seine Hände mal wieder eine Zitronenpresse bildeten. Der kleine Mexikaner erntete trotzdem riesigen Applaus und weitere Bravorufe, was er sich allenfalls durch seine spürbar ehrliche Bühnenarbeit verdient hatte.
Die mit Abstand schwerste Aufgabe hatte María José Siri bekommen, nämlich "È strano! ... Ah, fors' è lui" aus Verdis "La Traviata", nicht nur die längste der an diesem Abend erklungenen Arien, sondern auch technisch zweifellos die anspruchsvollste. Die Uruguayerin gab sich sehr große Mühe und überzeugte auch zu 90%, aber speziell die extremen Höhen kamen sehr schrill und schräg rüber, lagen teilweise sicher einen Viertelton daneben (ich hab's nicht ausgemessen) und verrieten mehr von der ungeheuren Anstrengung, als daß sie Souveränität transportierten. Da waren etliche der etwas tieferen lauten Lagen schon von anderem Kaliber, wenngleich die in ein (nicht unbedingt positiv) ins Auge stechendes signalrotes Kleid gehüllte Sängerin den Fokus auf fast instrumentallinienartige Intonation legte, so daß selbst der Italienischkundige im Publikum kaum noch ein Wort hätte identifizieren können. Wie sich María geschlagen hätte, wenn sie ein vom Schwierigkeitsgrad mit den anderen vergleichbareres Stück zugeteilt bekommen hätte, muß im spekulativen Bereich bleiben. So galt der tosende Schlußapplaus des Publikums vermutlich unterbewußt eher dem Stück selbst als der Sängerin. Weiteres Paradoxon: Dante, der im Schlußteil die männlichen Parts beisteuerte, konnte in diesen mehr überzeugen als in seinem eigentlichen Wettbewerbsbeitrag ...
In "normalere" Gefilde begab sich Hye Won Nam mit "Quel guardo il cavaliere" aus Donizettis "Don Pasquale". Die Koreanerin überzeugte mit einer Leistung, die man am besten mit dem Terminus "rund" bezeichnen kann, ließ nur in manchen abgehackten Passagen ganz leicht die Treffsicherheit vermissen und konnte sich im Fortissimo-Schluß akustisch nur teilweise gegen das Orchester durchsetzen. Ansonsten gehörte die Sopranistin zweifellos in die Spitzengruppe des Abends.
Die Russin Anna Smirnova bestätigte bereits mit den ersten Tönen in "O don fatale" aus Verdis "Don Carlo" den Eindruck, den schon ihre optische Erscheinung hervorgerufen hatte: Sie sollte ins Wagnerfach wechseln. Die Mezzosopranistin besaß eine sehr gedeckte Stimme, versuchte das aber mit viel Volumen wieder zu kompensieren. Für einen Mezzo liegt die Arie recht hoch, und so hatte sie in den Höhenlagen auch diverse Schwierigkeiten mit der Treffsicherheit. Man halte inne und speichere ab: Volumen ist nicht alles.
Ekaterina Sadovnikova wiederum hätte sich gefreut, wenn Anna ihr ein bissel Volumenpower abgegeben hätte, denn wenn das Orchester in Bellinis "Qui la voce sua soave" aus "I Puritani" Vollgas gab, hatte sie es schwer, sich genügend Gehör zu verschaffen. Aber das sollte das einzige kleine Problem eines ansonsten restlos überzeugenden Auftritts der Russin sein, die bei ihrem ersten Auslandsauftritt überhaupt mit einer runden und ausgeglichenen Leistung brillieren konnte - und da war es auch wieder, dieses zauberhafte hohe Pianissimo, wie man es erstmal hinkriegen muß, ohne daß es wegbricht. Einigkeit zwischen meinem Begleiter und mir: Hier hätte ein Preis fallen müssen.
Der einzige Finalbaß beschloß den Wettbewerb: Alexei Tanovitski schob mit "Uldino! Uldin! ... Mentre gonfiarsi l' anima" aus "Attila" den Verdi-Anteil auf immerhin fünf Neuntel und präsentierte sich ebenfalls solide, aber wenig glanzvoll; zudem fehlte dem Weißrussen in der Tiefe noch etwas die Durchschlagskraft.
Nach der Pause und einem Auftritt der ersten Competizione-Siegerin aus dem Jahre 1996 verkündete die hochkarätig besetzte Jury dann das Ergebnis, wobei die drei Preise noch eine Addition erfahren hatten: Das Publikum konnte mittels Stimmzetteln noch einen Publikumspreis vergeben. Der Juryentscheid ließ allerdings einigen Pressevertretern den Schweiß auf die Stirn treten. Die beiden herausragenden Akteure, nämlich Takesha Meshé Kizart und Ekaterina Sadovnikova, gingen leer aus, wohingegen Dante Alcalá sich den dritten Preis erarbeitete und der unauffällige Alexey Markov (man hatte ihn am Wettbewerbsende schon fast wieder vergessen) den zweiten Preis bekam. Wer den ersten Preis erhielt, dürfte nach diesen Worten auch wenig überraschen: María José Siri profitierte offensichtlich von der vorherrschenden Ansicht in der Jury, 90% Leistung bei einer ultraschweren, nicht selbstgewählten Arie seien höher zu bewerten als 99% Leistung bei einer nicht so schweren, auch nicht selbstgewählten (eine Ansicht, die allerdings im Falle der Preise für den Zweit- und Drittplazierten außer Kraft gewesen sein muß). Das Publikum wiederum feierte sich selbst, indem es ihr auch noch den Publikumspreis zuerkannte, so daß sie (die übrigens mit der verstorbenen Priscilla Ferrari ein Zimmer geteilt hatte) die Preisträgerarie gleich nochmal singen durfte. Und siehe da - ohne Wettbewerbsdruck gelang ihr eine deutliche Leistungssteigerung; für diese Darbietung wäre sie auch beim Rezensenten in die Preisränge gekommen, wenngleich auch hier durchaus noch Verbesserungsspielraum bestanden hätte. So endete ein interessanter und unterhaltsamer Abend und zugleich ein hochkarätiger Wettbewerb, der - das wurde am Schluß unter dem großen Applaus des Publikums bekanntgegeben - auch in seinen nächsten Folgen wieder in Dresden kulminieren wird.



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