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Die Fledermaus   25.06.2010   Leipzig, Rosental
von rls

Alljährlich zum Saisonausklang laden die Oper Leipzig und das Gewandhausorchester zum "Klassik airleben" getauften Open Air-Konzert ins Leipziger Rosental, eine parkartige Landschaft in unmittelbarer Innenstadtnähe, ein, und das an zwei aufeinanderfolgenden Abenden: Den ersten anno 2010 bestritt die Oper Leipzig mit der Johann-Strauß-Operette "Die Fledermaus", der zweite (bei dem der Rezensent nicht anwesend sein konnte) gehörte einem Orchesterkonzert unter dem Motto "Alles Tanz!". Freilich stimmte die strukturelle Anbindung der meisten Bühnenaktiven an beiden Abenden überein, spielt doch das Gewandhausorchester bekanntlich auch als Orchester der Oper, und indem man die "Fledermaus"-Ouvertüre auch noch ins Konzertprogramm des zweiten Abends packte, peilte die Planungsfraktion gleich noch zwei Nachtinsektenbeutetiere mit einem Echolotausstoß an und erbeutete sie erfolgreich. Die für den ersten Abend angedrohten Gewitter blieben trotz bedenklich aussehenden Himmels aus, und so waren die Reihen im Publikum (das zwischen Sitzplätzen und Picknickplätzen wählen konnte) zwar etwas gelichtet, aber doch optimistisch gestimmt, einen unterhaltsamen Abend zu erleben.
Natürlich spielte man aber nicht einfach die Operette an sich - auf der Rosentalwiese stand "nur" eine normale Open-Air-Bühne mit Tontechnik, aber ohne Maschinerie, und Kostüme o.ä. hätte man von weit hinten im Publikum auch nicht erkannt. Eine konzertante Aufführung also - aber doch auch wieder nicht ganz konzertant, denn ein paar kleine Accessoires hatte man den Mitwirkenden schon in die Hand gedrückt, etwas Gestik kam hinzu, und auch der Aktionsradius überstieg den des berühmten Bierdeckels. An die sieben Hauptrollen hatte man nicht Hand angelegt, alle waren besetzt - aber es kam eine achte hinzu, ein Moderator: Peter Lerchbaumer hatte die Aufgabe bekommen, die Handlung voranzutreiben; er durfte sozusagen die Rezitative zwischen den Arien sprechen, und er hatte von Christian Geltinger dazu auch noch neue Texte auf den Leib geschneidert bekommen. Dieser Aufgabe des sympathischen Störenfrieds (sein erster Auftritt unterbrach nach drei Takten gleich mal die Ouvertüre) entledigte sich Lerchbaumer in gekonnter Manier, das Publikum immer wieder zum Lachen bringend und Weisheiten wie "Manchmal bezweifelt man, daß man in derselben Vorstellung gewesen ist wie der Kritiker" einstreuend. Teils gab er dunkelschwarzen Wiener Humor zum besten, teils bediente er geliebte Klischees wie beim Einmarsch des Opernchores, als er diesem zurief, es gäbe was zu trinken, woraufhin die Sänger spontan ihr Einmarschtempo beschleunigten. Für eine Steigerung des Humorfaktors sorgte zudem auch das Orchester: Zwei Bläser fingen mitten in der Operette plötzlich an, mit Vuvuzelas zu tröten, woraufhin Lerchbaumer forderte, sie sollten doch bitte etwas Klassisches spielen - gesagt, getan: Ravels "Boléro" in einer Fassung für eine Posaune und zwei Vuvuzelas sorgte für Lachstürme im Publikum.
Aber natürlich sollte das kein reiner Klamaukabend werden, Strauß hat schließlich durchaus ernstzunehmende Musik geschrieben, und dieser widmete man sich denn auch mit großer Begeisterung. Über das von Andrés Orozco-Estrada dirigierte Gewandhausorchester braucht man keine Worte zu verlieren - die Leistung überzeugte, soweit man das denn hören konnte. Damit wären wir beim Problem des Abends: dem Sound. Klar, ohne Anlage kommt man bei einer derartigen Veranstaltung nicht aus, aber die dieses Abends hatte zwei Probleme, anfangs drei: Erstens war sie zu gut eingestellt, so daß man auch Blätter- und ähnliche Nebengeräusche in relativ hoher Lautstärke mit transportiert bekam und - schlimmer - gerade das Schlagzeug dazu neigte, viel vom Orchesterrest zu überdecken (die Hinauswurf-Momente in "Ich lade gern mir Gäste ein" etwa bestritt die Pauke gleich mal im akustischen Alleingang). Diesem Problem hatte man schon mit einem fast distanziert wirkenden Gesamtklangbild zu begegnen versucht, aber so richtig in den Griff bekam man es nicht. Zudem neigten die Mikrofone besonders bei hohen und lauten Tönen der Damen anfangs zum Übersteuern - das bekam die Soundfraktion nach einiger Zeit in den Griff, nicht aber die teils enorm zeitverzögerte Ansprache der Mikros, so daß viele "einleitende Worte" der Sänger verlorengingen und zudem die Gruppenszenen teils arg undurchsichtig wurden. Einzelbewertungen der Sänger sind demzufolge auch praktisch unmöglich, lediglich die gute Textverständlichkeit von Eun Yee You als Adele (und ihre hervorragende Einzelleistung in "Spiel' ich die Unschuld vom Lande") kann hervorgehoben werden, wohingegen besonders Stefan Vinke als Gabriel von Eisenstein oftmals kaum zu verstehen war, wenn in dramatischem Kurzpaßspiel Rede auf Gegenrede folgte. In dieser Situation zahlte sich die Variante mit Lerchbaumer als handlungsschilderndem Moderator aber wiederum aus: Wenn man auf ihn hörte, entging einem strukturell praktisch nichts.
Die gewissen Soundprobleme (die auf dem Gelände in unterschiedlichem Maße aufgetreten waren, wie sich hinterher herausstellte) konnten die gute Laune des Publikums (die Reihe hinter dem Rezensenten sang die diversen Operettenhits sogar fleißig, wenngleich mit schwankender Treffsicherheit mit) freilich nicht trüben - dennoch war es auffällig, daß das Orchester den stärksten Applaus abbekam. Daß dem sich in den 85 Minuten Bruttospielzeit durchaus gut unterhalten fühlenden Rezensenten pünktlich mit dem Schlußapplaus der Refrain des Nightwish-Dunkelheimers "Long Lost Love" in den Sinn sprang, muß irrationale Gründe gehabt haben. Man sieht sich in der nächsten Spielzeit, in der übrigens das 50jährige Bestehen des derzeitigen Leipziger Opernhauses gefeiert wird. Mehr: www.oper-leipzig.de



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