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8. Philharmonisches Konzert: Volkstümlich?   21.05.2010   Altenburg, Theater
von rls

Die Serenade in F-Dur des hierzulande wenig bekannten schwedischen Komponisten Wilhelm Stenhammar stellt sein Landsmann am Pult des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera, Eric Solén, an den Anfang des Konzertprogrammes an diesem Freitag vorm Pfingstfest. Nun ist das so eine Sache, wenn ein spätromantischer Komponist mit dem Begriff "Serenade" operiert, und Stenhammar ließ zudem noch die Variante zu, daß nicht alle der fünf Sätze gespielt werden müssen. Aber irgendwie ist die volle Form trotzdem rund, wenngleich auf etwas eigentümliche Weise. Solén läßt das Orchester in der Overtura erstmal klingen wie eine Herde wuselnder Lemminge, bevor er eine ausgedehnte weite und karge nordische Hochebenenlandschaft malt. In der Folge kombiniert Stenhammar diese Elemente und weist besonders der Konzertmeisterin auffällige Passagen zu - diesen Posten bekleidet als Gast übrigens Ursula Dehler aus Weimar. Die Canzonetta kombiniert eine epische Holzmelodie mit einigen unruhigen Streichern, bevor eine soloviolinendominierte Passage beinahe in Disney-Gefilde abdriftet, so viel Zuckerguß liegt da drüber. Die volkstümlichen Elemente im Scherzo konterkariert der Komponist immer wieder mit eigenwilligen Rhythmusfiguren, bevor die Schlagzeugbestückung dann doch Partystimmung ohne Ironie erzeugt - aber nicht für lange, denn der Zusammenbruch ist nahe, und Dehler läutet eine große Düsternis ein. Die dauert nach einigen Zwischenelementen das ganze Notturno, in dem alle möglichen Grautöne kombiniert werden und das mit hochspannenden Tiefstreichern ausklingt. Das Finale faßt verschiedene Stimmungselemente zusammen, vom unterschwelligen Gewitterklima bis zum großen Pathos, aber selbst die gekonnte Linie, mit der Solén diese Elemente aneinanderkettet, und die flotte Schlußwendung verhindern nicht, daß der Applaus des Publikums irgendwie etwas ratlos anmutet - man kann nicht so richtig einschätzen, was man da eben gehört hat.
Diese Einschätzung fällt beim zweiten Werk leichter: Sergej Prokofjews 2. Violinkonzert op. 63 steht auf dem Programm. Als Solistin hat man Albena Danailova verpflichten können - die Bulgarin ist die erste Frau auf dem Konzertmeisterposten an der Wiener Staatsoper. Auffällig ist vor allem ihr sehr düster-voller Violinsound, und die slawische Affinität (auch wenn Prokofjew das Werk abseits der russischen Heimat schrieb) kann man auch kaum überhören. Nur hilft das der Gesamtdarbietung leider wenig: Im Allegro moderato wirken vor allem die schnellen Passagen, und von denen gibt es viele, eher unkoordiniert, was sich erst im Verlauf des Satzes etwas legen soll. Mit seiner Tempowechselhäufung macht des der Komponist den Musikern allerdings auch nicht leicht, und Solén schafft es hier auch nicht, eine große Linie ins Hin und Her zu bekommen. Das gelingt ihm erst im Andante assai: Ein paar ironische Einwürfe vor allem aus dem Holz brechen den melancholischen Ernst, ohne die Stimmung zu zerstören, das Blech setzt ein paar Zäsuren, und eine Scheinwelt baut sich auf, aus der die auslaufende große Epik im Satzende wieder herausführt. Das abschließende Allegro ben marcato kommt schwer in Schwung, den inszenierten Tanz kann man an diesem Abend allenfalls als "bodenständig" deuten, wenn man eine positive Deutung hervorbringen will - viel bleibt hier Fragment, und Solén kann wenig mehr tun, als eine Ergebnisverwaltung vorzunehmen. Der Schluß ist kurz und wild und mündet in ein Nichts, aus dem das geschmackssichere Publikum einen eher müden Applaus evoziert, der mit Mühe für zwei Vorhänge reicht und ergo keine Zugabe erklatschen möchte.
Wie das mit der großen Linie richtig geht, beweisen Orchester und Dirigent nach der Pause mit der 5. Sinfonie op. 82 von Jean Sibelius. Da gelingt nämlich im Eröffnungssatz die Dynamikentwicklung über große Bögen hin, und das Fagott über den wuselnden Streichern erinnert gar an eine nordische Version von Debussys Faun-Nachmittags-Vorspiel. Solén nimmt die Tutti hier zwar voluminös, aber mit eher umarmendem Gestus, nicht bedrohlich, und die unterschwellige Vorbereitung des Schlußtriumphes muß man auch erstmal so hinbekommen (er kommt fast aus dem Nichts, und erst in der gedanklichen Rückschau erkennt man seine unauffällige Vorbereitung). Zu knobeln hat man auch im Andante, bevor man die markante Rhythmusstruktur als Quasi-Frühform von Schostakowitschs Invasionsthema aus der Leningrader Sinfonie erkannt hat. Der Satz bleibt ansonsten lange kammermusikalisch gepägt, erst die Hörner bringen etwas Dramatik ein und bereiten damit schon mal das abschließende Allegro molto vor, wo Solén das Orchester gekonnt durch die vom Komponisten vorgesehenen Dynamikwellen surfen läßt. Die häufigen höhenlastigen Hochgeschwindigkeitsstreicherpassagen hinterlassen jedenfalls einen geordneten Eindruck, die Midtempowege entbehren der Monotonie, auch das kleinteilige Tempomanagement bekommt Solén souverän hin, und für die Sprödigkeit des Triumphes und den seltsam konstruiert, gar aufgesetzt wirkenden Schluß mit seinen durch mehrsekündige Pausen getrennten Einzelakkorden kann er ja nichts ...



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