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7. Sinfoniekonzert   13.05.2010   Zwickau, Konzert- und Ballhaus "Neue Welt"
von rls

Irgendwie mausert sich Anton Bruckners 8. Sinfonie in Sachsen zum "Abschiedswerk" von Dirigenten. Man erinnere sich: Herbert Blomstedt spielte das Werk in der Fassung von Robert Haas anno 2005 in seinem letzten Grossen Concert als Leipziger Gewandhauskapellmeister, Niksa Bareza wählte 2007 für sein Abschiedskonzert als Chefdirigent der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz die Zweitfassung Bruckners aus dem Jahre 1890. Nun verläßt auch Georg Christoph Sandmann nach siebenjähriger Amtszeit das Philharmonische Orchester Plauen-Zwickau zum Saisonende und legt im, nein, nicht letzten, sondern vorletzten Konzert der Spielzeit dieses Werk aufs Pult, wiederum in der Fassung von Robert Haas, die Elemente der Erst- und Zweitfassung Bruckners vereint. Generalintendant Roland May nutzt dennoch bereits dieses Konzert, um offizielle Abschieds- und Dankesworte an den sichtlich gerührten Dirigenten zu richten, der zuvor in knapp anderthalb Stunden alles aus dem kapitalen Werk herauszuholen versucht hat, was er mit dem Orchester unter den gegebenen klanglichen Bedingungen des Saales nur herausholen kann. Akustische Materialschlachten stellen sich dabei als gewisses Problem heraus - das Blech dominiert die Tuttipassagen doch sehr stark und deckt die Untervegetation weiträumig zu. Im eröffnenden Allegro moderato legt Sandmann daher zunächst einen Pfad ohne Extreme durch den Dschungel, und zwar ohne Extreme nach beiden Seiten: Die Tutti transportieren eher mäßige Energie (das Blech ist aber auch hier schon recht dominant), und nach unten hin liegt auch nur relativ geringer Eskapismus in den zurückhaltenden Stellen. Nur einmal läßt der Dirigent das Orchester in zarten romantischen Pastellfarben schwelgen, als die Streicher einen undeutlich flirrenden Teppich ausrollen und die Bläserfraktion darüber hochromantische Soli legt. Von diesen beseelten Momenten hätte man sich noch ein paar mehr gewünscht, aber über weite Strecken dominiert eher das solide Handwerk. Das ist freilich auch nichts Schlechtes: Dem förmlich "gemeißelt" wirkenden Schluß des ersten Satzes, der periodisch verklingt, hört man durchaus gerne zu. In den anfangs für Bruckner-Verhältnisse noch eher seltenen und erst in den hinteren Sätzen in größerer Dichte auftretenden Generalpausen fährt Sandmann übrigens die Strategie der organischen Entwicklung - keine Schroffheiten, keine besondere Betonung, sondern eher der Versuch einer harmonischen Einbeziehung, wie man ihn in anderem Kontext bei den Pausen der Gesangsstimme in Schumann-Liedern kennt.
Das Scherzo läßt der Dirigent anfangs eher mäßig wallen, aber der Energietransport von unten heraus funktioniert trotzdem, sozusagen aus dem Boden heraus, denn das Ergebnis dieses Satzes ist eher "erdig" als "leichtfüßig" zu nennen. Die Sandmannsche Architekturauffassung macht der Schlußteil vor dem Trio am deutlichsten, und die Theorie des "Pfades ohne Extreme" findet auch hier Anwendung: Die zupfenden Violinen beginnen nicht ganz unten, und das Tutti läßt nach oben immer noch Raum übrig. Nur die Hörner musizieren in der Harfenpassage deutlich zu gequält, was sich erst gegen Ende des Trios wieder etwas legt.
Ins Adagio legt Sandmann ein interessantes, kleinteiliges und ausdifferenziertes Tempomanagement, das freilich noch besser gewirkt hätte, wenn jede Tempowendung von allen Musikern so kleinteilig reproduziert worden wäre. Die Probleme halten sich aber in überschaubaren Grenzen, und auch der gelegentlich anzutreffende Mix recht scharfen Holzes in einem recht breit angelegten Orchesterrest mutet eher interessant als komisch an. Das anfänglich recht schleppende Tempo hält der auch hier sehr ehrgeizig und offensiv dirigierende Sandmann nicht über die gesamte Spielzeit des Satzes als Grundlage so weit unten, die Apokalyptizität im Tutti nimmt zu, es findet sich die erste schroff angespielte Generalpause der bisherigen Aufführung (die aber auch nicht scharf weitergespielt wird), und nur der Schluß überzeugt nicht ganz: Sandmann läßt ihn eher ausfasern und schafft es hier leider nicht, Spannung zu erzeugen, wobei seine Aufgabe durch diverse Störgeräusche vom Rang allerdings auch erschwert wird.
Im Finale zettelt der Dirigent dann doch noch eine Materialschlacht an und schraubt das Energielevel der Tuttipassagen an die Grenzen dessen, was in diesem Saal akustisch noch möglich sein dürfte, ohne völligen Klangbrei zu ergeben. Schon im an diesem Abend gehörten Maß fließt einiges klanglich doch ziemlich ineinander - im Blechchoral des Finales ist dieses Ineinanderfließen aber sogar von Vorteil, gelingen somit doch hübsche weiche Übergänge. Die Dichte der Generalpausen nimmt in diesem vierten Satz arg zu, Sandmann bleibt allerdings weitgehend bei seiner Harmonisierungsstrategie, was auch besser so ist, denn von den wenigen harten Einsätzen sitzen nicht alle paßgenau. Zudem gönnt sich das Holz in der abschwellenden Dynamik der Eröffnungspassage ein Schläfchen, was aber das einzige größere Problem bleiben soll. Nach der letzten Generalpause manifestiert sich nochmal der Gestaltungswille sowohl des Komponisten als auch des Dirigenten, und die am Ende nicht stehende Spannung wird durch den durchaus beeindruckenden Triumphcharakter kompensiert. Nach einer langen Pause bricht tosender Applaus im fast ausverkauften Saal los, bevor wie eingangs erwähnt der Dirigent noch offizielle Abschiedsblumen entgegennimmt. Das Publikum hat ihn offensichtlich liebgewonnen, und man dürfte sicher sein, ihn auch in Zukunft gelegentlich als Gast wieder in Südwestsachsen am Pult wiederzusehen.



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