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Sarah Kaiser & Band   16.04.2010   Geithain, Nikolaikirche
von rls

"Kirchenlieder neu entdeckt" stand als Motto über diesem Konzert, und was sich dahinter verbirgt, wissen alle, die Ulfs Livereview vom Sommerfest der Evangelischen Kirche Mainz anno 2007 gelesen haben. Kam dort allerdings nur ein Kurzset zur Aufführung, war's an diesem Abend in Geithain ein voller mit über anderthalb Stunden Länge, der etwas verspätet begann, weil die Musiker im Stau gestanden und sich die vorbereitenden Arbeiten daher verzögert hatten. "Zieh ein zu deinen Toren" markierte den Opener für die Sängerin Sarah Kaiser und ihre drei instrumentalen Mitstreiter und verdeutlichte das Konzept schon sehr anschaulich: Von den oft mehrere hundert Jahre alten Kirchenliedern bleiben oftmals nur melodische Fragmente, manchmal gar nur noch der Wortlaut selbst, nahezu keinesfalls aber die "gängige" im Ohr des gemeinen Kirchenbesuchers verankerte Harmonik, die durch die Welt schwarzwurzliger Genres ersetzt wurde. Solche Transfigurationsversuche kennt man aus der jüngsten Vergangenheit etliche, und einige davon haben sich als mehr oder weniger problematisch entpuppt, sowohl solche des totalen Dekonstruktivismus als auch solche der Herstellung einer Stromlinienförmigkeit. Sarah und Chefarrangeur/Pianist Samuel Jersak haben die lauernden Klippen erfolgreich umschifft, wie man auf Tonträger bereits nachhören konnte und wie auch der Geithainer Abend ein ums andere Mal bewies. Da fühlte man sich bisweilen an Robert Schumanns Konzept der Wort-für-Wort-Ausdeutung beim Gedichtvertonen erinnert, das an die Stelle des klassischen Strophenliedes getreten war, dieses zwar nicht vollständig verdrängend, aber doch sinnvoll ergänzend. Kleine Textvariationen gönnte sich die Sängerin mit der warmen, aber kräftigen Stimme (die im deklamierenden Gestus erstaunliche Parallelen zu Pe Werner aufwies) nur zur Betonung besonders wichtiger Stellen oder zur Anpassung der Texte an eine bestimmte Situation - schön zu hören in "Geh aus mein Herz", dessen Zeile "Die Bäume stehen voller Laub" vor "voller" noch ein fixes "bald" eingeschoben bekam, da der Austrieb anno 2010 aufgrund des recht langen Winters und des eher kühlen Frühlings noch nicht so weit war wie bisweilen sonst um diese Zeit Mitte April. Das Hauptsolo steckte dann voller freudiger Vokalisen - ein Stilmittel, mit dem die jazzerfahrene Sängerin oft und gerne arbeitete. Für "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" wechselte Martin Simon vom Kontra- an den E-Baß, was er im Set noch mehrmals tun sollte; der E-Baß stellte eins von zwei winzig kleinen Soundproblemen, indem man sich im Gesamtmix einen Tick mehr von ihm gewünscht hätte (zum zweiten Problem siehe weiter unten; insgesamt war der Sound für eine nicht eben leicht zu beschallende gotische Hallenkirche aber exzellent!). "Wer nur den lieben Gott läßt walten" erlebte die erste von mehreren Ansagen Sarahs zu den geschichtlichen Hintergründen der Texte und entpuppte sich in der Jersak-Fassung als grooviger Blues, schleppend beginnend und mit der Zeit etwas dynamischer werdend - ein Grundschema, das noch bei mehreren anderen Songs auftrat (z.B. "Nun laßt uns gehn und treten", hier sogar mit A-Cappella-Intro), zunächst allerdings von mexikanischen Anklängen in "Die güldene Sonne voll Freud und Wonne" und "Ich lobe dich von ganzer Seele" abgelöst wurde, inclusive vokal imitierter Mariachi-Trompeten. Den Refrain "Wir sind Gotteskinder ..." des letztgenannten intonierte das Publikum mit durchaus annehmbarer Treffsicherheit. "O komm du Geist der Wahrheit" transportierte ein langes Instrumentalintro und ließ bisweilen ob seiner abstrus anmutenden, aber irgendwie nie unpassenden Trommelrhythmik von Daniel Jacobi aufhorchen - auch das ein Stilmittel, das häufiger Verwendung fand. Danach war vorerst Schluß mit Kirchenliedern "klassischer" Herkunft - wo stammt "You Are Everything" doch gleich her? Egal: Sein Mittelteil ließ die Instrumentalisten solistisch hervortreten, Jersak und Simon jeweils mit Unterstützung der beiden anderen, Jacobi allerdings komplett singulär, was in dem Falle auch besser so war, denn der Soundmensch hatte begonnen, das Drumkit lauter zu drehen, und in diesem sehr schlagzahlreichen Solo hätte man weder einen Baß noch ein Piano mehr gehört. Dafür überraschte Jacobi das Publikum mit einer neuen Variante der Mitmachspielchen: Er bediente sein Kit mit den Füßen und gab mit den Händen Klatschrhythmen vor, die das Publikum dann nachzumachen hatte - und die wurden immer schwieriger, wobei sich das Publikum erneut achtbar aus der Affäre zog. Hernach erklangen drei Eigenkompositionen aus Sarahs Schmiede: "Miracles", der Titeltrack des 2005er Albums und ebenfalls dem später dynamisierten Slowblues angehörend, das bisher unkonservierte "Novembersonne" gleicher Bauart und schließlich "Nimm mich, wie ich bin", ebenfalls bisher unkonserviert - aber das könnte man, wenn man den einen lauten Huster zum Schluß noch rausschneidet, fast als Geithain-Liveversion aufs demnächst aufzunehmende neue Album packen: fragile Atmosphäre, bisweilen fast am Stillstand kratzender emotionaler Slowblues mit Hauptsolo des Kontrabasses. Den Setcloser markierte das flotte "Lobet den Herren, alle, die ihn ehren", Sarah stimmlich noch mal alles geben lassend (gesungene Ansagen sind übrigens auch was Originelles) und erneut das Problem mit den etwas zu lauten Drums offenbarend. Aber ohne Zugaben ließen die Geithainer das Quartett (das zuvor mit Quereierbechern beschenkt worden war) natürlich nicht ziehen; belohnt wurden sie zunächst mit "Du meine Seele singe", dem schnellsten Song des ganzen Abends, ausstaffiert mit einem ausgedehnten Mitsingteil (und da waren wieder recht schwere Übungen dabei!), und schließlich mit dem absoluten Kontrastprogramm "Nun ruhen alle Wälder", das sich phasenweise mal wieder in der Nähe des Stillstandes bewegte. Feine Sache - vom Niveau der Berlinerin und ihrer drei Spießgesellen könnte sich mancher Mitbewerber die eine oder andere Scheibe abschneiden. Messer gibt's hier: www.sarah-kaiser.de



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