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Saint Vitus, Centurions Ghost, Iguana   05.02.2010   Leipzig, Conne Island
von rls

Eine Kultband ist wieder da: Saint Vitus legten in den Achtzigern gemeinsam mit einigen anderen Überzeugungstätern wie Candlemass den Grundstein für die Auferstehung des klassischen Doom Metals im Stile der frühen Black Sabbath, erweiterten diesen Kosmos aber um Hendrix, Psychedelic und einige artverwandte Stilistiken. Dafür liebte sie eine Schar Anhänger fanatisch, aber im großen Maßstab blieben Saint Vitus absoluter Underground und stellten ihre Aktivitäten ein, noch bevor die Düstermetalszene der Neunziger die Früchte ihrer Pionierarbeit richtig zu ernten begann. Nun sind sie also wieder da, noch nicht mit neuen Studioaufnahmen, aber erstmal einen ausführlichen Rückblick auf ihr Schaffen unternehmend und mit diesem durch die Lande ziehend. Ein sehr gut gefülltes Conne Island will sich diesen Trip in die Vergangenheit nicht entgehen lassen.
Zunächst gilt es Iguana zu überstehen, was manchen Hörern leichter fällt, anderen schwerer. Das Quartett paßt stilistisch nicht so ganz zu den beiden anderen Bands, wenngleich es durchaus Doomelemente in seinen Songs verarbeitet - zum einen das niedrige Tempo, in das man an zwei, drei Stellen herunterschaltet, zum anderen die Eigenschaft, bestimmte Passagen sehr lange auszuspielen. Aber generell ist das, was da von der Bühne schallt, eher im frühen Grungelager anzusiedeln, wenngleich sich der Punkeinfluß hier in Grenzen hält und eher durch eine gewisse Indieschlagseite (Gitarren!) ersetzt wird. Das ergibt ein Gebräu, nach dem Sub Pop früher gierig die Finger ausgestreckt hätten, und der eine Gitarrist trägt typischerweise auch noch ein Karohemd. Der andere Gitarrist (der Rezensent überlegt lange, wo er den schon mal gesehen hat - die nachträgliche Recherche ergibt als einzige praktische Möglichkeit Dolly's Meat) erfüllt gleichzeitig die Pflichten des Leadsängers, und auch sein leicht melancholischer Cantus wäre durchaus als Seattle-kompatibel anzusprechen. Allerdings schweigt er des öfteren - im vom Rezensenten gehörten Teil des Auftritts gibt es nämlich gleich drei Instrumentalstücke, von denen das abschließende ganz ohne ihn (also auch ohne sein Gitarrenspiel) auskommt und daher an eine lockere Siebziger-Jamsession erinnert. Teile des Publikums spenden Applaus, andere ignorieren das, was da von der Bühne erschallt, und bereiten sich seelisch und moralisch auf den doomlastigeren Teil des Abends vor.
Selbiger beginnt mit Centurions Ghost, die offensichtlich einige fleißig bangende Die-Hard-Anhänger vor Ort haben, während der Analytikerteil im Publikum eher verhalten bleibt. Die Konzentration aufs Wesentliche (oder das, was man dafür hält) rächt sich in der Livevariante jedenfalls: Die auflockernden Elemente des Albums "A Sign Of Things To Come" (den neuesten Streich "Blessed & Cursed In Equal Measure" kennt der Rezensent nicht) fehlen live jedenfalls völlig und machen einer eher monoton-ermüdenden Darbietung Platz, die sich zumeist in unterem Midtempo und mit gehöriger Stoner-Schepperschlagseite durch die Botanik langweilt. Für die Reproduktion einiger an die frühen Cathedral erinnernden Riffharmonien fehlt dem Quartett ein zweiter Gitarrist, und auch der Sänger macht zwar einen engagierten Eindruck, aber sein hardcoreartig gepreßter Gesang muntert den Hörer nicht gerade auf. Wie Kollege Tobias schon im Review der erwähnten CD festgehalten hat: Am stärksten sind Centurions Ghost dann, wenn sie konsequent auf Kriechgeschwindigkeit herunterschalten - das aber machen sie in den 53 Minuten des Sets (ein Gequälter links neben dem Rezensenten hat mitgestoppt) nur sehr selten mal. Was sie dann für Wirkungen erzielen können, zeigt der Setcloser, der paradoxerweise "Tempo" heißt, nach einem schnelleren ersten Teil in der Mitte fast auf Stillstand herunterschaltet und sich in einen faszinierenden Schneckendoomer verwandelt. Hier paßt dann auch der Baßsound, der von gaaanz weit unten dröhnt und kaum jemals eine Symbiose mit der Gitarre eingehen will.
Saint Vitus übernehmen unglücklicherweise die Soundverhältnisse von Centurions Ghost weitgehend. Will heißen: Man hört Marks Baß irgendwo ganz weit unten grummeln, aber es entsteht weder ein groovender Rhythmusteppich mit den Drums noch eine wandartige Verschränkung mit der Gitarre. Das ist in diesem Falle aber kein ganz existentielles Problem, denn die Trümpfe von Saint Vitus liegen eh woanders. Da wäre zum einen Dave Chandler an der Gitarre, optisch so etwas wie der Uli Jon Roth des Doom, spielerisch zumindest anhand dessen, was man an diesem Abend hört, keinesfalls so sehr der Iommi-Schule anhängend, wie immer wieder behauptet wird - hier läßt eher Hendrix freundlich grüßen, und das meint keineswegs nur die zwei Szenen, wo Chandler seine Saiten mit den Zähnen zupft, wie Hendrix das weiland auch schon tat. Klar, diverse klassische Doomriffs finden sich im Set immer noch genügend, aber gerade die Leadarbeit Chandlers hat mit der Iommis nun überhaupt nichts gemeinsam. Daß eine Songwidmung an den 2009 verstorbenen Ex-Blue Cheer-Kopf Dickie Peterson ergeht, paßt dafür perfekt ins Bild. Der andere Trumpf steht in Gestalt von Scott "Wino" Weinrich am Frontmikrofon, akustisch allerdings ein wenig zu weit in den Hintergrund gedrängt, so daß sein Textvortrag etwas weniger intensiv daherkommt, als man sich das gewünscht hätte. Das ist aber nicht als existentielles Problem zu werten: Schon mit dem fulminanten Opener "Living Backwards" haben Saint Vitus die Anhängerschaft im Conne Island fest in der Hand, und gleich danach wird "I Bleed Black" gespielt, der Track, auf den sich der Rezensent am meisten gefreut hat. Danach hätte er also gehen können, aber das tut er natürlich nicht. Wer Doom übrigens ausschließlich auf Kriechgeschwindigkeit reduziert, hätte spätestens an diesem Abend eines Besseren belehrt werden können, obwohl ein intensives Hören der Alben von Saint Vitus dafür auch schon ausgereicht hätte. "White Stallions" etwa, an diesem Abend auch im Set, liegt knapp unter der Speedgrenze, und Trommler Armando bei seiner intensiven Arbeit zuzuschauen macht eigentlich den ganzen Set über richtig Freude, egal ob nun gekrochen oder geflitzt wird. Zwei Zugaben beenden das Konzert, diese allerdings nun beide der langsamen bis sehr langsamen Fraktion zugehörig - den Ausklang bildet das stürmisch geforderte "Born Too Late", auch von dem Teil des Publikums frenetisch bejubelt, der zur Zeit der Veröffentlichung der Studiovariante des Songs noch im Kindergartenalter oder noch gar nicht in Planung war. Ein interessanter Blick ins musikalische Gestern, wonach freilich abzuwarten bleibt, wie das musikalische Morgen von Saint Vitus aussieht.



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