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Den Sieg verfehlt...   19.09.2009   Leipzig, Oper
von kk

Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall bestimmt die Aufarbeitung der Friedlichen Revolution in Leipzig das musikalische Geschehen. Daran beteiligen sich auch in einer Gemeinschaftsveranstaltung das Forum Zeitgenössischer Musik und die Oper der Stadt: Zwölf Stücke sollen im Rahmen der Veranstaltung "Den Sieg verfehlt..." erklingen. Der Beiname "Kritische Klänge aus Ost und West" deutet bereits an, dass dieser Abend auch in Sachen Meinung und politischer Haltung dissonant werden könnte. Den Festlichkeiten anlässlich des zwanzigsten Jubiläums soll eigenen Angaben zufolge ein Gegenpol entgegengesetzt werden.
Eröffnet wird der Abend mit Marsch 9 aus Mauricio Kagels "10 Märsche um den Sieg zu verfehlen" (später folgt noch Marsch 5). Entgegen der Erwartung erklingen die ersten Töne nicht von der Bühne. Der Saal dunkelt ab, die Türen öffnen sich und gegen das Licht erkennt man im Vorraum Bläser und Schlagzeug. Seicht beginnt das Stück und steigert sich unterschwellig durch schräge Einwürfe seitens der Bläser und dem monotonen, fast schon zögerlichen Rhythmus des Schlagzeugs. Immer leiser werdend entlässt der Dirigent das Publikum. Das karge Arrangement lässt viele Fragen offen, auch hinsichtlich der Interpretation.
Im Folgenden vollzieht sich im Raum zeitweise eine Zweiteilung. Nicht auf der Bühne gibt Tenor Marko Cilic dem Werk von Peter Köszeghy Gestalt, sondern mitten im Saal auf einem Podest. Gleich tut es ihm Bassklarinettist Volker Hemken bei Helmut Lachemanns Werk. Ob damit auf eine politische Teilung angespielt wird, ist dem Hörer überlassen. Zumindest muss eine Saalhälfte damit leben, das Geschehen nicht gänzlich zu erfassen. An der Virtuosität der Künstler lassen die Werke keinen Zweifel. Aber gerade Lachemanns "Dal Niente" für die Klarinette regt weniger zum Denken an, sondern strapaziert vor allem das Ohr. Das Stück lebt zum einen von Atem- und Klappengeräuschen, zum anderen von absichtlich überspielten und damit sehr hochfrequenten Tönen, bei denen keineswegs an Musikgenuss zu denken ist. Je nach Sitzplatz dürfte man nämlich in diesen Momenten weit mehr Gehörzellen verloren haben als vorgesehen. Bislang musste man in der Oper nicht an Ohrstöpsel denken.
Übertrieben wirkt im Anschluss Johannes Harneits "Unterwegs". Verteilt im Raum verkünden darin Sopranistinnen über Minuten Staumeldungen. Schon zu Anfang wird klar, dass im Rahmen dieser Veranstaltung vermutlich die Staus aus den Tagen des Mauerfalls gemeint sind. Die Frage, warum "Unterwegs" scheinbar künstlich in die Länge gezogen ist, bleibt offen. Auch die kommenden Stücke hinterlassen diesen offenen Eindruck. Dem nichtdeutschen Text geschuldet leidet oft das Verständnis. Auch Luigi Nonos "La Fabbrica Illuminata" spielt mit den Nerven. Das weit vor der Wende entstandene Stück bezieht sich auf Fabrikarbeit, die an den Menschen physisch und psychisch nagt. Letzteres wird auf der Bühne eindrucksvoll von einer der Sopranistinnen gezeigt, hinterlegt mit Tonbandgesängen und -geräuschen. Inwieweit es hier notwendig ist, die Qualen der Fabrikarbeiterin auf das Publikum zu projizieren, scheint eine angebrachte Frage.
Beschlossen wird der Abend mit Friedrich Schenkers "Alter Mann löst deutsche Frage" aus diesem Jahr. In seinem Werk für Sopran und fünf Posaunen werden abschließend imposant die Texte der Nationalhymne aus Deutscher Demokratischer Republik und Bundesrepublik Deutschland vereint.
Anscheinend sollen an diesem Abend eher Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Dem Beinamen "Kritische Klänge aus Ost und West" wird die Veranstaltung gerecht. Daran lässt auch musikalisch die Dissonanz sämtlicher Kompositionen keinen Zweifel.



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