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Arion   20.08.2009   Kleinolbersdorf, Kirche
von rls

Vier Jahre nach der letzten Tour schaffte es der Jugendchor Arion, in Kooperation mit dem CVJM Niederschlesien wieder eine Zweiwochentour durch Sachsen und angrenzende Gebiete auf die Beine zu stellen. Was sich in der Theorie recht einfach anhört, führt in der Praxis dann doch zu erheblichen logistischen Problemen, die erstmal bewältigt werden wollen: Der Chor besteht in seiner aktuellen Tourbesetzung aus über 30 Mitgliedern und kommt aus Nordossetien, also einer autonomen russischen Teilrepublik im Nordkaukasus, von der aus nach Deutschland zu gelangen schon mal ein Kunststück für sich ist, wenn die Flugvariante über München aus Kostengründen ausscheidet. Und auch vor Ort müssen etliche Kilometer bewältigt werden, die täglich zwischen dem Stammquartier in Görlitz und den einzelnen Auftrittsorten zurückzulegen sind. Aber Chorleitern Olga Dshanajewa ist es gewöhnt, Probleme lösen zu müssen (das war 1983 zu Gründungszeiten des Chores auch nicht anders, wenngleich sich da andere Sorten von Problemen stellten), die Chorsänger strotzen vor jugendlicher Energie und Tatendrang, der CVJM tat das Seine dazu, Alfred Mütze (der den Chor die letzten Male nach Sachsen geholt hatte) zog im Hintergrund noch ein paar Fäden, und so ließ sich letzten Endes alles beiseiteschieben, was sich dem Zweiwochenprogramm in den Weg stellte.
Der Rezensent, der den Chor 2005 in seinem Proberaum in Wladikawkas, der Hauptstadt Nordossetiens, besucht und dann auch den 2005er Tourgig in Chemnitz gesehen hatte, ließ es sich selbstverständlich nicht nehmen, das Ensemble auch anno 2009 zu begutachten, allerdings konnte er nur die zweite Hälfte des Gigs in Kleinolbersdorf sehen. Die erste fand auf dem dortigen Roscher-Gut statt und demonstrierte hauptsächlich das Können des Chores in der Präsentation der Folklore seiner nordkaukasischen Heimatregion, sowohl sängerischer als auch tänzerischer Natur. Danach zog man in die Kirche um und gab ein "traditionelles" Arion-Konzert in zweigeteilter Form. Der erste Teil gehörte geistlicher Musik verschiedener Provenienz. Da standen Kompositionen Tschaikowskis, die Eingang in die offizielle Liturgie der Russisch-Orthodoxen Kirche gefunden haben, neben geistlichen Liedern in ossetischem Volkston und neu geschaffene ossetische geistliche Lieder neben einigen klassischen Sätzen Johann Sebastian Bachs. "Dostojno Jest", das eröffnende Tschaikowski-Stück, offenbarte noch einige Probleme der Sopranfraktion in der Höhe, überzeugte aber mit seiner dynamischen Gestaltung, und auch die nur sechs singenden Herren wiesen ausreichend Durchsetzungskraft gegenüber der vierfachen Damenanzahl auf - halt, die Rechnung stimmt nicht ganz: Erstens übernahmen offensichtlich einige der Altistinnen mitunter Tenorstimmen (das fiel dann auf, wenn die sechs Herren alle die gleiche Stimme sangen, aber trotzdem ein vierstimmiger Satz zu hören war), und zweitens hatte sich ein siebenter Herr unter die Soprane gemogelt und übernahm auch einige der Solostellen - eine Aufgabe, derer er sich in beeindruckender Weise entledigte, wie überhaupt die Solisten ein sehr hohes sängerisches Niveau aufwiesen (selbst das jüngste Chormitglied sang Soli, und die Kleine ist erst 14), während die Chormasse an einigen Stellen noch etwas Feinschliff vertragen konnte, etwa im Bachsatz "Wer nur den lieben Gott läßt walten", als die Tempoverschleppung vor dem Übergang in den Schlußton etwas arg uneinheitlich ausfiel, oder in Tschaikowskis "Tjebe Pojem", als der eröffnende Zischlaut ziemlich ausfaserte. Über die deutsche Aussprache der Vokabeln der Bachstücke deckt man auch besser den Mantel des Schweigens, wobei das umgekehrt, wenn der Rezensent russische Lieder singt, aber auch nicht anders ist. Und die gelungenen Momente überwogen eindeutig, seien es nun die gewagten, aber exakt ausziselierten Tonartenwechsel in N. Kabojews Marienhymnus "Mady Mairam", die emotionale Hochspannung in "Tjebe Pojem", die geschickten Variationen in Tempo und Dynamik im ossetischen Elias-Gebet "Uatsilla", das wolgatreidlerartig deklamierende Baritonsolo in "Uastirdshy" (das die anderen fünf Herren mit Vokalisen unterlegten, während die Damen samt ihres Sopranisten schwiegen) oder das fließende Bach-Air, dessen Höhepunkte strahlenden Glanz verbreiteten. Als Zugabe des ersten Teils intonierte der Chor "Dona nobis pacem" in einer äußerst entschleunigten Version, die durch ihre originelle vierteilige Struktur interessant wurde, allerdings auch den To-Do-Effekt des Ausfeilens des Oktavsprungs nach unten kurz vor Ende offenbarte.
Zum zweiten Teil brauchte sich der Sopranist nicht umzuziehen - er hatte schon im ersten Teil ossetische Volkstracht getragen, während die anderen Chormitglieder eher "klassisch" gekleidet waren. Passend zum zweiten Teil, der fast ausschließlich der ossetischen Folklore gehörte, trugen nun auch die anderen traditionelle Kostüme, und neben dem Gesang kam hier und da auch Tanz zur Aufführung, wenngleich unter erschwerten Umständen: Der Altarraum der Kleinolbersdorfer Kirche ist nicht so sehr groß, und die Reihen der Sänger sowie der fest installierte Taufstein ließen für die Tänzer nur einen extrem begrenzten Platz übrig, mit dem diese aber in professioneller Manier umzugehen wußten. Einige der Stücke wurden mit einer Schellentrommel untermalt, die meisten blieben aber a cappella und verdeutlichten die sehr hohe Klangkultur des Ensembles, das zudem von den sehr guten akustischen Verhältnissen in der Kirche profitieren konnte. Nummern wie "Sarina" und "Silga" wurden in ihrem Verlauf immer schneller, so daß auch die Tänzerfraktion immer mehr zu beschleunigen hatte. Die Highlights bildeten die beiden hochzeitsbezogenen Nummern im Programm: der Zeremonialtanz "Tschepena", vom Solobariton quasi als "Moderator" artikuliert und mit einem coolen leidenden Abschmiereffekt zum Schluß, sowie das elegante Hochzeitslied "Schau kark" (Das schwarze Huhn), dessen Textübersetzung hier vollständig angeführt sei: "Meine Mutter hat mich immer belehrt: 'Wenn du ein Huhn zum Opfer aussuchst, wähl ein schwarzes, und wenn du zu heiraten gedenkst, wähl eine schwarzhaarige Braut.' Mutter, laß mich ins Gebirge - ich will reiten, die Liebste zu freien, und will alle Welt zur Hochzeit einladen." Mit wenigen Ausnahmen waren übrigens die kompletten Chordamen (im Alter zwischen 14 und 28 Jahren) schwarzhaarig. Auch in diesem Teil kamen Arion nicht ohne eine Zugabe davon, und so erlebte Mendelssohns "Abschied vom Walde" hier seine vom das Kirchschiff komplett und die erste Empore zum Teil füllenden Publikum laut beklatschte Livepremiere im Repertoire der jungen Ossetinnen und Osseten. Die entpuppten sich hinterher übrigens als vielseitig interessiert - einige wollten unbedingt noch die frühbarocke Orgel der Kirche spielen (obwohl ihnen dieses Instrument aus ihrer Heimat nahezu unbekannt sein dürfte - die Tasten-Spielpraxis kam offensichtlich vom Klavier her), und bei allen standen Rundfahrten mit einem überlangen Trabant-Cabrio, mit dem einige Besucher aus der Kleinolbersdorfer Schwesterkirchgemeinde Chemnitz-Adelsberg herübergekommen waren, sehr hoch im Kurs. So endete der wärmste Tag des Jahres 2009 in lockerer Atmosphäre, bevor sich der Chor wieder auf den Weg ins Görlitzer Standquartier machte. Ein originelles Kulturerlebnis erster Kategorie, hoffentlich auch in den Folgejahren immer mal wieder hier zu erleben. www.jugendchor-arion.de hält den Interessenten auf dem laufenden.



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