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Arion   26.08.2005   Chemnitz, Markuskirche
von rls

Eine neogotische Kirche inmitten von DDR-Plattenbauten, da weite Teile der Umgebungsbebauung im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren: Der Paradoxonsgrad dieser Situation entspricht in überraschender Parallele dem Schaffen des Chores Arion, denn auch hier handelt es sich um eine Art Leuchtturm, der Vergangenes bewahrt und zugleich Relevanz für die heutige Zeit aufweist. Arion ist der Chor des Kunstlyzeums in Wladikawkas, der Hauptstadt der zu Rußland gehörigen autonomen Republik Nordossetien-Alanien (die der gelernte DDR-Bürger vermutlich eher unter dem Namen Ordshonikidse kennt - wieder eine Parallele zu Chemnitz, das ja auch eine Zeitlang Karl-Marx-Stadt heißen sollte; Wladikawkas hat allerdings noch eine Zwischenstufe mehr, denn vor der Umbenennung in Ordshonikidse galt einige Zeit der Name Dsaudshikau), und stellt dort so eine Art "Eliteensemble" dar, vergleichbar hierzulande beispielsweise mit dem Thomanerchor zu Leipzig, wenngleich die Tradition von Arion "nur" bis ins Jahr 1983 zurückreicht, als Olga Dshanajewa, die auch heute noch an der Spitze steht, das Ensemble ins Leben rief, um einerseits "klassische" europäische Chorliteratur zu singen, andererseits als heimatlichen Kulturauftrag aber auch das ossetische Vokalschaffen der Vergangenheit wie der Gegenwart zu pflegen. Diese Dualität, ergänzt noch um einige Werke aus der russisch-orthodoxen Liturgie, deren Exotenfaktor in Deutschland dem der ossetischen Lieder nur in Nuancen nachsteht, prägte denn auch die Setlist des Konzertes, wobei die erste Hälfte des Konzertes mehr klassischen und russischen Weisen gehörte, während die ossetischen Stücke den zweiten Teil dominierten. Von den etwa 40 mitgereisten Mitgliedern waren nur sieben männlich; von denen bildeten vier ein internes Sängerquartett, das in dieser kleinen Besetzung auch mehrere Stücke intonierte und sich ansonsten als stimmkräftig genug erwies, um sich von 30 Frauenstimmen nicht an die Backsteinwand der Kirche singen zu lassen. Überhaupt bestach die stimmliche Präzisionsarbeit aller Sänger über einen weiten Teil des Sets, lediglich im noch ein Stück über die eigentliche Vierstimmigkeit ausgebauten "Dona Nobis Pacem" waren kleine Unsauberkeiten zu hören. Die sehr hallige Akustik der Kirche erlaubte einerseits den Einsatz eben dieses Halls als Stilmittel (was an einigen Stellen gekonnt praktiziert wurde), führte an manchen Stellen mit sehr schnellen Silbentonwechseln aber auch zu einer weniger günstigen akustischen Verdichtung (besondes auffällig im Auftakt von "Languir Ma Fais"). Dafür entschädigte die Variationsbreite stimmlicherseits, die in diversen Bach-Stücken den Alt besonders deutlich herausarbeitete, so daß man auch über das schwer verständliche Deutsch wohlwollend hinwegsehen konnte. Die drei nicht singenden Herren bereicherten im zweiten Teil des Konzerts etliche Stücke mit Tanzdarbietungen, deren genau stilistische Einordnung ich einem Fachmann überlassen muß. Selbiger zweiter Teil wurde dann auch komplett in ossetischer Festkleidung bestritten, was ein wunderschönes Bild ergab, wenngleich die Plazierung einer anstelle des sonst herrschenden Weiß in Rot gekleideten Sängerin mittig vor dem Altar keine programmatischen, sondern ganz profane Gründe hatte (man verfügte schlicht und einfach nicht über genügend weiße Kleider). Die ossetischen Lieder im zweiten Teil (sowohl Traditionals als auch neu komponierte bzw. arrangierte Stücke) ließen zwar eine gewisse Ähnlichkeit zur slaworussischen Musik erkennen, glänzten aber trotzdem durch Eigenständigkeit und bisweilen recht gewagte Melodieführungen bzw. Akkordbildungen - der stilistische Kontrast zum in diesen Teil eingestreuten Kanon "Es tönen die Lieder" hätte nicht gewaltiger sein können. Der recht nasale, aber keineswegs unpassende weibliche Sologesang in einigen Stücken rundete eine hochinteressante Darbietung ab, die vom Publikum zu Recht mit lautem Applaus belohnt wurde - daß der Chor in beiden Konzertteilen als Zugabe jeweils die zweite Hälfte des letzten Stückes noch einmal wiederholte, stellte wiederum eine skurrile Eigenart dar. Durch das Programm führte Alfred Mütze, der maßgeblich an der Organisation der Arion-Touren in Deutschland beteiligt ist und mit dem der Rezensent diesen Sommer selbst zwei Wochen im Kaukasus unterwegs gewesen ist (wo er Arion auch schon mal bei einer Probe im Lyzeum belauscht hatte). Die Pause zwischen den beiden Konzertteilen nutzte man dabei, um dem Publikum das Heimatland des Chores etwas näherzubringen, wobei selbstverständlich auch die Geschehnisse in Beslan (für deren Opferbetreuung man während der Tour Spenden sammelte) zur Sprache kamen. Dort ist noch viel Arbeit nötig, um die Folgen des Schulüberfalls von 2004 zu beseitigen. Daß Arion selbst seine Arbeit sehr ernst nimmt, zeigte die Szenerie nach dem Konzert: Während die Besucher die Kirche verließen oder sich noch mit den Organisatoren unterhielten, probte der Chor gleich noch einige Elemente für die nächsten Auftritte ein - getreu dem Motto "Nach dem Konzert ist vor dem Konzert". Das mächtige Publikumshäuflein verfehlte knapp die Grenze der Dreistelligkeit, was angesichts des parallel laufenden Stadtfestes keine schlechte Quote darstellt, wenngleich die Programmqualität eine weitaus höhere Zuschauerzahl gerechtfertigt hätte. Nachzuhören für Interessenten auch auf CD.



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