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Applerock   18.07.2009    Stockheim, Apfelplantage
von rls

In den letzten Jahren hatte man dieses kleine, aber feine Festival (hervorgegangen aus einer studentischen Initiative privaten Zuschnitts) jeweils im September organisiert, aber des Abends war es trotz des Zeltes dann doch etwas ungemütlich kühl geworden - ergo faßte die Chefdenkerfraktion den Beschluß, mit der siebenten Auflage in den Juli zu gehen, um endlich, so wörtlich, in Shorts und Flip-Flops rocken zu können. Allein der launische Sommer 2009 torpedierte die letztere Absicht - der Aufbau in den Tagen zuvor fand tatsächlich noch in Shorts und Flip-Flops statt, weil man es sonst vor Hitze kaum ausgehalten hätte, aber dann zog eine Kaltfront mit Niederschlag durch, und die Temperaturen sanken um 15 Grad. Zumindest hörte es einige Stunden vor Festivalbeginn auf zu regnen, so daß auf der Strecke vom asphaltierten Weg durch den Plantagenbereich zum Zelt keine Schlammwüste entstand, und die Schauer am späteren Abend bzw. in der Nacht störten die Besucher dann im Prinzip nicht mehr. Apropos Besucher: Diese hatten offensichtlich zu großen Teilen auch erst abgewartet, ob sich die Witterung stabilisieren würde, so daß die ersten Bands noch vor sehr spärlicher Kulisse spielen mußten und sich das Zelt erst im Laufe des Abends noch etwas füllte, wobei aber immer noch genügend Kapazität übrigblieb - unverständlicherweise, denn wo bekommt man für sieben Euro einen ganzen Abend gute livehaftige Rockmusik in netter Atmosphäre geboten? Das Motto "Support your local scene" sollte mal wieder hinter mancherlei Ohren geschrieben werden, denn wenn man nicht zu solchen Events geht, sich dann aber beschwert, daß nichts los sei, dann läuft im Hirn irgendwas schief. Exempel einen Abend zuvor in der Kleinstadt Geithain, 20 km von Stockheim entfernt und auch ein Ort, wo der Bürger sich in der Rolle des von der Kultur Abgekoppelten und daher Bemitleidenswerten gefällt - dann organisiert die Stadtverwaltung im Bürgerhaus eine Vorführung der Konzert-DVD "Freddie Mercury Tribute" auf Großbildleinwand bei äußerst verträglichem Eintritt von 1,50 Euro, und es kommen 7 (in Buchstaben: sieben) Leute.
Zurück nach Stockheim und rein ins Geschehen: Mit einer gewissen Verspätung eröffneten Dead Man's Hand den Reigen und versuchten dem noch recht spärlich anwesenden Publikum ihre Interpretation des Rock'n'Roll nahezubringen. Die fiel zumindest in den ersten Songs temposeitig allerdings recht monoton in stets etwa identischer Midtempolage aus, erst der Setcloser beschleunigte deutlich - und siehe da, schon stieg der Unterhaltungswert um etliche Prozente. Das Quintett hatte zuvor ein bisweilen etwas eigentümliches Harmonieverständnis an den Tag gelegt, sowohl was Gesang zu Gitarren als auch was die Gitarren untereinander betraf, wobei man mit drei Gitarren durchaus noch mehr Möglichkeiten hat als die an diesem Abend gezeigten. Auch der Sänger (der zwischenzeitlich auch mal zur Mundharmonika griff) konnte gesanglich kaum Akzente setzen, sorgte aber mit staubtrockenem Humor in den Ansagen für einige Lacher (beispielsweise setzte die komplette Band zum erwähnten letzten Song Sonnenbrillen auf, weil man ja so evil sei). Für das Niveau grob vergleichbarer Bands wie CCR, die man in der Umbaupause zuvor hatte hören können, müssen die Leipziger noch etwas stricken, aber freundlicher Applaus für die knappe halbe Stunde war auch jetzt schon drin.
Als eine Entdeckung entpuppten sich Jolly Mood. Das Quartett zauberte schon im Opener dem Altrockfreund ein Lächeln ins Gesicht, als man das erste Break kurzerhand aus Themen von Deep Purple zusammenbastelte ("Smoke On The Water", "Child In Time" in rhythmisch recht freier Adaption und noch ein Riff dazwischen, das auch aus diesem Dunstkreis stammen müßte). "Blues'n'Roll" nennen die Erzgebirgsbewohner ihren Stil, wobei sowohl Blues als auch Roll allerdings unterschiedlichen Prozentsätzen im Gesamtgemisch unterworfen sind, das unterm Strich deutlich im 70er-Rock landete. Der Sound stellte den Baß und die Vocals (beide vom gleichen Menschen beigesteuert) einen Tick zu weit in den Hintergrund, erlaubte aber ein eindrucksvolles Nachvollziehen der Beziehung zwischen der Gitarre und den konsequent auf alt getrimmten Keyboards, wie sich das für 70er-Rock eben gehört. Acht Songs spielten Jolly Mood, allesamt mit hohem Unterhaltungswert, wobei den höchsten der fünfte aufwies, wieder mit einem lustig zusammengebastelten Hauptsolo, das dem siebzigertypischen Exzelsiorprinzip gleichermaßen huldigte wie es parodierte, indem sich der Gitarrist und der Keyboarder (ersterer mit Hut wie Ritchie B., letzterer im Led Zeppelin-Shirt) Themen wie "Hänschen klein", "Laßt uns froh und munter sein" oder "Eye Of The Tiger" zuwarfen. Dazu kam auch hier staubtrockener Humor des Bassisten und des Gitarristen, die sich die Ansagen teilten. Exempel: "Dieses Lied ist von Zwölftontechnik beeinflußt. Arnold Schönberg ist unser großes Vorbild." Wenn die Vocals noch etwas ausdrucksstärker und charismatischer gestaltet werden können (unabhängig ob mit dem vorhandenen Personal oder einem Extra-Vokalisten), dürfte hier eine rosige Zukunft möglich sein.
Magnetcrotch & Ironmouth hatten offensichtlich selbst eingesehen, daß sich ihren Bandnamen kein Mensch merken kann, und firmierten deshalb auf den Festivalshirts und -flyern unter dem Kürzel MCIM, das sie auch in den Ansagen verwendeten. Auffällig war ein Stilschwenk innerhalb des Sets: Startete man noch mit temposeitig variablem Poprock, so brachen sich die Punkelemente später immer mehr Bahn, und das Tempo wurde deutlich angezogen, was auch mit der Bereitschaft der ersten Enthusiasten, vor die Bühne zu kommen und sich aktiv zu bewegen, korrespondierte. Das hinderte das Quintett nicht daran, auch mal ein ausgedehntes finsteres Doombreak einzustreuen oder den Sänger ein komplettes Songintro allein singen zu lassen. Zum Quintett wurde die Truppe (die als Quartett angekündigt worden war) übrigens erst nach drei Vierteln des ersten Songs, als ein zweiter Gitarrist die Bühne betrat und eine Flying V zu bedienen begann, was er dann in Song 3 wiederum allein tat, weil seinem Kollegen in Song 2 eine Saite gerissen war, die er dann während Song 3 wechselte. Netter Gig, allerdings ohne größere musikalische Höhepunkte.
Die nächste Entdeckung folgte allerdings postwendend: Black Tequila, die auch einem Abstinenzler wie dem Rezensenten ausgezeichnet mundeten, auch wenn sie den Wunsch offenließen, sie bei idealen Soundverhältnissen noch einmal zu erleben. Die Dresdner spielten einen recht originellen Mix aus Emo und Power Metal, den neben der klassischen Rockbesetzung eine Keyboarderin und eine Geigerin flankierten - und genau die beiden letztgenannten wurden vom Sound (die Band hatte ihren eigenen Mixer dabei!) äußerst stiefmütterlich behandelt, was einen Running Gag von der "ansehnlichen Geigerin" bzw. der "ansehnlichen Keyboarderin" ermöglicht hätte (man konnte beide eben nur ansehen, aber nicht anhören, wobei sich freilich auch das bloße Ansehen als reizvoll erwies). Erst der vorletzte Song und ansatzweise noch die zweite Zugabe ließen das Potential, das in dieser Kombination steckt, durchhören statt nur erahnen und damit den einleitend genannten Wunsch aufkommen. Trotz nicht selten ordentlich zerhackten Grundbeats blieb das Liedgut oft recht hymnisch, wenngleich die ganz großen Widerhakenmelodien noch fehlten; dafür hinterließ der Sänger, der in einigen Songs auch noch die zweite Gitarre bediente, ob seiner Wandlungsfähigkeit zwischen Geschrei mäßigen Hysteriegrads und warmem Cleangesang einen sehr positiven Eindruck, während der Bassist trotz enger Bühne noch etwas für die Belebung des Bühnenbilds tat und auch die Geigerin fleißig am Headbangen war, wenn sie gerade nicht zu spielen hatte. Das Areal vor der Bühne hatte sich mittlerweile gut gefüllt, die Stimmung im Publikum war prächtig, und so warf man dem sowieso schon aus den Fugen geratenen Zeitmanagement noch einen weiteren Knüppel in Form zweier Zugaben zwischen die Beine.
Nachdem die Schweizer Face Flanell anno 2008 kurzfristig ausgefallen waren, bildeten die Amis Adam Bomb anno 2009 nun die erste internationale Band der Festivalgeschichte - Adam Brenner und seine beiden musikalischen Mitstreiter samt der durchaus nicht unansehnlichen Merchandiserin in Leopardenfelljacke und analogen Schuhen hatten am Tag zuvor in Italien gespielt und am Tag danach einen Gig in Prag anstehen, so daß Stockheim im Gegensatz zum ähnlich benamten Stockholm zwar immer noch nicht ganz am Wege, aber auch nicht ganz so weit von diesem entfernt lag. Nachdem er mit TKO noch nicht so richtig in die Gänge kam (das gelang allerdings auch TKO nach seinem Abgang sowie anderen Bands aus diesem Dunstkreis wie den zumindest noch semilegendären Q 5 oder den völlig badengegangenen Warbabies nicht), startete Adam in den Mittachtzigern eine Solokarriere, die ebenfalls vielversprechend begann, aber später im Sande verlief, woran einerseits die Grungewelle, andererseits aber auch der Musiker selbst bzw. diverse nicht so legale Substanzen ihre Aktie hatten. Letztere blieben in Stockheim, sofern überhaupt vorhanden, in der Kiste (die Merchandiserin futterte dafür fleißig Haribo Phantasia), und Herr Brenner, zuständig für Gitarre und Gesang, spielte samt seinen wieder mal neuen Mitstreitern Paul Del Bello (Baß) und Bobby Reynolds (Schlagzeug) einen starken traditionellen Hardrockgig, wobei ihm zugutekam, daß er ein zwar durchaus rocksozialisiertes, aber offensichtlich größtenteils lange ohne traditionellen Hardrockgig gedarbt habendes Publikum vor sich hatte, das selbst seine ausgedehnten und insgesamt vielleicht doch ein wenig überdosierten Gitarrensoli lautstark bejubelte. Der Gesamtstimmung konnte das freilich nur recht sein, und in dieser Hinsicht agierten Adam Bomb wie Vollprofis: ein paar Showelemente (bunt umwickelter Mikroständer, etwas Pyrotechnik, die aus der Gitarre hervorschoß), einige Mitsingeinlagen (zu "Je T'aime, Baby" etwa ließ man das Publikum die jeweils zweite Refrainzeile addieren, die ebenfalls in Französisch gehalten ist, aber bedeutungsseitig wie phonetisch "suck my dick" entspricht - das wurde dann gar noch zu Sprechchören in der nächsten Songpause umfunktioniert) und eine astreine musikalische Vorstellung mit traditionellem, leicht punklastigem, durch die markanten Sologitarren aber immer wieder vorm Punk "gerettetem" Hardrock hohen Unterhaltungswertes. Wäre Adam ein ebensoguter Sänger, wie er Gitarre spielen kann, hätte man gar von einem echten Highlight sprechen müssen, aber die Vocals bildeten den einzigen Schwachpunkt dieses Gigs, der seinen Höhepunkt bereits relativ früh fand, nämlich in der Kombination aus "I Want My Heavy Metal" (von seinem ersten Soloalbum), dem ersten ausgedehnten Gitarrensolo und dem anschließenden Cover von "Whole Lotta Rosie". Die Zugabewünsche des Auditoriums konnten aufgrund des Zeitmanagements nicht mehr erfüllt werden, und der Rezensent knobelt noch heute, wo er "DWI On The Info-Superhighway" schon mal gehört hat ...
Als Lament auf die Bühne stiegen, war es 1.30 Uhr, das Publikum begann sich immer mehr auszudünnen, und da sowieso fast alle Anwesenden mit dem Material der Lokalmatadoren vertraut waren, war nicht mehr mit Überraschungen zu rechnen, schon gar nicht, da die Band schon 2008 auf dem Applerock gespielt hatte und seither zwar beim MTV Rookie-Wettbewerb gewonnen, aber keine stilistischen Bocksprünge unternommen hat. So gab's denn noch 50 Minuten Gothic Rock mittleren Düsternisgrades zum Ausklang des Abends, temposeitig allerdings sehr variabel und keineswegs die Anwesenden mit Schleichbeat in Morpheus' Arme weisend, statt dessen nicht selten größere Gitarrenwälle aufbauend und mit Sebastian "Atze" Söllners eigentümlichem Gesang noch einen weiteren Originalitätsfaktor beinhaltend. Aber irgendwann war dann mal die Luft raus, wenngleich sich die Enthusiasten im Publikum noch zwei Zugaben ausbaten, die in wildem Geschrammel endeten, das angestrebte Schlußfeedback aber vermissen ließen, da der Bassist das Gerät, an dem Sebastians Gitarre dröhnenderweise stand, kurzerhand ausschaltete. So endete um 2.20 Uhr ein Festival, das uns hoffentlich erhalten bleiben wird - den Termin für 2010 und alles weitere Wissenswerte erfährt man rechtzeitig auf www.applerock.de



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