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Jahreszeiten   03.05.2009   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Joseph Haydn gehört auch zu den großen musikalischen Jubilaren des Jahres 2009 - man gedenkt seines 200. Todestages. Auch die MDR-Klangkörper beteiligen sich an diesem Gedenken, und so steht eines von Haydns beiden großen Oratorien, nämlich "Die Jahreszeiten", in der Fassung der wissenschaftlichen Neuherausgabe von 2007 an diesem sonnigen Frühlingssonntag zum 11-Uhr-Matineekonzert im Gewandhaus auf dem Programm, nachdem es in analoger Konstellation schon 18 Stunden zuvor in Weimar erklungen war. Ein Teil der Leipziger Zielgruppe hat allerdings wohl argumentiert, bei einem derartigen Wetter gehe man um diese Zeit nicht ins Konzert, sondern unternehme irgendwas im Freien, und so bleibt die Orgelempore fast leer, auch auf den Orchesteremporen findet sich noch mancher freie Platz, während der Rest der Plätze nahezu komplett besetzt ist. Ein Matineekonzert um 11 Uhr, noch dazu eines von dreistündiger Dauer (inclusive Pause), hat freilich den Nachteil, daß es den Biorhythmus des normalen Zuschauers, der sonst sonntags 12 Uhr zu Hause am Mittagstisch sitzt, gründlich durcheinanderwirbelt - ob das einer der Gründe ist, daß im Publikum eine erstaunliche Unruhe herrscht, die besonders in den sanfteren Passagen das Aufkommen etwaiger romantischer oder gar eskapistischer Stimmungen komplett torpediert?
Sei's drum - Jun Märkl und sein MDR Sinfonieorchester legen mit der Ouvertüre den Grundstein für eine im instrumentalen Bereich weitgehend tadellose Leistung. Zwar bleibt die Dramatik der Eingangstakte noch im mäßigen Bereich, aber das ändert sich schnell in die richtige Richtung, und obwohl der Spannungsbogen nicht über die kompletten zweieinhalb Stunden Nettospielzeit gehalten werden kann (was freilich in der Komposition selbst begründet liegt, die ja die unterschiedlichsten Stimmungen in Natur- und Kulturlandschaft übers Jahr hin darstellt), funktioniert das, was da von der Bühne erschallt (in ausgezeichneter Soundqualität übrigens - das ist halt der Vorteil des Gewandhauses etwa gegenüber der Dresdner Kreuzkirche), über weite Strecken hervorragend. Diesem hohen Niveau schließt sich der von David Jones einstudierte MDR Rundfunkchor (die Damen erscheinen übrigens in Himmel- bis Königsblau - eine schöne Allegorie auf den Frühling) problemlos an, nur ganz selten mal etwas zu faserig agierend, aber etwa mit der zauberhaften choralartigen Leistung im Programmpunkt 2 "Chor des Landvolks" solche Probleme weit in den Schatten stellend. Nur einzelne Fragen bleiben da offen, etwa warum der Einsatz "O wie lieblich ist der Anblick der Gefilde jetzt" im Frühlings-Freudenlied derart knüppelhart intoniert wird, als ob schon im nächsten Augenblick der Landmann mit der Sense käme und die ganze bunte Wiese abmähte. Im Schlußchor dieser Nummer müssen sich die Damen arg quälen, um die von Haydn geforderte Höhe zu erreichen, und auch die in Rotviolett gehüllte Sopranistin Anna Korondi, kurzfristig für die erkrankte Christiane Oelze eingesprungen, offenbart in den Höhen arge Probleme (beispielsweise auf "Sonne" in Nr. 4b), was sie auch selbst bemerkt und diesem Problemfall in durchaus geschickter Weise entgegenzusteuern versucht, indem sie dort, wo Haydn es ihr ermöglicht (beispielsweise in Nr. 9b), die Höhen nur kurz ansingt und sich dann sofort wieder nach unten fallen läßt. Dafür agiert sie zumindest in einigen der sanfteren Stellen durchaus in der Nähe des emotionalen Optimums, etwa gleich im eröffnenden Rezitativ; Blackouts wie die Strophenverwechslung in Nr. 19b sollten sich indes möglichst nicht häufen. Weitgehend unauffällig und grundsolide verrichtet Bassist Georg Zippenfeld seinen Job, was man nicht unbedingt vermutet hätte, würde man ausschließlich seine Gestaltung des eröffnenden Rezitativs zum Maßstab nehmen, wo er sehr viel Dramatik und Energie in seinen Auftritt legt, allerdings noch in einer verträglichen Dosierung. Wie man diese Komponenten akut überdosiert, demonstriert wenige Sekunden später Tenor Markus Schäfer, der daher hier einen übermotivierten Eindruck hinterläßt und diesen während der gesamten zweieinhalb Stunden kaum abzulegen imstande ist. Zu einem Miteinander in den Duetten oder gar Terzetten finden die drei Solisten praktisch nie, woran Schäfers Überdruck wohl die Hauptaktie hält - selbst in seiner Liebesszene mit Korondi bleibt er hölzern bis technokratisch, wobei sich Korondi ihm hier anpaßt und nur zum Schluß ein kurzes emotionales Aufflackern zuläßt. Das ist schade, zumal man wegen der sehr guten Akustik dieses Problem ja auch trefflich hört. Wozu Schäfer prinzipiell in der Lage ist, zeigt er in Nr. 8c, einer düsteren Cavatina, die das dürstende Land beschreibt und die er richtig ausdrucksstark und mit dem notwendigen Maß an Energie interpretiert - da auch Märkl und das Orchester mit dem schleppend-doomigen Ausspielenlassen dieser Passage mitziehen, gerät diese Nummer zum wohl besten Moment der Aufführung. Für weitere Highlights zu sorgen bleibt dem Orchester vorbehalten, etwa wenn die Streicher dem Rezitativo 8b eine drückend-flirrende Hitze unterlegen, das Gewitterinferno in Nr. 10b ebenfalls paßgenau sitzt oder der akustische Nebel am Übergang zwischen Herbst und Winter sich trotz etlicher wackelnder Einsätze undurchdringlich durchs Gewandhaus zieht. Dem Ensemble aus Orchester und Chor freilich bleibt es vorbehalten, den letzten Glanzpunkt zu setzen: Trotz hohen Tempos in der Schlußszene bei "Ein ew'ger Frühling herrscht" noch Feierlichkeit zu transportieren verrät hohes Können, das dann auch mit langanhaltendem Applaus und etlichen Bravi belohnt wird. Wenn sich jetzt auch noch die Solisten auf diesem Niveau bewegt hätten ...



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