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Joseph Haydn: Die Jahreszeiten   17.05.2007   Dresden, Kreuzkirche
von rls

Dieses Konzert bildete den Auftakt zu den Dresdener Musikfestspielen 2007, allerdings einen scheinbar recht untypischen: Das Motto der Festspiele hieß "Landschaften", Gastland war Finnland und Gaststadt Helsinki - aber das Eröffnungskonzert blieb suomifreie Zone, und auch der Bezug des Haydn-Werkes "Die Jahreszeiten" zum Thema "Landschaften" erschloß sich erst auf den zweiten Blick. Haydn hat in seinem Oratorium nämlich nicht nur die Eigenschaften der Jahreszeiten in Musik zu kleiden versucht, wie das ein gewisser Antonio Vivaldi etliche Zeit zuvor getan hatte, sondern er nutzt die Tatsache, daß wir in einem jahreszeitlichen Wechselklima leben, um das Thema aus der Sicht des Bauern zu behandeln, und dieser (den Haydn bzw. sein Librettist Gottfried Baron van Swieten übrigens schon vor 200 Jahren mit dem "politisch korrekten" Begriff Landmann belegen ließen) gestaltet die Landschaft dann entsprechend der Jahreszeiten, womit wir auf Umwegen dann doch beim Thema wären (nicht auszudenken, wenn Wien, das Schloß Eszterhazy und die englische Heimat des Verfassers von "The Seasons", James Thomson - auf dieses Versepos hatte sich van Swieten beim Erstellen des Librettos gestützt - mitten im tropischen Regenwald gelegen hätten, der keine Jahreszeiten, manchmal nicht einmal den Wechsel zwischen Trocken- und Regenzeit kennt). Der scheidende Festivalintendant Hartmut Haenchen (er wird den Staffelstab an Jan Vogler weitergeben) ließ es sich nicht nehmen, das Eröffnungskonzert selbst zu dirigieren; zur Seite standen ihm neben der Dresdner Philharmonie der MDR Rundfunkchor sowie verschiedene Dresdner Chöre unterschiedlichen Stabilitäts- bzw. Projektcharakters - man hatte, da diverse Projekte mit der Möglichkeit des eigenhändigen aktiven Mitmusizierens der Dresdner aufgrund der angespannten Festivalbudgetlage anno 2007 nicht durchgeführt werden konnten, aus der Not eine Tugend gemacht und sangesinteressierte Dresdner kurzerhand zu Ripienistenchören für das Haydn-Werk geschult, was erstaunlich gut klappte.
Wenn nur alles so gut geklappt hätte! Aber die Kirchenakustik machte zumindest partiell einen Strich durch die Rechnung. Die Eröffnungsreden der Politprominenz (des amtierenden Stadtoberhauptes sowie des sächsischen Landesvaters) hatte man noch per Mikrofonanlage übertragen, aber diese wurde danach weggeräumt, und so mußten die drei Solisten alleine zurechtkommen. Diese Aufgabe lösten sie in unterschiedlicher Güte und mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Sopranistin Rebecca Evans schien bewußt zu sein, daß es mit der Textverständlichkeit in der riesigen Halle der Kreuzkirche nicht weit her sein konnte, also versuchte sie über weite Strecken gar nicht erst in dieser Richtung zu steuern, sondern setzte ihre sehr schöne Stimme eher instrumental ein, nur in einigen Rezitativen vor allem des Herbstes und des Winters von dieser Vorgehensweise abweichend - und damit fuhr sie sehr gut. Die beiden Herren dagegen übertrieben ihre Bemühungen um Textverständlichkeit anfangs so sehr, daß es schlicht und einfach peinlich wirkte - derartig hohles Pathos, das sich auf diese Weise gleich in den beiden eröffnenden Vorstellungen des Landmanns und seiner Frühjahrsbestellung ergab, hört man zum Glück nur sehr selten. Tenorist Stig Andersen blieb leider während des ganzen Konzertes auf dieser Schiene, während Bassist Peter Mikulas irgendwann merkte, daß der eingeschlagene Weg ein Irrweg sein mußte, und senkte den Pathosgehalt etwas ab, wurde aber wiederum von den klanglichen Verhältnissen sabotiert, indem Silben in bestimmten Tonlagen akustisch völlig verschwanden und dadurch ein eigenartig zerrissenes Gesamtbild entstand. Daß sich unter diesen Verhältnissen auch keine richtige Harmonie in den Duett- oder Triopassagen herauszubilden vermochte, stellte keine Überraschung dar. Möglicherweise war an verschiedenen Stellen in der Kirche das zu venehmende Soundgewand sehr unterschiedlich (wenngleich die Differenzen hier nicht so stark ausgeprägt gewesen sein dürften wie zwei Wochen zuvor in der Marienkirche in Pirna), allerdings saß der Rezensent etwa in der Kirchenmitte und damit eigentlich akustisch gar nicht so ungünstig - trotzdem scheint es Plätze mit besserem Klang gegeben zu haben, wenn man das Statement einer Besucherin beim Hinausgehen, sie würde die Akustik dieser Kirche so lieben, ernstnehmen kann.
Sei's drum: Auch das Orchester hatte bisweilen klanglich zu leiden, und bis das Ohr des Hörers sich zumindest halbwegs daran gewöhnt hatte, wann es welche Instrumentengruppen wo herauszufiltern hatte, war der Frühling längst vergangen und der Sommer angebrochen. Dieser hielt dann auch einen von zwei magischen Momenten bereit, welche diese Aufführung zu erzeugen in der Lage war: Die Umsetzung des Sommergewitters, die Fühlbarmachung der drückenden Schwüle und der als einzige Lautquellen noch vor sich hinmusizierenden Wieseninsekten aka Pizzikatostreicher und die infernalische Entladung genügten zweifellos auch verwöhnten Ansprüchen (daß die Pauken irgendwie von rechts hinten grollten und damit am Inferno gar nicht so stark teilhatten, war keineswegs als Negativum zu vermerken). Für den zweiten magischen Moment hatten die Damen des Rundfunkchores bereits zuvor gesorgt - sie bewiesen, daß man auch in mehrköpfiger Struktur noch richtig schön ätherisch klingen kann. Aber auch die Massenpassagen (der Rundfunkchor stand mit unten, die anderen Chöre auf den vorderen Emporen) machten wie bereits beschrieben überwiegend keinen schlechten Eindruck und rundeten eine zweifellos interessante Aufführung ab, welche die mit kleinen Lücken zumindest im Erdgeschoß vollbesetzte Kreuzkirche mit recht intensivem, wenngleich nicht frenetischem Applaus zu würdigen wußte. Ein guter Auftakt - nicht mehr, aber auch nicht weniger.



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