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Audio Invasion: Bonaparte, Bodi Bill, Monotekktoni, Reznik, Gewandhausorchester   25.04.2009   Leipzig, Gewandhaus
von kk

Bereits zum dritten Mal hat das Gewandhaus mit der Audio Invasion aufgewartet und dem ehrwürdigen Gebäude am Augustusplatz ein recht durchwachsenes Publikum verschafft: von 18 bis ins hohe Alter war alles vertreten. Der Altersdurchschnitt an diesem Abend wird vermutlich nur durch die jährlichen Immatrikulationsfeiern unterboten. Die angesprochene Zielgruppe ist eindeutig. Es liegt nah, dass junge Leute für klassische Formate im Gewandhaus begeistert werden sollen.
Daran angepasst und wie bei aktuellen Konzerten üblich begann der Abend eher spät. Um neun Einlass, dort gab es ein blaues Bändchen. Um zehn dann das Konzert im Großen Saal. Einige Definitionen von "um zehn" sind enger (Punkt zehn), andere sind ein wenig weiter (halb elf). Viele hatten sich an dem Abend für die weitere der beiden entschieden, was den Verlauf des Konzertes natürlich störte. Immer wieder öffneten sich die Türen zum Saal zwischen den Sätzen und Konzerten, einige wechselten Plätze. Das wurde nur noch durch das Klatschen zwischen den Sätzen übertroffen, viele vermochten die bewusst oben gehaltene Hand des Dirigenten George Pehlivanian nicht zu deuten. Musikalisch war die gefühlte Stunde natürlich der absolute Wahnsinn. Dem gewöhnlichen Rock-Pop-Konzertgänger wurden an diesem Abend Klangdimensionen vermittelt, zu denen er in dieser Form nur selten Zugang findet. Am besten beschreiben lässt es sich sicher mit High Definition, optisch und akustisch. Keine Lichtspielereien und Blender, kein Kratzen in den Ohren, keine obligatorischen Ohrenstöpsel. Dafür hatten Augen und Ohr die Möglichkeit in Zusammenarbeit immer wieder Instrumente zu orten, Nuancen herauszuhören, andere musikalische Strukturen zu erkennen und vor allem unterschiedliche Dynamiken wahrzunehmen. Deswegen fiel der Applaus auch so immens aus, unter Umständen also nicht einmal, weil das Orchester an diesem Abend hervorragend gespielt hat. Das hat es, ganz klar. Wenn man jedoch während des Konzerts durch den Saal blickte, fand man viele in den Stühlen liegend vor. Zu Ende der jeweiligen Stücke erhielt die Erleichterung ihren Ausdruck in Form von Applaus und Pfeifen. Zugegebenermaßen traf das nicht für alle zu, aber sicherlich für den Großteil derer, die bei der Zugabe (Johannes Brahms: Ungarischer Tanz Nr. 5) maßgeblich am Mitklatschen beteiligt waren. Auch wenn mit der Audio Invasion Konventionen gebrochen werden, hier kann man beim alt Hergebrachten bleiben. Auch für das Orchester war der Abend eine neue Erfahrung. Die verwirrten Blicke einiger Musiker sprachen für sich. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es nach der Audio Invasion einige Besucher zu klassischen Konzerten ins Gewandhaus ziehen. Es kann für jeden nur gut sein, wenn sich hier noch Horizonte erweitern.
Nach dem Konzert merkte man deutlich die große Zweiteilung des Abends. Mit Ende des klassischen Parts verschwand auch der Großteil des nicht-jugendlichen Publikums. Um jetzt die Unwissenheit um den weiteren Verlauf des Abends zu verringern, wäre ein Moderator angemessen gewesen. Wer wann wo spielt, blieb vielen ein Rätsel, im Spielplan war lediglich das Konzert im Großen Saal verzeichnet. Durch Herumfragen wurde jedoch schnell klar, dass die Acts Bodi Bill und Bonaparte auf der Live Stage im Mendelssohn-Saal spielen, der sich auch irgendwo im Gewandhaus versteckt. Auf dem Weg dorthin kam man noch an mehreren Floors vorbei und konnte vor allem die schöne Beleuchtung in den Gängen bestaunen. Das ganze Interieur war akzentuiert mit violettem Licht bestrahlt. Dank Verglasung spiegelte das Gewandhaus also auch von außen den Eindruck innerer Aktivität wider.
Im Mendelssohn-Saal angekommen, hat es auch nicht lange gedauert, bis der erste Künstler, oder besser, die erste Künstlerin die Bühne betrat: Monotekktoni. Anfangs machte es den Anschein eines Soundchecks, aber all das gehörte schon zur Performance. Die unscheinbar wirkende Frau setzte sich an den Flügel und spielte einige Balladen. Unspektakulär. Nach einigen Songs riss sie dann ihre Klamotten vom Leib, stand in einem Superhelden-ähnlichen Body auf der Bühne und fing mit dem zuvor angekündigten "Lärm" an. Lärm traf es ziemlich genau. Zu harten Beats und schwerlich tanzbaren Taktwechseln kam die nervende Stimme. "Eine sehr experimentelle Performance", das stand zumindest in den meisten Gesichtern. Einige wippten unfreiwillig solidarisch mit. Die eigentlichen Gedanken sah man aber in den aufgrund von Dissonanz verzerrten Gesichtern. Glücklicherweise dauerte die Show nicht allzu lange an.
Bodi Bill sollten die nächsten sein. Im Vergleich zur Vorgängerin endlich klar strukturierte Rhythmen und knackige Beats. Im Hintergrund der Bühne wurde jetzt die Leinwand angestrahlt, mit der der Zuhörer nahezu reizüberflutet wurde. Denn im Vordergrund standen die drei Bandmitglieder, denen man auch zu gerne Aufmerksamkeit widmete. Einer tanzte immer. So lockerte sich zügig die Stimmung, die Monotekktoni zuvor so schön verkrampft hatte, und Tanzen wurde wieder zur Option. Sogar einige ältere Erwachsene sah man im Publikum. Die fanden es im Gegensatz zum Orchester jetzt zwar recht laut, aber das ja zu Recht. Bei dieser Lautstärke wird auch das identifizieren von Songs zur Schwierigkeit. Bei der Textzeile "It's been seven hours and fifteen days" aber hatte jeder im Saal mindestens einen Song erkannt. "Nothing Compares 2 U", gecovert. Jetzt war das Eis gebrochen. Der Rhythmus entfremdet, das Originaltempo nochmals verlangsamt und trotzdem blieb eine treibende Kraft im Song. Nach ein paar Songs war diese schöne Atmosphäre leider auch schon wieder vorbei. Aber der Headliner sollte ja noch folgen.
Bonaparte, vermutlich der Grund, warum viele die reichlich zehn Euro bezahlt haben. Was man sich unter der angekündigten Circus Show vorzustellen hatte, war im Vorfeld unklar. Es war schon deutlich nach Mitternacht, als die Band die Bühne betreten hat. Die Bezeichnung Circus Show hatte in dem Moment insofern seine Berechtigung, als dass die Band mit verschiedenen Masken auf die Bühne kam. Neben den Bandmitgliedern waren zudem noch "Tänzer" dabei, die sich auf unterschiedlichste Weise auf der Bühne betätigten. Darunter waren eine geschminkte, sehr leicht bekleidete Feuerspuckerin, eine Bärin mit Fotoapparat, ein Clown und mit Sicherheit noch andere Charaktere, von denen ich nichts mitbekommen habe. Ob man sich nun an Bonaparte festsah und -hörte oder auf die "zweite" Show konzentrierte, es wurde nicht langweilig. Zudem konnte man sich auf die Dancefloor-Kracher "Too Much" und "Anti Anti" freuen. Von der anfänglichen Fassung des Publikums war jetzt nichts mehr zu spüren. Der Mendelssohn-Saal hat gekocht, alles hat getanzt. Jetzt hat auch niemanden gestört, dass das Bier im Gewandhaus überdurchschnittlich teuer ist. Wer braucht bei so einer Show Alkohol? Bonaparte dürften dann aber auch den letzten geschafft haben, ungefähr halb vier war der Spaß vorbei.
Und selbst um diese Uhrzeit war das Gewandhaus noch gut gefüllt. Das Format Audio Invasion funktioniert. Da kann man schon mit Sicherheit davon ausgehen, dass es auch nächstes Jahr mit der Audio Invasion weitergeht. Vielleicht wissen dann auch alle, dass man zwischen den einzelnen Sätzen einer Sinfonie NICHT klatscht.

Grosses Concert:
Dmitri Schostakowitsch: Festliche Ouvertüre op. 96
Sergej Prokofjew: 1. Sinfonie D-Dur op. 25 ("Symphonie classique")
György Ligeti: Concerto Românesc
Bedrich Smetana: Ouvertüre zur Oper "Die verkaufte Braut"
Michail Glinka: Ouvertüre zur Oper "Ruslan und Ludmilla"

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