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Soziedad Alkoholika   13.04.2009   Leipzig, Orgasmatron
von rls

Die Basken sind bekanntlich ein eigentümliches Völkchen mit noch höherer separatistischer Tendenz als die Bayern. Das reichte dann so weit, daß beispielsweise Athletico Bilbao in den 80ern in seine Fußballteams ausschließlich baskische Spieler aufnahm und das Motto "Von Ausländern lernen, aber keinen kaufen" ausgab, wobei unter "Ausländer" hier halt auch schon Katalanen oder Andalusier zählten - und der Club fuhr eine Zeitlang nicht schlecht mit dieser Strategie, fungierte quasi als Sammelbecken der talentiertesten baskischen Fußballer, von denen etliche auch in der spanischen Nationalmannschaft landeten, aber letztlich trug das Geld, das sich bei Real Madrid oder dem FC Barcelona in größeren Klumpen ballte, dann doch einen Triumph davon. Aus ebenjener baskischen Tradition nun stammt eine Band namens Soziedad Alkoholika, 1988 gegründet und rein musikalisch zwar auch problemlos an jedem anderen Ort der Welt ansiedelbar (will heißen: Baskische Folklore ist in der Musik der Band praktisch nicht vertreten), aber strukturell in einer völlig paradoxen Situation stehend - auf der einen Seite deutlich links zu verorten (die Sterne im Bandlogo, das man auch noch gerne mit roter Farbgebung einsetzt, dürften kaum Zufall sein), auf der anderen Seite aber durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle in den Ruf baskischer Nationalisten (im negativen Sinne) geraten, so daß die Band beispielsweise drei Jahre lang nicht in Madrid auftreten durfte. Kollege Mario hat anno 2003 das Album "Tiempos Oscuros", das auf Locomotive erschien, rezensiert, war allerdings nicht durchgängig davon angetan. Danach herrschte in bezug auf neue Releases, von einer 2006er Best Of abgesehen, Funkstille, bis sich die Band anno 2008 überraschend mit "Mala Sangre" und immerhin Roadrunner, also einem richtig großen Label, im Rücken zurückmeldete. Anno 2009 bereiste man nun im Frühjahr Europa und spielte am Ostermontag auch in Leipzig. Der Status der Band war freilich im vorhinein äußerst schwer abzuschätzen, einerseits durch die lange Pause, andererseits im speziellen Falle Leipzigs durch die hier nochmals verschärfte Sprachbarriere - man lernte in der DDR in der Schule halt im Regelfall Russisch und Englisch als Fremdsprachen, aber kaum jemals Spanisch (und Baskisch schon gar nicht). Ergo ist dem noch recht neuen Club Orgasmatron (der sich logischerweise nach der 1986er Motörhead-Platte benannt hat und auch in diesem musikalischen Umfeld anzusiedeln ist) zu danken, daß er das Wagnis eines solchen Gigs auf sich nahm; ob es sich unterm Strich gerechnet hat, ist schwer einzuschätzen, denn der Schuppen war schon recht ordentlich gefüllt, aber es hätte zu der anwesenden vielleicht reichlichen Hundertschaft locker noch eine zweite gepaßt.
Da kein Support angesetzt war, legte man den Beginn auf 22 Uhr, und es sollte letztlich noch eine halbe Stunde mehr ins Land ziehen, ehe die fünfköpfige Band die Bühne betrat und ohne große Sperenzien wie Intro o.ä. losdonnerte. Schnell wurde deutlich, daß Soziedad Alkoholika einen gewagten Spagat zu meistern imstande waren: auf dem schmalen Grat zwischen Punk und Metal zu balancieren, ohne abzustürzen. Dazu dann hintergründig noch eine Portion Rock'n'Roll - fertig war eine recht unterhaltsame Mixtur, die selbst auf großen Festivals mittags um zwölf funktionieren dürfte. Zwar hielten sich trotz ausreichenden Platzes in Leipzig die Pogoaktivitäten in Grenzen, aber nichts destotrotz feierte das Publikum die Band gebührend ab, und es schienen tatsächlich einige Die Hard-Fans anwesend zu sein - anders ist es kaum zu erklären, daß aus der Reihe hinter dem Rezensenten (und der stand in Mischpulthöhe, also etliche Meter von der Bühne entfernt) immer wieder paßgenaue Backingvocaleinsätze kamen, wohlgemerkt in Spanisch oder Baskisch. Die Band selber hatte etwas unter der kleinen Bühne zu leiden - das heißt, so klein ist sie eigentlich nicht, aber es standen riesige Marshallwände und ein ebenfalls äußerst voluminös bestücktes Schlagzeug auf ihr. Drummer Roberto wußte dessen Möglichkeiten aber auch gekonnt einzusetzen und verhinderte so in Tateinheit mit dem Riffing, daß der Sound eine zu starke Punkschlagseite bekam, zumal Soziedad Alkoholika sich als songwriterische Beherrscher der Abwechslung offenbarten: Da wird halt mal ein Song mit finsteren Doomriffs eingeleitet, und gerade wenn man sich auf gemütliches Zeitlupenbanging eingestellt hat, schaltet die Band dann doch in schnelleres Ufta-Ufta um. Auch die Halbakustische kam zu ihrem Recht, wenngleich sie einen von drei kleinen soundlichen Problemfällen des Abends darstellte, denn bei ihren knapp bemessenen, aber wirkungsvoll plazierten Einsätzen hörte man zu wenig von ihr, was auch auf die gelegentlichen wilden Gitarrensoli zutraf. Schlußendlich war auch Juans Mikrofon einen Tick zu leise eingestellt, so daß man sich ein wenig anstrengen mußte, um herauszuhören, daß er auch einzelne melodische Variationen in seinen mäßig aggressiven Shoutgesang einzuflechten imstande war. Die Bühnenkommunikation fand selbstredend in Spanisch oder Baskisch statt, die Publikumskommunikation lag abgesehen von Juans deutschem Begrüßungssatz "Wir sind Soziedad Alkoholika aus dem Baskenland" auch in der Nähe des Nullpunktes - aber das störte erstaunlicherweise kaum, ebensowenig wie die Tatsache, daß ob der vollgestellten Bühne nahezu kein Stageacting möglich war, wenngleich man gerade Juan (der übrigens aussieht wie eine Mixtur aus Kollege Thomas Feist und Disturbed-Sänger David Draiman) anmerkte, wie gerne er hundert Meter auf einer riesigen Bühne hin und her gesprintet wäre. Das Energielevel, das von der Bühne kam, stimmte jedenfalls prinzipiell, und die Setlist ließ nur im Mittelteil des Hauptsets mal kurz einen Gähnanflug aufkommen, als drei, vier Speedtracks mit wenig Tempovariationen unmittelbar nacheinander auf dem Programm standen, was bei aller Spielfreude auch ein wenig Monotonie erzeugte. Aber dieses kleine Problem hatte die Band schnell im Griff, der Rest des Sets pendelte wieder wie gewohnt zwischen etwas Epik, viel Energie, viel Metal, viel Punk und etwas Rock'n'Roll (selbst vor einem Nirvana-Gedächtnisriff machte man nicht halt und verarbeitete die Haupttonfolge von "Smells Like Teen Spirit" in allerdings etwas anderer Rhythmisierung), und daß man an einigen wenigen Stellen wohlwollend an Motörhead dachte, darf in diesem Kontext als Kompliment gewertet werden. Das Wort, mit dem man eine Zugabe einfordert, hatte das Publikum zwar scheinbar verlernt, aber es gebärdete sich offensichtlich trotzdem fordernd genug, um dem Quintett (zwei Langhaarige, zwei Kurzhaarige und ein Glatzkopf) noch drei Zugabesongs abzuverlangen, womit es die Stundengrenze bei der Spielzeit dann doch noch deutlich überschritt. Bliebe abschließend nur noch das musikwissenschaftliche Rätsel zu lösen, wieso die Bassdrum haargenau so klang wie die luftzugsbedingt vor dem Gig mehrmals zuschlagende Backstagetür ...

Setlist (die vom Berlin-Gig der Tour):
NADIE
POLVO EN LOS OJOS
POR EL ODIO
POLITICA DEL MIEDO
PALOMAS Y BUITRES
SANGRE AL FIN
RATAS
EN EL TEJAO
ESTADO ENFERMO
AVENTURA DEL SABER
SUEÑOS ROTOS
PIEDRA CONTRA TIJERA
PECES
NO KIERO PARTICIPAR
CUANDO NADA VALE NADA
SHAKTALE
SIN DIOS
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CIENZIA ASESINA
ARIEL
NOS VIMOS EN BERLIN



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